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Janet Evanovich: Mitten ins Herz

Eine Leseprobe mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgruppe Random House.

 

Mitten ins Herz Mir schwante nichts Gutes, als Vinnie mich in sein Arbeitszimmer rief. Vinnie ist mein Chef und mein Vetter. Auf irgendeiner Klotür habe ich mal den Spruch gelesen: Vinnie rammelt wie ein Frettchen. Erst wusste ich nicht recht, wie das gemeint sein sollte, aber jetzt erscheint es mir einleuchtend, da Vinnie auch wie ein Frettchen aussieht. Der rubinrote Ring, der an einem Finger steckte, erinnerte mich an die billigen Blechjuwelen, die man auf der Kirmes an Spielautomaten gewinnen kann. Vinnie trug ein schwarzes Hemd und eine schwarze Krawatte, das schüttere schwarze Haar war pomadisiert und nach hinten gekämmt, in der Manier der Spielbankbosse in den alten Gangsterfilmen, und sein Gesichtsausdruck sagte klar und deutlich: nicht zufrieden.
      Ich sah ihn über den Schreibtisch hinweg an und versuchte, keine Miene zu verziehen. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
      »Ich habe Arbeit für dich«, sagte Vinnie. »Eddie DeChooch, dieser Schweinehund, wird vermisst. Spür ihn auf und schaff mir den Flacharsch hierher. Der Kerl hat sich mit einer Lastwagenladung Schmuggelzigaretten aus Virginia erwischen lassen, und jetzt hat er seinen Gerichtstermin versäumt.«
      Ich verdrehte die Augen so weit nach oben Richtung Schädeldecke, dass ich meine Haarwurzeln sehen konnte. »Ich laufe doch nicht hinter Eddie DeChooch her. Der Mann ist alt, er bringt Menschen um, und er geht mit meiner Oma aus.«
      »Eddie DeChooch bringt kaum noch Menschen um«, beruhigte mich Vinnie. »Er hat den grauen Star. Bei seinem letzten Versuch, jemanden zu töten, hat er ein ganzes Magazin in ein Bügelbrett verschossen.«
      Vinnie betreibt eine Kautionsagentur in Trenton, New Jersey. Vincent Plum, Kautionsmakler. Wird jemand eines Verbrechens angeklagt, hinterlegt Vinnie vor Gericht eine Barkaution; das Gericht setzt den Angeklagten bis zum Prozesstermin auf freien Fuß, und Vinnie kann nur hoffen, dass sein Schützling zum Gerichtstermin auch wieder erscheint. Sollte der Angeklagte sich dazu entschließen, auf das Vergnügen eines Gerichtsprozesses zu verzichten, ist Vinnie sein Geld los, es sei denn, ich spüre den Vermissten auf und führe ihn wieder der Justiz zu. Ich bin Stephanie Plum, Kautionsdetektivin, sprich: Kopfgeldjägerin. Ich hatte den Job damals angenommen, weil die Zeiten schlecht waren und nicht einmal die Tatsache, dass ich mit meiner Examensnote zu den oberen achtundneunzig Prozent meines College-Jahrgangs gehörte, mir zu einer besseren Position verhalf. Die wirtschaftliche Lage hat sich seitdem verbessert, und eigentlich gibt es keinen vernünftigen Grund, warum ich immer noch hinter den Bösen herrenne, außer dass es meine Mutter aufregt und ich bei der Arbeit keine Strumpfhose tragen muss.
      »Lieber würde ich den Job Ranger übertragen, aber der ist außer Landes«, sagte Vinnie. »Bleibst nur noch du übrig.«
      Ranger ist eine Art Söldner, der gelegentlich auch als Kopfgeldjäger tätig ist. Er ist ein Profi, bei allem, was er anfasst. Er kann einem Angst machen. »Was hat Ranger denn außer Landes zu tun? Was heißt überhaupt ðaußer LandesÐ? Asien? Amerika? Miami?«
      »Er nimmt in Puerto Rico eine Verhaftung für mich vor.« Vinnie schob mir einen Schnellhefter hin. »Hier ist die Kautionsvereinbarung für DeChooch und eine Festnahmebefugnis. DeChooch hat mich Fünfzigtausend gekostet, für dich kommen also fünftausend dabei rum. Fahr rüber zu DeChooch und find heraus, warum er gestern nicht zur Anhörung vor Gericht erschienen ist. Connie hat bei ihm zu Hause angerufen, aber es ist keiner rangegangen. Scheiße, vielleicht liegt er tot in seiner Küche! Ein Rendezvous mit deiner Oma hat schon so manchen umgehauen.«
      Vinnies Büro ist in der Hamilton Avenue, was auf den ersten Blick keine Topadresse für eine Kautionsagentur ist. Die meisten Agenturen befinden sich gegenüber vom Gefängnis. Der Unterschied besteht darin, dass viele Personen, für die Vinnie eine Kaution stellt, entweder Verwandte oder Nachbarn sind und in den Querstraßen zur Hamilton wohnen, in Chambersburg, kurz: Burg. Ich bin in Burg aufgewachsen, und meine Eltern wohnen noch immer da. Eigentlich ist es eine ziemlich sichere Wohngegend, weil die Kriminellen aus Burg peinlich darauf achten, ihre Taten lieber woanders zu begehen. Außer einmal vielleicht, als Jimmy Testament Zwei-Zehen-Garibaldi im Schlafanzug aus seinem Haus verschleppte und ihn auf die Müllkippe verfrachtete. Immerhin, die tödliche Prügelei fand nicht in Burg statt. Und die Männer, deren Leichen man im Keller des Süßwarenladens in der Ferris Street entdeckte, stammten nicht aus Burg, statistisch gesehen sind die also auch nicht relevant.
      Connie Rosolli blickte auf, als ich aus Vinnies Arbeitszimmer trat. Connie ist unsere Büroleiterin. Sie schmeißt den Laden, wenn Vinnie Bösewichte aufscheucht und/oder mal wieder Unzucht mit Haustieren treibt.
      Connie hatte ihr Haar auf den dreifachen Umfang ihres Kopfes hochtoupiert, trug einen rosa Pullover mit V-Ausschnitt, unter dem sich Brüste wölbten, zu denen eine wesentlich größere Frau gepasst hätte, und einen knappen schwarzen Strickrock, der einer wesentlich schmaleren Frau gestanden hätte.
      Connie gehört zum Inventar, seit Vinnie das Geschäft gegründet hat. Sie hat nur deswegen so lange durchgehalten, weil sie sich nichts bieten lässt und den mageren Sold an besonders schlechten Tagen mit einem Griff in die Portokasse aufbessert.
      Als sie mich mit dem Schnellhefter in der Hand sah, verzog sie das Gesicht. »Hast du wirklich vor, Eddie DeChooch hinterherzulaufen?«
      »Ich kann nur hoffen, dass er tot ist.«
      Lula fläzte sich auf dem Kunstledersofa, das an der Wand aufgestellt war und Kautionsnehmern sowie ihren bedauerlichen Angehörigen als Ankerplatz diente. Lulas Haut und der Sofabezug hatten beide den gleichen braunen Farbton, nur Lulas Haare hoben sich davon ab, heute waren sie kirschrot.
      Neben Lula komme ich mir immer ein bisschen blass vor. Ich bin Amerikanerin italienisch-ungarischer Abstammung in der dritten Generation. Von meiner Mutter habe ich die helle Haut und die blauen Augen, dazu die gute Verdauung. Ich kann Kuchen essen und kriege - meistens jedenfalls - anschließend immer noch den obersten Knopf meiner Jeans zu. Väterlicherseits habe ich einen nicht zu bändigenden braunen Haarschof und eine Vorliebe für italienische Gesten geerbt. Ohne Begleitung, mit tonnenschwerer Wimperntusche und zehn Zentimeter hohen Absätzen gelingt es mir, einiges Aufsehen zu erregen - wenn ich einen guten Tag erwische. Im Vergleich zu Lula bin ich Aschenputtel.
      »Ich würde dir ja gerne dabei helfen, den Kerl wieder hinter Gitter zu bringen«, sagte Lula. »Den Beistand einer Frau mit Übergröße könntest du bestimmt gut gebrauchen. Schade nur, dass ich den Anblick von Toten einfach nicht ab kann. Sehe ich einen Toten, kriege ich das kalte Grausen.«
      »Ich weiß gar nicht, ob er wirklich tot ist«, sagte ich.
      »Na gut«, sagte Lula. »Dann bin ich dabei. Wenn er lebt, poliere ich ihm die Fresse; wenn er tot ist, mache ich die Biege.«
      Lula hatte eine große Klappe, aber in Wahrheit sind wir beide die reinsten Waschlappen, wenn Fresse polieren angesagt ist. Lula war früher mal Nutte, heute macht sie die Aktenablage bei Vinnie. Als Nutte war sie so gut wie heute bei der Aktenablage, und Akten ablegen kann sie echt schlecht.
      »Sollen wir nicht lieber unsere Westen überziehen?«, sagte ich.
      Lula holte ihre Handtasche aus der untersten Schreibtischschublade hervor. »Wie du willst, aber ich ziehe diese Kevlar-Weste nicht an. Wir haben sowieso keine in meiner Größe da, außerdem würde sie meine individuelle modische Note kaputtmachen.«
      Ich trug Jeans und T-Shirt, keine besonders individuelle modische Note, also deswegen holte ich mir eine Weste aus dem hinteren Zimmer.
      »Meine Fresse«, sagte Lula, als wir nach draußen auf den Bürgersteig traten, »was haben wir denn da?«
      »Ich habe mir ein neues Auto gekauft.«
      »Recht so, Mädchen. Ein Klasseschlitten.«
      Es war ein schwarzer Honda CR-V, und die Raten brachten mich um. Ich musste mich entscheiden, wofür ich mein Geld ausgeben wollte, Essen oder cooles Auftreten, und cooles Auftreten hatte eindeutig den Vorrang. Alles hat schließlich seinen Preis.
      »Wo fahren wir überhaupt hin?«, fragte Lula und ließ sich neben mir nieder. »Wo wohnt der Scheißer?«
      »Wir fahren nach Burg. Eddie DeChooch wohnt drei Straßen weiter, vom Haus meiner Eltern aus.«
      »Trifft er sich wirklich mit deiner Oma?«
      »Sie hat ihn vor zwei Wochen zufällig bei einer Trauerfeier mit Leichenaufbahrung in Stivas Beerdigungsinstitut kennen gelernt, und anschließend sind sie Pizza essen gegangen.«
      »Glaubst du, dass die beiden einen losgemacht haben?«
      Beinahe hätte ich das Auto gegen die Bordsteinkante gesetzt. »Ihh! Sag so was nicht!«
      »Man wird doch noch fragen dürfen«, erwiderte Lula.
      DeChooch lebt in einem kleinen Zweifamilienhaus aus Backstein. Die eine Hälfte wird von Angela Marguchi, siebzig und ein paar Zerquetschte, und ihrer Mutter, neunzig und ein paar Zerquetschte, bewohnt, die andere Hälfte von DeChooch. Ich hielt vor DeChoochs Hälfte an, und Lula und ich gingen zur Haustür. Ich trug meine kugelsichere Weste, Lula ein elastisches Leopardenoberteil und eine gelbe Stretchhose. Lula ist von üppiger Gestalt, und sie neigt dazu, die Dehnbarkeit von Lycra voll auszureizen.
      »Du gehst vor und guckst nach, ob er tot ist«, sagte Lula. »Wenn sich herausstellt, dass er nicht tot ist, sagst du mir Bescheid, und ich komme und poliere ihm die Fresse.«
      »Von wegen.«
      »Hm«, sagte sie, die Unterlippe vorgestreckt. »Glaubst du, ich würde mich nicht trauen, ihm die Fresse zu polieren?«
      »Stell dich lieber neben die Tür«, sagte ich. »Nur für den Fall.«
      »Gute Idee«, meinte Lula und trat zur Seite. »Normalerweise habe ich vor nichts Angst, aber ich will keine Blutspritzer auf mein Oberteil kriegen.«
      Ich drückte die Klingel und wartete auf eine Reaktion. Es kam keine. Ich schellte ein zweites Mal. »Mr. DeChooch?«, rief ich.
      Die Tür zum Nachbarhaus ging auf, und Angela Marguchi steckte den Kopf hindurch. Sie war fünfzehn Zentimeter kleiner als ich, hatte weißes Haar, einen vogelartigen Schädel, eine Zigarette zwischen den Lippen, und ihre Augen waren vor Alter und Qualm ganz schmal. »Was soll der Radau?«
      »Ich wollte zu Eddie.«
      Sie musterte mich aus der Nähe, und ihre Miene erhellte sich, als sie mich erkannte. »Stephanie Plum. Meine Güte, Sie habe ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ich habe gehört, dieser Polizist von der Sitte hätte Sie geschwängert. Wie heißt er doch gleich? Joe Morelli.«
      »Ein böses Gerücht.«
      »Was ist nun mit DeChooch?«, fragte Lula. »Hat er sich mal blicken lassen in letzter Zeit?«
      »Der ist nebenan, zu Hause«, sagte Angela. »Aber er geht kaum noch raus. Hat Depressionen. Will mit keinem reden und so.«
      »Er geht nicht an die Tür.«
      »Er geht nicht mal ans Telefon. Sie können ruhig ins Haus gehen. Er lässt die Tür immer unverschlossen. Er sagt, er wartet darauf, dass jemand kommt und ihn erschießt und ihn von seinem Leid erlöst.«
      »Ganz bestimmt nicht wir«, sagte Lula. »Obwohl - wenn er ein bisschen was springen lässt, wüsste ich da jemanden, der...«
      Vorsichtig drückte ich Eddies Haustür auf und trat in den Flur. »Mr. DeChooch?«
      »Hauen Sie ab.«
      Die Stimme kam aus dem Wohnzimmer rechts von mir. Die Rollos waren heruntergezogen, und der Raum war dunkel. Ich blinzelte mit den Augen in die Richtung, aus der die Stimme kam.
      »Ich bin's, Mr. DeChooch. Stephanie Plum. Sie haben Ihren Gerichtstermin verpasst. Vinnie macht sich schon Sorgen um Sie.«
      »Ich gehe nicht zum Gericht«, sagte DeChooch. »Nirgendwo gehe ich hin.«
      Ich trat weiter ins Zimmer und sah ihn jetzt in einer Ecke auf einem Stuhl sitzen. DeChooch war ein drahtiger kleiner Mann mit weißen zerzausten Haaren. Er trug nur Unterhemd und Boxershorts am Leib, an den Füßen schwarze Socken und schwarze Schuhe.
      »Was sollen denn die Schuhe?«, fragte Lula.
      DeChooch sah hinab. »Ich friere an den Füßen.«
      »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie ziehen sich fertig an, und wir bringen Sie zum Gericht, damit Sie einen neuen Termin vereinbaren können«, sagte ich.
      »Hören Sie schlecht? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nirgendwohin gehe. Gucken Sie mich doch an. Ich bin depressiv.«
      »Sie haben keine Hose an. Vielleicht kommen daher Ihre Depressionen«, sagte Lula. »Ich jedenfalls wäre beruhigter, wenn ich nicht befürchten müsste, jeden Moment Ihren Piepmatz aus den Boxershorts baumeln zu sehen.«
      »Sie haben ja keine Ahnung«, sagte DeChooch. »Sie haben keine Ahnung, was es bedeutet, alt zu sein und nichts mehr auf die Reihe zu kriegen.«
      »Ja, ja, woher sollte ich auch?«, sagte Lula.
      Lula und ich hatten nur Ahnung, was es bedeutet, jung zu sein und nichts mehr auf die Reihe zu kriegen. Lula und ich kriegen nie was auf die Reihe.
      »Was tragen Sie da eigentlich?«, fragte mich DeChooch. »Ist das etwa eine kugelsichere Weste? Scheiße. Sehen Sie, was ich meine? Das ist einfach entwürdigend für mich. Das ist so, als würden Sie mich für zu blöd halten, Ihren Kopf zu treffen.«
      »Sie hat sich nur gedacht, ein bisschen Vorsicht wäre ratsam, weil Sie damals doch das Bügelbrett umgenietet haben«, erklärte Lula.
      »Das Bügelbrett! Das Bügelbrett! Was anderes kriege ich nicht mehr zu hören! Da macht man einen einzigen Fehler, und die Welt spricht nur noch darüber.« Er machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. »Ach, Mist, warum soll ich Ihnen etwas vormachen. Ich zähle doch längst zum alten Eisen. Wissen Sie, weswegen man mich verhaftet hat? Ich wurde verhaftet, weil ich Zigaretten aus Virginia geschmuggelt habe. Ich kann nicht mal mehr richtig Zigaretten schmuggeln.« Er ließ den Kopf hängen. »Ich bin eine Niete. Eine Scheißniete. Da kann ich mich auch gleich erschießen.«
      »Vielleicht haben Sie nur gerade eine Pechsträhne«, sagte Lula. »Wetten? Wenn Sie das nächste Mal wieder was schmuggeln, klappt es ganz bestimmt.«
      »Meine Prostata ist hinüber«, sagte DeChooch. »Ich habe unterwegs angehalten, weil ich pissen musste. Dabei haben sie mich geschnappt, auf der Toilette der Raststätte.«
      »Das ist wirklich ungerecht«, sagte Lula.
      »Das ganze Leben ist eine Ungerechtigkeit. Im Leben geht es nie gerecht zu. Ich habe hart gearbeitet, und ich habe mir alles Mögliche - angeschafft. Und jetzt bin ich alt, und was passiert? Ich lasse mich beim Pinkeln verhaften. Oberpeinlich.«
      Das Haus war in keinem besonderen Stil eingerichtet, vermutlich hatten sich die Möbel im Laufe der Jahre einfach so angesammelt. Eine Mrs. DeChooch gab es nicht. Sie war vor Jahren gestorben. Und DeChooch-Ableger gab es, soweit mir bekannt war, auch keine.
      »Ziehen Sie sich lieber was an«, sagte ich. »Wir müssen Sie wirklich dringend zum Gericht bringen.«
      »Na schön«, sagte DeChooch. »Ist schließlich egal, wo ich rumhänge. Da kann ich auch im Gericht meine Zeit vertun.« Er stand auf, stieß einen mutlosen Seufzer aus und schlurfte mit hängenden Schultern zur Treppe. Dort drehte er sich um und sah uns an. »Ich brauche nur eine Minute.«
      Das Haus ähnelte dem Haus meiner Eltern. Nach vorne raus lag das Wohnzimmer, in der Mitte das Esszimmer und nach hinten raus, zu einem schmalen Garten hin, die Küche. Oben befanden sich drei kleine Schlafzimmer und das Badezimmer.
      Lula und ich saßen in der Dunkelheit und der Stille und lauschten den Schritten von DeChooch im Schlafzimmer über uns.
      »Der hätte lieber die kleinen Muntermacher Prozac schmuggeln und sich gleich selbst ein paar einwerfen sollen«, sagte Lula.
      »Ich finde, er sollte mal seine Augen untersuchen lassen«, sagte ich. »Meine Tante Rosa wurde auch am grauen Star operiert, und jetzt kann sie wieder sehen.«
      »Ja, ja, mit gesunden Augen würde er sicher noch mehr Menschen töten. Das würde ihn ganz bestimmt aufmuntern.«
      Also gut, sollte er sich seine Augen lieber doch nicht operieren lassen.
      Lula sah hinüber zur Treppe. »Was macht er da bloß? Eine Hose anzuziehen kann doch nicht so lange dauern.«
      »Vielleicht findet er sie nicht.«
      »Glaubst du, dass er blind ist?«
      Ich zuckte die Achseln.
      »Ich höre ihn auch gar nicht mehr in seinem Zimmer rumoren«, sagte Lula. »Vielleicht ist er eingeschlafen. Das soll bei alten Leuten vorkommen.«
      Ich ging zum Fuß der Treppe und rief nach oben. »Mr. DeChooch? Alles in Ordnung?«
      Keine Antwort.
      Ich rief noch mal.
      »O Mann«, sagte Lula.
      Ich lief die Treppe hoch, zwei Stufen auf einmal nehmend. Die Tür zu DeChoochs Schlafzimmer war geschlossen, ich schlug mit der Faust dagegen. »Mr. DeChooch?«
      Immer noch keine Antwort.
      Ich machte die Tür auf und schaute ins Zimmer. Es war leer. Das Badezimmer war auch leer, ebenso die beiden anderen Schlafzimmer. Von DeChooch keine Spur.
      Scheiße.
      »Was ist los?«, rief Lula von unten herauf.
      »DeChooch ist weg.«
      »Wie bitte?«
      Lula und ich durchsuchten das ganze Haus. Wir sahen unter den Betten nach und in Kleiderschränken. Wir sahen im Keller nach und in der Garage. In DeChoochs Kleiderschrank hingen seine Klamotten, im Badezimmer lag noch seine Zahnbürste, und in der Garage stand friedlich sein Auto.

 

Aus dem Amerikanischen von Thomas Stegers
© Verlagsgruppe Random House
Alle Rechte vorbehalten!

 

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