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Krimi-Auslese 01/2003

 

Rosenrot, mausetot Ein perfide geplottetes Actionspektakel ist der jüngste Roman »Rosenrot, mausetot« von James Patterson. Ein Mega-Fiesling, der sich selbst "Das Superhirn" nennt, bittet die Washingtoner Cops um den promovierten Psychologen Alex Cross zu einem infamen Tanz. Mit ungeheurer Brutalität inszeniert "Das Superhirn" eine Serie von Banküberfallen, bei denen mehrere Angestellte und Familienangehörige den Tod finden, obgleich die Täter unbehelligt mit ihrer Beute hätten fliehen können. Angst hält die Bundeshauptstadt und die umliegenden Gemeinden im Würgegriff - Dr. Cross und seine FBI-Kollegin Betsey Cavalliere stochern im Nebel.

Eine Katastrophe bahnt sich an, als der vielköpfige Vorstand eines Versicherungskonzerns in Washington tagt: Das Superhirn kapert einen Sightseeing-Bus, in dem die Familienangehörigen der Manager durch die geschichtsträchtige City gondeln. In Rekordzeit ist das Lösegeld bereit gestellt - doch wird das Superhirn diesmal tätsächlich seine Opfer verschonen, wenn die Versicherungsgesellschaft seine Forderungen erfüllt?

Soweit recht ansprechend. Doch James Patterson hechelt durch seine Story und vergisst dabei, den Leser mitzunehmen. Die Geschichte ist derart fleischlos erzählt, dass man den Roman allenfalls als Absichtserklärung lesen kann. Patterson versäumt es, aus seinen Figuren Menschen zu machen, und sie mit Gefühlen zu beleben: Für Alex Cross und seine Kollegen ist der Schauplatz eines barbarischen Verbrechens nicht aufwühlender als ein sonntäglicher Besuch im Naturkundemuseum. Und wer jemals einen Menschen getroffen hat, dessen Kind lebensbedrohlich erkrankte, wird Pattersons gespür- und lustlos hingekritzelten Strang um die Tumorerkrankung der Cross-Tochter Jannie nur als zynisch empfinden.

Schade - der Stoff ist gut. Vielleicht schreibt mal jemand den Roman, zu dem James Patterson mit »Rosenrot, mausetot« die Skizze geliefert hat?

James Patterson: Rosenrot, mausetot. (Roses are Red, 2000). Thriller. Aus dem Amerikanischen von Edda Petri. Deutsche Erstausgabe. München: Ehrenwirth, 2002, gebunden mit Schutzumschlag, 302 S., 19.90 Euro (D)

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Beute - Prey Nach »Timeline«, seinem nicht ganz geglückten Ausflug ins Mittelalter, bearbeit Michael Crichton mit seinem neuen Roman »Beute - Prey« wieder das Feld, das er am besten beherrscht: die Schnittstelle zwischen Gegenwart und Zukunft. Und Crichton präsentiert sich wieder als exzellenter Virtuose des Spannungsbogens. Selbst die eher bedächtige und mit etwa einhundert Seiten nicht gerade knappe Ouvertüre weiß er so geschickt mit geheimnisvollen Elementen zu versetzen, dass man sich an seinen Roman auf Anhieb richtig festknabbert.

Thema des Buches ist die Nanotechnologie: winzige, von Menschenhand geschaffene Organismen, die jedes für sich von recht schlichter Fähigkeit sind, aber in der Masse als verteilte Intelligenz erstaunliche Leistungen zeigen. Schwärme dieser Winzroboter lassen sich z.B. so programmieren, dass sie als Auge funktionieren und Bilder aus Gefilden liefern, die dem menschlichen Blick bisher verschlossen blieben: aus dem Inneren eines Herzens etwa, wo die künstlichen Mikroorganismen, von der entsprechenden Software gesteuert, gleich die Verkalkungen von den Innenwänden kratzen können.

Lustvoll und scharfsinnig spielt Crichton mit der Frage, wie sich dieses programmierte Mikroleben entwickelt, wenn es in freier Natur auf nicht-künstliches Leben trifft: mörderisch, soviel darf man getrost vorwegnehmen. Erst sind es Schlangen, Kaninchen und Kojoten, die die Killer-Schwärme draußen in der Wüste Nevadas darniederraffen, dann sind es die Menschen selbst - zumindest diejenigen, die dem unheilvoll-evolutionieren Treiben der Nanopartikel ein Ende setzen wollen. Angeführt wird die von den Schwärmen belagerte Gruppe von dem Entwickler der Software, die das Verhalten der einzelnen Nanoteilchen ausgerechnet nach dem Beute-Jäger-Muster koordinieren soll.

Natürlich ist das Muster solcher Geschichten immer gleich: Wissenschaftler, die draußen in der Wüste von tödlichem Kleinstvieh belagert werden, sind spätestens seit dem gruseligen Science-Fiction-Klassiker "Phase IV" von 1973 bekannt. Natürlich repetiert "Beute" mit Mikromonstern, was Crichton in "Jurassic Park" schon mit Riesenungeheuern zeigte. So what? Crichton liefert mit (fast) jedem Roman ungemein solide Arbeit und ist einer der ganz wenigen bestsellernden Autoren, der seine Leser nicht nur Kurzweil und Lesevergnügen bis zum Abwinken verwöhnt, sondern sie mit ethischen und politischen Themen konfrontiert: Crichton stellt heute die Fragen, über die morgen zu diskutieren vielleicht zu spät wäre. So sind seine Thriller vielleicht nichts für ästhetische Feingeister, aber sie sind im besten Sinne aufklärerisch. Wem sonst unter den verkaufsträchtigen Autoren des Genres kann man solche Meriten an die Brust heften?

Michael Crichton: Beute - Prey. (Prey, 2002). Roman. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. München: Blessing, 2002, gebunden mit Schutzumschlag, 448 S., 24.00 Euro (D)

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Das Fest der Taube Eine deutsche Stimme, der mehr Gehör zu wünschen wäre, ist die von Alexandra von Grote. Frau von Grote hat mittlerweile vier Romane um die ehemalige Berliner Kommissarin Florence Labelle geschrieben, die jetzt im südfranzösischen Nîmes lebt und arbeitet. »Das Fest der Taube« ist atmosphärisch dichter, niveauvoller Kriminalroman aus der verschneiten Provinz: Einen Tag vor Heiligabend wird eine Prostituierte ermordet, die ihrem Gewerbe in einem Wohnwagen auf einer Waldlichtung nahe des Dorfes Puech-Soleil nachging. Von den Dorfbewohnern will niemand sie gekannt haben - nicht einmal von ihrer Existenz und ihrem gewerblichen Treiben nur ein paar Schritte weiter habe jemand gewusst. Auch bei den Jägern, die etwa zur Zeit ihres Todes an dem Wohnwagen vorbeigekommen sind, beißen Kommissarin Labelle und ihr Kollege Alain Roche auf Granit. Ein paar Spuren deuten darauf, die Tote könne vielleicht aus Spanien stammen, doch gelingt es den Polizisten nicht, das Opfer zu identifizieren. Einen Tag später, am Heiligabend, wird ein geistig zurückgebliebener Dorfbewohner tot aufgefunden. Kommissarin Labelle verhängt eine Urlaubssperre für ihre Beamten, und lässt zum Unmut aller die männlichen Bewohner des Dorfes verhören.

Mit ruhiger, fast melancholischer Stimme erzählt Alexandra von Grote ihre Geschichte und legt Schicht für Schicht den Mikrokosmos Puech-Soleil frei. Hinter der Idylle des verschneiten Provinzdorfes entfalten sich Dramen menschlicher Abgründe, in die immer mehr Bewohner verwickelt werden. Zwischen all den schlichten Regionalkrimis, die dem deutschen Leser zugemutet werden, ist »Das Fest der Taube« in der Tat ein sehr ansprechender Kriminalroman. Getrübt wird das positive Bild von den Anleihen aus den Heftromanen, in denen Alexandra von Grote die Ingredenzien fürs Privatleben ihrer Hauptfigur gefunden hat: Sind bei der Lebensgefährtin die Nerven angespannt, bringt das Hausmädchen einen Vosne Romané Jahrgang 1985.

Alexandra von Grote: Das Fest der Taube. Roman. Originalausgabe. Fischer Taschenbuch Nr. 15488, 256 S., 8.90 Euro (D)

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Das Simenon Lesebuch Georges Simenon und seine Serienfigur Kommissar Maigret sind in Europa ungefähr so bekannt wie Jesus Christus oder Coca-Cola. Selbst wer noch kein Simenon-Roman zu Hand genommen und verschlungen hat, muss in seinem Leben via Fernsehen, Radio, Zeitung oder sonstiger Medien so häufig auf den Namen gestoßen sein, dass sich nicht mal der Moderator einer RTL-Gameshow zu fragen traute, welcher Mesch die Maigret-Romane geschrieben hat.
Meint man.

Dieser Tage traf ich auf einen jungen Menschen - Jahrgang etwa 1975, Sozialisation West -, der auf den Namen "Simenon" und das Stichwort "Kommissar Maigret" reagierte, als hätte man nach dem amtierenden Vize-Europameister im Synchronschwimmen gefragt. Der Belgier Georges Simenon hat in der Tat Literatur von Weltrang verfasst, aber es geht hier nicht darum, einen Bildungskanon für das Abendland zu definieren. Nur: Wer nie einen Simenon-Roman gelesen hat, hat sich selbst um eine außerordentlich erbauliche Lektüre gebracht. Seit Flaubert gibt es wohl keinen Schriftsteller, der so anschaulich kleinbürgerliches Denken, kleinbürgerliches Empfinden und kleinbürgerliche Ängste beschrieben hat. Denn Simenon beschreibt seine petits gents nicht nur, er legt ihre Gehirne frei. Mit Simenon schauen wir ihnen direkt in die Köpfe - und in unsere eigenen.

Eine Einladung, sich mit Simenons Werk zu beschäftigen, ist "Das Simenon-Lesebuch", das in einer neuen, nochmals erweiterten Ausgabe bei Diogenes erschienen ist. Das Taschenbuch umfasst kleine und etwas längere Prosastücke, Geschichten mit und ohne Kommissar Maigret, Interviews und Tagebuchaufzeichnungen, Reportagen und Briefe, biographische Skizzen und bibliographische Abrisse - ein Werk, das richtig einlädt zum Schmökern, zum Vor- und Zurückblättern, zum Verweilen und zum Rumspringen.

Die unterschiedlichen Texte von Simenon zeigen eine guten Querschnitt durch das Werk des Autors (dessen einhundertster Geburtstag dieser Tage begangen wird) und machen allemal Lust auf mehr. Nicht ganz gelungen ist die Auswahl an Texten über Simenon, die sich in bloßer Lobhudelei erschöpfen und analytisch schlicht nichts hergeben. Material, wie z.B. Thomas Wörtches Simenon-Essay "Das Versagen der Kategorien", der auch ein großes Stück Simenon-Rezeption aufarbeitet, und andere Schriften zu Simenon würden diesen Band noch erheblich bereichern.

Das Simenon Lesebuch. Erzählungen/Reportagen/Erinnerungen/Briefwechsel mit André Gide/Brief an meine Mutter. Herausgegeben von Daniel Keel. Zürich: Diogenes Taschenbuch Verlag, 2002 (1. Aufl. - Zürich: Diogenes, 1982), 384 S., 10.90 Euro (D)

 

© j.c.schmidt, 2003

 

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