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Chronik der schmutzigen Kriege

Mit seinen Romanen »Frankie Machine«, »Tage der Toten« und »Zeit des Zorns« hat sich der US-Autor Don Winslow in der internationalen Spitze der Krimiszene etabliert. Sein jüngster Roman »Kings of Cool«, ein prequel zu »Zeit des Zorns«, porträtiert die drei Ex-Hippie-Kids Ben, Chon und Ophelia, genannt O, und erzählt die Geschichte der südkalifornischen Drogenkultur von den Anfängen bis zu den knallharten Verteilungskämpfe der Narco-Kriege in Nordmexiko und den USA.

Von Thomas Wörtche

 

Kings of Cool

"Lado steht über der Leiche vom Doc./ Dann beugt er sich herunter, schlitzt dem toten Mann den Bauch auf, zieht seine Eingeweide heraus und formt aus dem Darm sorgsam das Wort/Papa". Was hier typographisch wie ein Gedicht aufgemacht ist, mutet an wie eine übliche Gräueltat aus einem der tausend Banal-Schocker, die sich an allerlei Ekelkram weiden. Die Szene beschreibt jedoch eine aktuelle Kulturpraktik: Die narcomensaje - ein im Kontext der mittelamerikanischen Drogenkartelle bei allen beteiligten Parteien verständlicher Code von Tötungen und Verstümmelungen, die über die Auslöschung eines Menschenlebens hinaus noch eine deutliche Botschaft kommunizieren.

Die Szene stammt aus dem neuen Buch von Don Winslow, »Kings of Cool«, der die Vorgeschichte des inzwischen von Oliver Stone als Savages verfilmten Romans »Zeit des Zorns« erzählt. Diese beiden Titel zusammen bilden eine Art Satyrspiel zu Winslows opus magnum »Tage der Toten«.

Alle drei Romane erzählen auf unterschiedliche Art vom "War on Drugs", dem heuchlerischen, bestenfalls wirklichkeitsfremden Kreuzzug der Drogenuser-Nation No 1, den USA, gegen die Hersteller- und Verteilerländer in Mittel- und Südamerika.

«Tage der Toten» ist ein 700-Seiten-Epos mit einem riesigen Figurenensemble, ein Panorama über 30 Jahre der blutigen Verflechtungen von Politik, Drogenhandel und informellem Kolonialismus; eine Chronik der schmutzigen Kriege, in denen Drogenkartelle, Geheimdienste und Regierungen mitmischen, die alle am stetigen Fluss von Drogen, Waffen, Geld, an Menschenhandel und an billiger Arbeitskraft interessiert sind. Und die gleichzeitig die politische Kontrolle über alles, was als "anti-amerikanisch" gilt, behalten wollen. 30 Jahre, in denen Regierungen die übelsten Dealer sind, in denen Kartelle auf ihren plazas (ihre geographischen Einflusszonen) die ordnungspolitische Hoheit behaupten und ihrerseits in ultrabrutale Konkurrenzkämpfe jeder gegen jeden verbissen sind. Winslows Story von einem Drogenfahnder und seinen Kartellrivalen endet in einem blutigen Kreislauf, in dem es "gut" und "böse" noch nicht einmal mehr als Grauzone gibt.

»Tage der Toten« und »Kings of Cool« kann man sich als kleines Fenster in dem Riesenpanorama vorstellen, in dem eine kleine Episode das große Drama beleuchtet. Drei Hauptfiguren, Ben, Chon und Ophelia, genannt O, sind in den beiden Romanen coole Dealer, Produzenten des besten Hydro-Grasses in Südkalifornien. Sie leben in einer Art "Jules et Jim", bzw. "Butch Cassidy & Sundance Kid"-Konstellation, einer heiteren menage à trois: Sie sind als Figuren im puritanischen Amerika eine Provokation für den moralischen Mainstream (und auch für den Mainstream von Genre-Literatur, die sich mit rauchfreien family values an eine Konsenskultur angeschmiegt hat, die der amerikanischen Variante von crime fiction historisch bis auf ein paar Ausnahmen fremd ist). Am Ende von »Tage des Zorns« sind die drei Freunde tot (oder: ziemlich wahrscheinlich tot - die Verfilmung von Oliver Stone bietet zwei alternative Endings an, die Sequel und Prequel gleichermaßen zulassen), sie waren dem Expansionsdrang des Baja-(de-California)-Kartells ins Gehege geraten, das, in Mexiko aus politischen Gründen unter Druck, nach Norden expandieren muss.

»Kings of Cool« geht zurück bis in die 1960s, erzählt die Vorgeschichte und rekonstruiert die kalifornische Drogenkultur aus ihren Anfängen in den seligen Hippie-Jahren. Der Roman exemplifiziert, wie aus "...Love und Peace Krieg und Gewalt wurden, aus Idealismus Realismus und aus Realismus Zynismus und aus Zynismus Apathie und aus Apathie Egoismus und aus Egoismus Habgier, und die Habgier war gut...". So spricht ein Alt-Hippie, der ein netter Psychoanalytiker geworden ist, aber auch Investor und Anteilseigner an einer florierenden Drogen-Firma, so dass seine Entscheidungen durchaus Todesurteile bedeuten können. Winslow fächert in den Familien- und Jugendgeschichten von Ben, Chon und O auf, wie die Ökonomien beiderseits der Grenze zusammenhängen. Eine Grenze, die nicht nur eine Staatsgrenze ist, sondern ein Graben zwischen arm und reich. Die USA profitiert von allem, was in Mexiko passiert und die Chance der Mexikaner ist, sich mit schierem Terror an dieser Nahtstelle einzuklinken, weil nichts außer Profit wirklich eine Rolle spielt. Winslows wütende Bücher blicken - natürlich - von Norden nach Süden, sie sind aber dennoch auch Teil einer regionalen Literatur, auf deren Südseite Autoren wie Gabriel Trujillo Muñoz, Daniel Sada oder Juan Pablo Villalobos stehen, was nicht heißt, dass die mexikanische Texte zu anderen Diagnosen kommen, nur zu anderen ästhetischen Lösungen.

Nach dem epischen Wurf von »Tage der Toten« verfeinert Don Winslow in »Kings of Cool« seine anti-epischen, literarischen Methoden. Noch mehr als in »Tage des Zorns« zersplittert er hier die Erzählung in 305 Mini-Kapitel, arbeitet mit ähnlichen Mitteln wie die Konkrete Poesie, pflegt nicht nur in der Figurenrede, sondern durchgängig eine ironisch-sarkastische Mündlichkeit, inklusive aller möglichen Abschweifungen, Anspielungen. Kontextsplitter der jeweiligen Zeiten eben, die kulturhistorisch präzise stimmen. Zwar wird der "allwissende Erzähler" explizit negiert ("die Vorstellung von einem allwissenden Erzähler ist doch sowieso für den Arsch, oder?"), aber deswegen turnt das Erzählen nicht auf post-modernen Meta-Ebenen herum. Winslow erzählt die "Geschichte des südkalifornischen/mittelamerikanischen Drogen-Kulturraumes" mit allen Komplexionen, Nuancen und Dynamiken so intensiv und genau an sein Personal gebunden, dass sich aus dessen unterschiedlichen Befindlichkeiten und Biographien (Chon, der gewaltbereite Prolo, O, das arme reiche Mädchen aus dysfunktionalen Verhältnissen, der "Denker" Ben, mit jüdisch-intellektuellem Background) ein ernstzunehmender Beitrag zu einer solchen Geschichte ergibt. Mentalitätsgeschichte der Hippie-Bewegung, Sozialgeschichte verschiedener Konzepte von Familie (die immer dann mitspielt, wenn in Romanen die Konzepte von biologischer und habitueller Familie wie Mafia, Kartell oder Militär gegeneinanderstehen - hier geht es um den freiwilligen Zusammenhalt dreier Menschen), Wirtschaftsgeschichte (Winslow beschreibt blendend, wie Drogen-, Immobilien- und Börsenmärkte organisch zusammenhängen) und damit natürlich auch Politikgeschichte - all diese Komponenten fließen quecksilbrig durch Winslows kleinteilige Erzählstrukturen und formen etwas Größeres.

»Kings of Cool« ist ein buntes, witziges kalifornisches Genre-Bild, eine feine, unkonventionelle Liebesgeschichte, ein Plädoyer für sinnvollen und eine Warnung vor bösem Drogenkonsum. Er ist zudem ein düsteres Mosaiksteinchen kulturellen Wandels. Literarisch, aber keinesfalls noch nur fiktiv.

 

Don Winslow: Kings of Cool. (The Kings of Cool, 2012). Roman. Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Deutsche Erstausgabe. Berlin: Suhrkamp, 2012, 349 S., 19,95 Euro (D), Kindle: 16,99 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2012
(Freitag, 22.11.2012)

 

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