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Obsession Glauser

Pieke Biermann über »Nüüd Appartigs...«, sechs Glauser-Geschichten illustriert von Hannes Binder

 

Die Stunde des Wolfs Holzschnitt, denkt man zuerst, wenn man durch den dicken, verführerisch nach Druckerfarbe duftenden Band blättert. Aber die Bilder des genialen Schweizer Graphikers und Malers Hannes Binder sind keine Holzschnitte, und schon gar nicht das, was man umgangssprachlich als holzschnittartig bezeichnet. Sie haben nichts Grobes, sie sind nadelscharf. Binder hat eine spezielle Negativtechnik entwickelt, um seiner, wie er selbst es nennt, "Obsession Glauser" gerecht zu werden: Er kratzt haarfeine Linien aus schwarzem Karton heraus. In Binders Illustrationen ist - wie in Glausers Prosa - nichts schwarz auf weiß. Also gesichert, verläßlich. Sondern alles Wichtige wird weiß aus dem Schwarzen herausgeholt.

Auch das ist eine atemberaubende Parallele zu Glausers Literatur, die wie eine zauberisch leuchtende Textur aus dem Dunkel seines zerrissenen, heimatlosen Lebens voller Fluchten und Internierungen herausgeholt scheint. Binders Nadelkratztechnik ist fast ohne Korrekturchancen. Und genau diese unbedingte Herausforderung fasziniert ihn: Es geht um die Zwischentöne. Läßt man zuviel schwarz, bleibt das Bild unerkennbar. Nimmt man zuviel schwarz weg, wird es wieder unerkennbar. Denn alle Zeichnung verschwindet, und übrig bleibt in letzter Konsequenz das weiße Blatt. Auf Seite 25 führt Binder diesen ästhetischen Kern auf ebenso beeindruckende wie einfache Weise in sechs Phasen vor.

"Nüüd Appartigs" - auf Hochdeutsch etwa "Nichts Besonderes" - ist Binders Opus Magnum in Sachen "Glauser und ich". Der Band versammelt die fünf Kriminalgeschichten um Wachtmeister Studer, die Binder zwischen 1988 und 1998 illustriert und publiziert hat, und eine neue, autobiographische Glauser-Erzählung über die Entstehung des Dadaismus in Zürich.

Binders Bilder sind keine Illustrationen im üblichen Sinn. Keine bloße Bebilderung, Verdoppelung, Erklärung, Dramatisierung. Er nimmt Bruchstücke, manchmal nur einzelne Sätze aus Glausers Texten und erzählt sie selbst in Bildern, teilweise in mehreren kleinen nach der Methode der split screen, teilweise in großen panels über eine oder zwei Seiten. Es sind düstere Nachtbilder auf den ersten Blick. Aber je länger man an und in ihnen hängen bleibt, desto erhellender werden sie.

Binders Studer hat unser aller Bild von Glauser und seinem knorzigen Wachtmeister geprägt. Auch das reflektiert der 1947, also neun Jahre nach Glausers Tod geborene Binder: Schon in "Wachtmeister Studer im Tessin" (aus dieser Geschichte stammt das Titelzitat), erst recht in "Glausers Fieber" verschränkt er nicht nur Studer und Glausers Biographie, er bringt sich auch selbst mit ins Spiel. Ein ironischobsessives Manöver, das den Limmat-Verlag, dem wir diesen wunderbaren Band verdanken, zurecht auf die (lupenrein dadaistische) Frage bringt: "Ist Hannes Binder eine Erfindung von Friedrich Glauser?"

 

Hannes Binder & Friedrich Glauser: Nüüd Appartigs... Sechs gezeichnete Geschichten. Mit einem Vorwort von Peter Zeindler zu "Wachtmeister Studer", einem Nachwort von Kurt Gloor zu "Knarrende Schuhe" und einem Werkstattgespräch von Frank Göhre in "Der Chinese". Zürich: Limmat, 2005, gebunden, 420 S. mit zahlreiche Illustrationen, 37.00 Euro (D)

 

© Pieke Biermann, 2005
(Deutschlandradio, 22.12.2005)

 

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