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Christa von Bernuth: Die Stimmen

Eine Leseprobe mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgruppe Random House.

 

Die Stimmen »Drei-drei-eins, drei-drei-eins«, singen die Mädchen. »Wähl mich«, ruft eine in weißer Rüschenwäsche dazwischen und streicht über ihre monströsen Brüste. »Ruf! Mich! An!«, herrscht eine Domina in dunklem Lederbikini, der ihr tief in die Haut schneidet.
      Die Fernbedienung knallt auf den Boden, und Mona wacht auf.
      Sie hat vergessen, das Licht auszuschalten. Die nackte Birne an der Decke beleuchtet den hässlichen Schrank aus dunkelbraunem Holzimitat, den grauen Teppich mit dem ausgebleichten Fleck unter der Fensterbank, ihren immer noch nicht ganz ausgepackten Koffer, obwohl ihr Urlaub bereits zwei Wochen zurückliegt. Der Fernseher vor ihrem Bett ist zu laut gestellt. Draußen lauert die Dunkelheit.
      Es ist vielleicht zwei oder drei, zu spät, um jemanden anzurufen oder um auszugehen, zu früh, um aufzustehen. Schlafenszeit. Sie hasst es. Die Stunden zwischen zwei und vier sind die einsamsten der Welt.
      Manchmal hilft es, wenn sie sich vormacht, dass sie wach bleiben will. Manchmal schläft sie gerade dann ein. Was sie garantiert wach hält, ist der Gedanke, morgen einen harten Tag zu haben.
      Sie hat morgen einen harten Tag.
      Sie überlegt, ob sie nach Lukas sehen soll. Dann erinnert sie sich daran, dass Lukas heute Nacht bei seinem Vater ist, und fällt fast in der gleichen Sekunde in tiefen Schlaf.

 

Gravelottestraße, ein frisch renovierter Altbau mit gelber Fassade. Zwei still vor sich hinblinkende Streifenwagen stehen davor, die Straße ist für den normalen Verkehr gesperrt. Mona parkt in zweiter Reihe. Es ist sechs Uhr morgens, dunkel und kalt. Die Presse ist weg, alle sind weg. Ein Mann steht mit verschränkten Armen an der offenen Haustür; das Licht fällt von hinten auf ihn, sodass sie nur seine Silhouette erkennen kann. Wahrscheinlich ist es Fischer. Sie hat ihn beauftragt, auf sie zu warten. Wenigstens das, wenn sie schon viel zu spät, nämlich fast zwei Stunden später als der gesamte Rest der Mordkommission 1, verständigt wurde.
      Es ist Fischer. Mona geht auf ihn zu und kann direkt beobachten, wie sich sein Gesicht bei ihrem Anblick verfinstert. Sie ist eine Frau, sie wurde ihm »vor die Nase gesetzt«.
      »Wie weit sind die Tatortleute?«, fragt sie, während sie gemeinsam den winzigen Lift betreten, in dem sie sich viel zu nahe kommen. Sie versucht, freundlich zu sein. Er kann nichts dafür, dass keiner sie benachrichtigt hat.
      »Ziemlich weit. Sie machen gerade Pause.«
      »Brotzeit, was? Reichlich früh dafür.«
      Fischer lächelt nicht, sondern starrt reglos an die Decke, während sich der Lift träge in Bewegung setzt. Im trüben Oberlicht der Kabine stellt Mona fest, dass sich seine kurz geschorenen dunklen Haare an der Stirn bereits lichten. Sie stellt sich vor, wie er die Geheimratsecken jeden Morgen besorgt im Spiegel studiert. Dabei ist er noch jung, vielleicht Mitte zwanzig. Unter seinen Augen liegen tiefe Schatten. Er ist seit vier Uhr morgens im Einsatz.
      Die MK1 hatte Bereitschaft, und sie, die neue Leiterin, hätte von Anfang an dabei sein müssen. Wer ist Schuld, dass sie als Letzte am Tatort erscheint?
      »War Berghammer hier?«, fragt sie. Berghammer ist Chef des Dezernats 11, zu dem die fünf Mordkommissionen gehören. Bei Fällen wie diesem, die sich spektakulär anlassen, taucht er gerne selbst auf.
      »Ja«, sagt Fischer. Mona schließt die Augen. Berghammer war hier, alle waren hier, und sie nicht.
      »Wie sieht's oben aus?«, fragt sie.
      »Erdrosselt. Würd ich mal sagen. Mit was ganz Gemeinem. Wirst du gleich sehen.«
      »Hat jemand aus dem HausŠ?«
      »Keiner hat was mitbekommen. Niemandem ist was aufgefallen, keiner hat was gesehen und so weiter. Drei sind nicht da. Das war hier vielleicht ein Auflauf vorhin. Wir mussten die Leute echt anschreien, damit sie das Feld räumen.«
      Der Lift hält leicht schwankend im fünften Stock, und die Türen öffnen sich. Fischer weist auf eine Holztreppe, die nach oben führt. »Er wohnt in der sechsten Etage. Dachwohnung. Wahrscheinlich später ausgebaut.«
      »Mhm.« Sie gehen nach oben und schlüpfen in die weißen Schutzoveralls, die neben der Wohnungstür bereitliegen.
      »Nicht schlecht, was?«, sagt Fischer, Monas Schweigen richtig deutend. Die Wohnung ist eine Art Loft. Es gibt keinen Flur, sondern nur einen riesigen hohen Raum mit abgeschrägten Wänden, der auf eine mindestens dreieinhalb Meter hohe Fensterfront mit angrenzender Dachterrasse zuläuft, für die der Bauherr wahrscheinlich ein ganzes Beamtenheer von der Landesbaukommission schmieren musste.
      »Ist das hier das einzige Zimmer?«, fragt Mona.
      »Das sieht nur so aus«, sagt Fischer grinsend. »Da hinten gehen Schlafzimmer, Küche und Bad ab.«
      »Und das Opfer?«
      »Im Schlafzimmer. Sieht echt schlimm aus.«
      »Klar. Ist nicht meine erste Leiche.«
      »Ich meine, richtig ekelhaft.« Fischer macht wieder sein beleidigtes Gesicht.
      Der Mann liegt nackt auf dem Boden, Beine und Arme leicht gespreizt. Aus einer tiefen, verkrusteten Wunde am Hals ist so viel Blut ausgetreten, dass der helle Teppichboden rostrot verfärbt ist. Das Gesicht des Mannes ist bläulich grau angelaufen. Seine Augen sind geschlossen, als würde er schlafen. Ein merkwürdiges Detail, denn häufig sind die Augen toter Menschen wenigstens einen Spaltbreit geöffnet oder aber krampfhaft zugekniffen. Der Täter hat sie ihm vielleicht nachträglich zugedrückt. Das Fenster ist geschlossen, der Geruch schwer erträglich. Wahrscheinlich liegt das an der Heizung, die bis zum Anschlag aufgedreht ist und die den Verwesungsprozess schon hat einsetzen lassen.
      Nein. Es ist kein Verwesungsgeruch, das wäre auch viel zu früh. Der Tote hat sich eingekotet.
      Mona hat Opfer von Bandenkriegen gesehen, Penner mit eingeschlagenen Schädeln und von gewalttätigen Ehemännern verprügelte Frauen, die an ihrem eigenen Nasenbluten erstickt waren, aber das hier ist ganz anders.
      Ihr normaler Alltag hat nichts mit dem hier zu tun. Das edle Ambiente. Der Tote mit dem schönen Körper. Und das viele Blut, die entgleisten Gesichtszüge: Es ist auf abstoßende Art filmreif.
      Fischer bricht das Schweigen. »Erst könnte man meinen, jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten.«
      »Aber?« Mona kann sich nicht überwinden, näher heranzugehen. Noch nicht. Das ist merkwürdig, denn normalerweise ist sie nicht zimperlich. Der Geruch kann es auch nicht sein. Fäulnisveränderte Leichen stinken weitaus schlimmer.
      »Der Erkennungsdienst wollte auf dich warten, bevor sie mit der Arbeit anfangen.«
      »Na immerhin! Wie aufmerksam!«
      »Schau dir mal die Wundränder an«, sagt Fischer, ihre sarkastische Bemerkung ignorierend. Immerhin ist seine Stimme etwas freundlicher.
      Gezwungenermaßen geht Mona nun doch zu dem Toten und beugt sich über ihn. Sie atmet so flach wie möglich durch die Zähne.
      »Die Wundränder sind irgendwie ausgefranst, wenn du mich fragst«, sagt Fischer hinter ihr. Seine Stimme klingt stolz und aufgeregt. Er will gelobt werden, so viel ist klar. Ein Lob kostet nichts, und vielleicht verbessert es das Klima.
      »Äh - gut«, sagt Mona deshalb. »Mir scheint, du hast Recht. Vielleicht war das Messer - nicht richtig scharf.« Ein ekelhafter Gedanke. Dann war der Tod noch qualvoller.
      »Oder es war gar kein Messer.«
      »Sondern?« Sie nimmt die Gelegenheit wahr, sich wieder umzudrehen.
      »Eine Garrotte«, sagt Fischer. »Eine was?« Frische Luft wäre jetzt toll. »Eine Garrotte. Ein Draht mit zwei Griffen an den Enden. Geht schnell, man braucht keine Waffe, und es macht keinen Lärm.«
      »So.« Langsam bewegt sie sich zur Tür.
      »Genau.« Fischer folgt ihr.
      Endlich sind sie wieder im Wohnzimmer. Stehen etwas dumm in dem riesigen Raum herum. Setzen kann man sich ja schlecht. »Wo hast Du das her? Das mit der Garrotte?«
      »Aus der Polizeischule. Vielleicht auch irgendwo gelesen.«
      »Hört sich Š äh Šüberzeugend an.«
      »Wer ist er eigentlich?«
      Fischer holt seinen Notizblock aus der Hosentasche und leiert die Angaben herunter. »Konstantin Steyer, Artdirector und Mitgeschäftsführer der Werbeagentur Weber & Partner in der Giselastraße.«
      »Artdirector? Was soll das denn heißen?«
      »Ist angeblich so was wie Chefgrafiker. Zuständig für die Gestaltung von Anzeigen.«
      »Wie alt ist er?«
      »39. Geboren in Hannover. War seit siebzehn Jahren in München gemeldet. Hat hier studiert. Soweit wir wissen, liegt nichts gegen ihn vor. Hat nicht mal Punkte in Flensburg.«
      »Wer hat ihn gefunden?«
      »Seine Freundin. Karin Stolowski.«
      »Wann?«
      »Angeblich heute Nacht um drei. So wie er jetzt daliegt. Hat ihn nicht angefasst. Bekam beim Anblick der Leiche so eine Art hysterischen Zusammenbruch, raste aus der Wohnung, ist mit dem Rad in ihre eigene zurückgefahren, hat dort alles ihrer Mitbewohnerin erzählt, die sie aus dem Schlaf gerissen hatte, dann sind die beiden mit dem Freund der Mitbewohnerin noch mal hergefahren - also, um es kurz zu machen, gegen vier Uhr haben sie die Streife alarmiert. War hier bis vor zwanzig Minuten.«
      »Wer?«
      »Karin Stolowski, wer denn sonst? Ließ sich nicht heimschicken und hat die ganze Zeit geheult.« Er redet sehr schnell, völlig untypisch für die Leute hier.
      »Warum nachts um drei? Ich meine, was wollte sie da bei ihm, und was hat sie vorher gemacht?«
      »Sie hatten sich gestritten, sagt Karin Stolowski. Sie sagt, sie sei auf ihrem Rad durch die Stadt gekurvt, was trinken gegangen und dann zu ihm zurückgefahren, um sich zu versöhnen. Vielleicht war Koks oder Ecstasy im Spiel.«
      »Wieso das denn? Gibt's hier Drogen in der Wohnung?«
      Fischer schüttelt den Kopf, als sei das eine völlig deplatzierte Frage. »Die Spurensicherung hat nichts gefunden, aber das sagt ja nichts, oder? Diese Typen da nehmen doch alle irgendwas. Kreativitätssteigerung, ha ha.«
      Er verzieht verächtlich den Mund. Mona glaubt sich zu erinnern, dass er früher bei der Drogenfahndung gearbeitet hat.
      »Wann hat die Stolowski ihn verlassen?«, fragt sie.
      »Gegen halb zwölf.«
      »Hat sie jemand gesehen?«
      »Vielleicht im Lokal, wo sie zwischen zwölf und zwei was getrunken hat. Sie ist sich nicht sicher.«
      »Also keiner.«
      Fischer tritt von einem Bein aufs andere, als sei er in Eile. Er ist überhaupt ständig in Bewegung. Zupft an seinen Lippen herum, verschränkt die Arme, löst sie wieder, Hände rein in die Hosentaschen, raus aus den HosentaschenŠ Es macht sie nervös. Diese latente Feindseligkeit.
      »Kannst du nicht einfach mal ruhig dastehen?«
      »Ich bin ruhig. Wenn dir meine Art nicht passtŠ«
      »Ist ja gut. Du bist eben ein zappliger Typ.«
      »Ich bin überhaupt kein zappliger Typ, spinnst du? Bist du Psychologe oder was?«
      »Du bist vielleicht empfindlich. Das war doch keine Kritik, bloß eine Bemerkung.«
      Fischer regt sich langsam wieder ab. »Wir müssen das halt kontrollieren«, sagt er.
      »Was?«
      »Mann.« Er schließt kurz die Augen. »Das Alibi von Karin Stolowski.«
      »Was ist sie für ein Typ?«
      »29. Studiert Jura im achten Semester.«
      »Und? Wie wirkt sie?«
      »Total normal. Verheult eben.«
      »Wo ist sie jetzt?«, fragt Mona nach einer kurzen Pause.
      »Eine Streife hat sie nach Hause gefahren. Sie wohnt in Schwabing, in der Königinstraße.«
      »Ist jemand bei ihr?«
      »Ja, ihre Mitbewohnerin. Die hat sie zu Hause erwartet.«
      »Dann los«, sagt Mona.
      »Ehrlich gesagt, ich glaub nicht, dass sie vernehmungsfähig ist.«
      »Möglich, aber ich will sie zumindest mal sehen, um mir ein Bild zu machen. Ruf im Dezernat an, okay? Wir verschieben die Morgenbesprechung auf halb neun.«

 

Karin Stolowski weint, und es sieht nicht so aus, als würde sie bald damit aufhören. Sie gehört wahrscheinlich in eine Klinik oder zumindest in eine psychologische Beratung. Es gibt eine psychologische Beratung bei der Polizei, aber Opfer nehmen sie selten in Anspruch. Man weist sie darauf hin, aber sie vergessen es in der Aufregung. Und wenn sie später wieder daran denken, nach dem ganzen Trara mit der Polizei und der Beerdigung, trauen sie sich wahrscheinlich nicht, noch mal nachzufragen.
      Karin Stolowski hat nichts zu sagen. Konstantin Steyer und sie waren erst seit dreieinhalb Monaten liiert und nach ihrer Aussage sehr glücklich. Nichts weist darauf hin, dass sie die Täterin ist. Karin Stolowski bastelt sich eine Garrotte? Blödsinn. Motiv gibt es auch keins; die Mitbewohnerin bestätigt ohne Zögern, dass »der Konstantin und die Karin sich unheimlich geliebt haben«. Nichts.
      »Kennen Sie die Kollegen und Freunde von Herrn Steyer?«, fragt Mona. Es soll behutsam klingen, tut es aber wahrscheinlich nicht. Mona ist nicht sehr gut im Trösten.
      »Nicht alle«, sagt Karin Stolowski. Die Stimme ist müde und heiser von zu vielen Tränen. Das Gesicht ist ungeschminkt und sieht im Neonlicht der WG-Küche übernächtigt aus. Die Finger fahren mechanisch durch das dichte kurze Haar.
      »Gibt es jemanden, mit dem Ihr Freund Streit hatte?«
      »Nein. Weiß nicht. Der Konni warŠ« Erneut bitterliche Tränen. Fischer stellt sich ans Küchenfenster und blickt angelegentlich auf die Hauswand gegenüber. Draußen wird es langsam hell. Mona nimmt Karin Stolowskis Hand. Sie ist sehr weich, die Haut sehr zart, wie durchscheinend. Eine Kinderhand, mit abblätterndem brombeerfarbenem Nagellack. Männer mögen solche Hände. Sie haben etwas Luxuriöses. Monas Hände sind kräftig, mit breiten, kurz geschnittenen Fingernägeln.
      »Schauen Sie, wir würden Sie gern in Ruhe lassen. Aber Sie sind vielleicht unsere wichtigste Zeugin. Wenn Sie uns nichts sagen können, werden wir den Mörder Ihres Freundes möglicherweise nie finden.«
      Trägt sie zu dick auf? Das Schluchzen wird jedenfalls leiser, die Mitbewohnerin reicht Blätter von der Küchenrolle zum Tränentrocknen, schließlich sagt Karin Stolowski: »Er hat nicht viel über seinen Job geredet. Die Inhaber der Agentur müssen ziemliche Idioten sein.«
      »Wieso das?«, fragt Mona. Vielleicht führt das irgendwohin.
      »Konni hatŠ hatteŠ total viele Ideen, supertolle kreative Ideen, aber die Inhaber sind von der Sorte Bloß-nichts-ausprobieren-könnte-ja-besser-sein-als-das-Bewährte. Die haben die Qualitäten vom Konni überhaupt nicht anerkannt.«
      »Aha.« Fehlanzeige.
      Fischer tut weiter so, als ginge ihn das nichts an. Sie muss alles allein machen.
      »Konni wollte da weg. Schon lange. Aber der Job bei Weber & Partner ist ziemlich gut bezahlt, und sich total selbstständig zu machen ist heutzutage riskantŠ«
      »Und dann ist er doch lieber geblieben.« Ein Angestellter, der glaubt, besser zu sein als seine Chefs. Deswegen wird selbst der cholerischste Boss nicht zum Mörder.
      »Sonst haben alle den Konni gemocht. Der hatte keine Feinde, dafür war er viel zuŠ« Erneutes Schniefen. Und ein vorwurfsvoller Blick der Mitbewohnerin wegen der Unsensibilität der deutschen Polizei. Mona steht auf, Fischer stößt sich endlich von seinem geliebten Fensterbrett ab.
      »Wie geht das alles weiter?«, fragt die Mitbewohnerin auf dem Flur. »Kommen Sie noch mal wieder, oder war's das jetzt?«
      Mona sieht sie an. Das Gesicht der Mitbewohnerin ist blass und ein bisschen aufgeschwemmt. Ein langer Pulli kaschiert ihre Figur. Sie ist viel unscheinbarer als Karin Stolowski. Etwas in ihr mag die Situation. Karin gehört jetzt ganz ihr.
      »Sind Sie ihre Freundin?«, fragt Mona.
      »Ja. Na ja. Eigentlich schon.«
      Wenn Karin gerade nichts Besseres vorhat.
      »Kümmern Sie sich um Karin. Sie braucht jetzt jemanden.«
      »Und Sie? Ich meine, muss Karin noch mal aufs Revier?« Aufs Revier. Das hat sie aus dem Fernsehen.
      »Sie muss ins Dezernat kommen, sobald es ihr besser geht. Wir müssen wissen, was am Abend vor dem Mord passiert ist. Sie darf also jetzt nicht wegfahren. Zumindest nicht, ohne uns Bescheid zu sagen. Können Sie ihr das ausrichten?«
      »Okay.«
      »Ich hab ihr meine Karte hingelegt und die Adresse vom psychologischen Dienst. Sie sollte da unbedingt hingehen. Wir melden uns morgen noch mal bei ihr.«
      »Ich sag ihr das.«

 

»Du warst ja eine tolle Hilfe.«
      Fischer antwortet nicht. Im Auto riecht es nach kaltem Rauch. Mona denkt daran, dass sie nicht gefrühstückt hat. Ihr Magen ist ein schmerzendes Loch. Wenn sie jetzt etwas isst, wird ihr möglicherweise übel. Sie hat wieder ihren toten Punkt. Das liegt daran, dass sie nachts so oft schlecht schläft.
      »Hallo. Ich rede mit dir.«
      »Du hattest doch alles bestens im Griff.« Fischer hat den Wagen angelassen, als sei ihm ihr Gerede völlig gleichgültig.
      »Was soll das denn heißen?«
      Fischer biegt in die Leopoldstraße ein. »Tolle Vernehmung. Du hast nicht mal gefragt, was an dem Abend vorgefallen ist. Wenigstens eine Liste hättest du dir geben lassen können von den Leuten, die Steyer kennen.«
      »Sie war völlig fertig. Außerdem steht es dir frei, dich bei der nächsten Befragung entsprechend deinen Vorstellungen einzumischen. Nur weil ich deine Vorgesetzte bin, hänge ich dir keinen Maulkorb um.«
      Fischer schweigt wieder. Er hält das Lenkrad lässig mit einer Hand und benimmt sich so, als sei Mona gar nicht da. Wie soll sie jetzt reagieren? Ihn fertig machen? Es auf die sanfte Tour versuchen? Versucht man jemals etwas auf die sanfte Tour, oder ist die sanfte Tour nur ein anderer Begriff für Feigheit vor dem Mitarbeiter?

 

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