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Leichenberg 10/2013

 

Ich töte lieber sanft

Man freut sich ja immer, wenn Klassiker des Genres wieder zugänglich gemacht oder manchmal auch endlich, nach Jahrzehnten, erstmals verlegt werden: Ohne die Verfilmung von »Killing me softly« mit Brad Pitt, einem sehr imponierenden James Gandolfini als alter ausgelaugter Killer und einem extrem counter-gecasteten Ray Liotta wäre vermutlich auch die Romanvorlage von George V. Higgins unter dem grenzwertigen deutschen Titel Ich töte lieber sanft (Kunstmann) nicht auf unserem Markt aufgetaucht. Regisseur Andrew Dominik beließ die Originaldialoge von 1974 im Film, auch wenn der in der Gegenwart spielt. Die deutsche Romanfassung übersetzt nun die mäandernden Monologe und schnellen Dialoge brav und anständig ins Hochdeutsche, naja, mit ein paar bösen Wörtern versetzt. Der Film hat es einfacher, da nuscheln, brabbeln und bramarbasieren die Figuren in den verschiedensten Soziolekten und Akzenten vor sich, wie es das englische Original vorgibt. Das überträgt sich nicht ins Deutsche. Überhaupt, Higgins und Deutschland - seit bekannt geworden ist, dass Elmore Leonard ihn toll gefunden hat, finden ihn alle toll: Mit Argumenten wie "lakonisch", mit "Humor gewürzt" und ähnlich unterirdischen Zuschreibungen. Higgins Methode war vielmehr, seine Gangster, lowlifer und kleinkriminellen Lumpis ewig lange, plappernde Tiraden halten zu lassen, um via Sprachmüll ihr Verhalten zu reflektieren. Eine Methode, die Tarantino in »Reservoirs Dogs« übernommen hat und seitdem in seinen Filmen durchdekliniert. Die Story von der hochgenommenen Pokerrunde, in der ein paar Leute ganz falschen anderen Leuten Geld wegnehmen und dafür bezahlen, wäre ohne die Monologe der Figuren auf 30 Seiten erzählt. In den 1970s hat dieses Prinzip bei Higgins prächtig funktioniert und war höchst innovativ. Heute sind nicht nur Tarantino sondern auch fröhlich beim Morden parlierende Gangster à la Sopranos über diese Erzählweise hinweggestiefelt. Ein spannender Autor ist Higgins trotzdem, seine Wiederentdeckung lobenswert, aber bitte nicht entlang fragwürdiger Paratexte.

Dirty Old Town

Ein guter, alter Bekannter ist wieder da: Wyatt, der australische Profigangster, den Garry Disher als talentiertesten Zögling von Richard Starks (= Donald E. Wastlake) Parker entworfen hat. Das war 1991, und bis 1997 durften wir uns an sechs Wyatt-Romanen erfreuen. Dann war lange, lange Pause, Garry Disher wandte sich anderen Projekten zu, u.a. der Cop-Serie um Hal Challis, um dann, 2010, Wyatt zurück an die Arbeit zu schicken: Dirty Old Town, heißt das neue Buch, bei Pulp Master mit einem wie immer grandiosen Cover des Hamburger Künstlers 4000 erschienen. Der erste Satz gibt gleich Drive und Groove des Ganzen vor, schnell, auf den Punkt: "Wyatt wartete darauf, einen Mann um fünfundsiebzigtausend Dollar zu erleichtern." Aber was sind letztlich fünfundsiebzigtausend Aussi-Dollars gegen Juwelen? Gegen viele Juwelen? Probleme gibt es allerdings, wenn der Einzelgänger Wyatt mit anderen Leuten kooperieren muss. Dann wird es hässlich, in dirty old town. Wyatt-Romane sind Spitze, eine ganz eigene Spielklasse.

Sherlock Holmes in Rio

Das jeweilige Gastland der Frankfurter Buchmesse sorgt meistens für Halden von Büchern, die ohne dieses Event nie und nimmer übersetzt oder neu aufgelegt worden wären. Die allermeisten zu recht nicht, ein paar allerdings sind wahre Perlen, für die man dankbar sein darf. So wie ein Klassiker der brasilianischen Kriminalliteratur: Sherlock Holmes in Rio (Insel) von Jô Soares, dessen netterer Originaltitel »O Xangò de Baker Street« (von 1995) einem biederen Deutschtitel weichen musste. Egal, ein Klassiker deswegen, weil sich inmitten der brasilianischen harten, urbanen crime fiction, der narrativa brutalista, plötzlich eine Gegenposition meldete und daran erinnerte, dass Kriminalliteratur aus mehreren Traditionssträngen besteht, aus denen man witzig, inspiriert und dennoch ziemlich schräg Kapital schlagen kann. Muito bom.

Weil wir vorhin gerade von Quentin Tarantino gesprochen haben - nicht nur seine Figuren leiden des Öfteren unter Logorrhoe, auch viele seiner Interpreten gefallen sich in wortreichen, jargonhaltigen und möglichst arg insiderhaft gehandhabten Exegesen, die man einem "Kult"-Filmer gegenüber vermutlich für angemessen hält: "Es wird eine Nähe von Tarantinos Filmen zu philosophischen Positionen von Nietzsche bis Baudrillard suggeriert, die mehr über die Lieblingslektüren der Autoren als über Tarantinos Filmemachen verrät", konstatieren Susanne Kaul und Jean-Pierre Palmier staubtrocken in ihrem Bändchen Quentin Tarantino. Einführung in seine Filme und Filmästhetik (Wilhelm Fink) Und so freut man sich sehr über ein wissenschaftlich knappes, knallhartes und schmales Buch mit hoher Gedankendichte, aus dem ich über Tarantino mehr gelernt habe als aus vielen schweifenden Auslegungen.

Und noch ein extrem lehrreiches Buch: Gewalt. Die dunkle Seite der Antike von Martin Zimmermann (DVA). Das Einführungskapitel "Wie über Gewalt sprechen und schreiben" sollte man vielen Autoren und Autorinnen von Gewaltschmonzetten an die Stirn tackern und vielen Blut & Modderfans gleich mit - der Rest des Buches zeigt ziemlich deutlich, auf was Zivilisation und Kultur in unseren Gegenden so basiert - ein perfektes Antidot gegen dummen Umgang mit gewaltsamem Sterben.

 

© Thomas Wörtche, 2013

 

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