kaliber .38 - krimis im internet

 

Dumme Verbrechen

 

 Raubtiere unter uns Der Buchhalter Walter Sherris hat einen guten Job in der kleinen Industriestadt Mall's Ford, Ohio, ein schönes Haus in einer der besseren Wohngegenden, eine hübsche Frau, deren Bewegungsradius sich hauptsächlich auf das eigene Heim begrenzt, und zwei propere Kinder - einen Jungen und ein Mädchen. Ein Leben wie im Werbeprospekt. Nach dem Abendbrot bringt ihm seine Frau eine Tasse Kaffee, und Walter macht noch einen kleinen Spaziergang.

Plötzlich gerät Sherris' Welt völlig aus den Fugen. Fünf Jugendliche schlagen den Familienvater sinn- und grundlos zusammen. Erst nach neun Tagen erwacht Sherris aus dem Koma; ob er sein zerschmettertes Bein jemals wieder schmerzfrei bewegen kann, ist fraglich.

Die Tat lastet auf Sherris wie ein Alpdruck, unter der auch seine Ehe zu zerbrechen droht. Während Sherris im Krankenhaus mit dem Tode ringt, flieht seine Frau mit den Kindern nach Boston, weil sie angeblich einen Brief erhalten hat, in dem sie und ihre Kinder bedroht werden. Doch hat Tracey wirklich einen Drohbrief erhalten oder war sie einfach nur zu schwach, um in den Stunden der Ungewißheit an seiner Seite auszuharren?

Die Suche nach den jugendlichen Tätern wird für Sherris immer mehr zu einer Obsession. Die Polizei hat keine Anhaltspunkte: Sherris konnte in der Dunkelheit die Gesichter seiner Peiniger kaum erkennen, aber an das hirnlose Gelächter kann er sich noch erinnern. Und an einen Namen...

Der Schweizer Unionsverlag hat mit Leigh Bracketts Roman "Raubtiere unter uns" alten Stoff ausgebuddelt: Das Original erschien 1957; bereits 1961 brachte der Goldmann-Verlag eine deutsche Übersetzung auf den Markt (Titel: "Ich war das Opfer"). Bracketts Roman lebt von der präzisen Psychologie der Hauptfigur. Die Besonderheit des Buches liegt darin, daß es eben nicht um das für Kriminalromane übliche, große Verbrechen geht:

"Eine der großen Legenden dieses Landes ist, daß große Verbrechen von raffinierten Gaunern oder raffinierten Mördern geplant werden, die dabei ein Vermögen gewinnen. Von Zeit zu Zeit kommt so etwas vor. Gelegentlich dreht jemand das große Dings bei Brinks und stiehlt der Bank ein oder zwei Millionen, und gelegentlich kassiert irgendeine Frau eine hübsche Versicherungssumme für jeden ihrer verstorbenen Ehemänner, aber die meisten Verbrechen sind einfach dumm, von dummen Menschen dumm ausgeführt. (...) Man wünschte sich manchmal, daß die Verbrecher mehr Verstand besäßen. Man würde sich dann sehr viel sicherer fühlen."

Putzig ist der moralische Impetus, mit dem Leigh Brackett ihre Leser am Ende zu mehr Wachsamkeit in der Erziehung aufruft. Anderes als moralische Appelle bleiben der Autorin aber auch nicht über, denn sie selbst scheint nicht an die integrative Kraft einer Gesellschaft zu glauben, deren favorisiertes Lebensmodell sich im Nirgendwo zwischen monatlicher Ratenzahlung fürs Auto und sonntäglichem Rasenmähen abspielt.

 

© j.c.schmidt, 1999

 

Leigh Brackett: Raubtiere unter uns. (The Tiger Among Us, 1957). Aus dem Englischen von Tony Westermayr. Zürich: Unionsverlag 1999, 220 S., 14.90 DM

 

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