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Tragische Tropen

 

Datumsgrenze Eine rasend spannende Robinsonade liegt nun bei Knaur als Taschenbuch vor. Windsor Chorltons "Datumsgrenze" ist eine der fesselnden Abenteuergeschichten, mit denen man sich am liebsten unter die Bettdecke verkriecht und sie in einem Zuge wegrüsselt.

Vor einer kleinen Insel bei Sumatra stürzt ein Luftschiff ins Meer. An Bord befinden sich einige militante Aktivisten der Öko-Gruppe "Wildguard" und der Rockstar Dexter Smith, der mit den Ökos seine neue Scheibe zu hypen versucht. Im Auftrag von Dexters Plattenfirma werden sie begleitet von dem Journalisten Jay Boucher - gleichsam der Chronist des Barden - und einem Filmteam.

Die Havarierten können sich an den Strand retten und beginnen sich auf der unberührten Insel einzurichten. Doch schon bald kommt es zu Spannungen. Leo Jaeger, Anführer der Ökos und ehemaliger Hell's Angel, will der Welt beweisen, daß "Wildguard" wirklich im Einklang mit der Natur leben kann. Jaeger's Frau Aquila, als Priesterin der Aktivisten für alles esoterische zuständig, erhebt das öde Eiland gleich in den Rang eines "spirituellen Ortes" mit einer Botschaft, die weiterzutragen ihre gemeinsame Aufgabe sei. Obgleich die meisten Pflanzen der Insel Fleischfresser sind, wollen die beiden das Fischen und Jagen verbieten und vegetarische Nahrung vorschreiben.

Was zu einem Triuphzug der Ökos werden soll, entwickelt sich zu einem schaurigen Fanal: Gesinnungs-Terror und die Machtspielchen in der Gruppe werden immer bizarrer. Die Gruppe zerfällt in zwei Lager, die sich zunehmend kriegerisch gegenüberstehen. Vor dem Strand tummeln sich die Haie, in den Sümpfen lauern die Krokodile und im Wald herrscht ein mächtiger Tiger, aber die schlimmsten Bestien sind die Havarierten selbst - bar jeder Zivilisation mutieren sie binnen kürzester Frist zu Zombies.

Chorlton will unterhalten, und das gelingt ihm - wenn auch nicht immer frei von Trivialitäten - trefflich. Er konterkariert das paradiesische Antlitz des Eilands mit den ekelhaftesten Lebewesen aller Art, die in den schleimigen Sümpfen hausen. Besonders fleischliche Vereinigungen mit der Natur bleiben dabei natürlich nicht aus. Den harmlosen Streit, ob die Insel die Bestandteile für eine spezielle Ernährung liefert oder nicht, dramatisiert Chorlton zu einem blutigen Wettrennen darum, wer nach einer Rettung die Geschichte in welcher Version in die Öffentlichkeit tragen darf.

"Datumsgrenze" ist aber mehr, als ein nur auf Unterhaltung zielender Spannungsroman: Windsor Chorlton hat einen glasklaren Blick für die kulturellen Verwerfungen, die sich immer ergeben, wenn alte Vorstellungen schon auf dem Weg zum Müllplatz der Geschichte sind, die neuen aber noch keine erkennbaren Konturen haben. Warten auf die Apokalypse... In diesem Sinne scheint der deutsche Titel passender als der nur auf den Schauplatz verweisende Originaltitel "Latitude Zero".

 

© j.c.schmidt, 2000

 

Windsor Chorlton: Datumsgrenze. (Latitude Zero, 1997).Roman. Aus dem Englischen von Dagmar Roth. München: Knaur Taschenbuch Nr. 61148 (München: Schneekluth, 1998), 521 S., 16.90 DM.

 

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