kaliber .38 - krimis im internet

 

Krimi-(Vor-)Auslese 04/2021

 

Der gekaufte Tod Black books matter - der April lockt mit gleich zwei frischen Stimmen der afroamerikanischen Kriminalliteratur: In Detroit spielt Der gekaufte Tod von Stephen Mack Jones (Tropen Verlag, dt. Ulrike Wasel und Klaus Timmermann). Der Roman erzählt von dem ehemaligem Cop August Snow - Sohn eines afroamerikanischen Polizisten und einer mexikanisch-amerikanischen Malerin -, der mit seinen Ermittlungen in einer Korruptionsaffäre Kollegen des eigenen Reviers und lokale Politiker bis hin zum Bürgermeister zu Fall brachte. Um ihn kalt zu stellen, wurde August Snow aus dem Polizeidienst entfernt, bekam dann aber einen Schadensersatz von satten zwölf Millionen Dollar zugesprochen. Nach einer einjährigen Auszeit mit viel Alkohol kehrt August Snow nun nach Detroit zurück und beginnt ein neues Leben: In Detroits Mexicantown, dem heruntergekommenen Viertel seiner Kindheit, kauft Snow mehrere Häuser und richtet sie hübsch her. Kurz nach seiner Rückkehr wird eine der mächtigsten Unternehmerinnen der Stadt tot aufgefunden. Die Polizei erkennt auf Selbstmord, doch August Snow zweifelt an der offiziellen Version. Er macht sich auf die Suche nach dem Mörder - und, so verspricht es der Verlagstext, "gerät in einen gefährlichen Strudel, der ihn in Detroits dunkelste Winkel hinabzieht.". "Der gekaufte Tod" ist der Auftakt zu einer Krimireihe mit dem multikulturell verwurzelten Ex-Cop August Snow, der in bisher drei Krimis ermittelte - gewiss cooler Stoff aus Motor City!

 

Blacktop Wasteland Ölfleckig auch der zweite afroamerikanische Text: Blacktop Wasteland von S. A. Cosby (ars vivendi, dt. von Jürgen Bürger) erzählt die Geschichte von Beauregard »Bug« Montage. Bug, so entnehmen wir der Beschreibung, ist ein ehrlicher Automechaniker und fürsorglicher Familienmensch - und schlicht der beste Fluchtwagenfahrer diesseits des Mississippi. Seit einem Knastaufenthalt weiß Bug, dass er sich nicht mehr auf krumme Touren einlassen will. Weil sein Leben aber mal wieder ins Trudeln geraten ist - da ist die Zahnspange der Tochter zu bezahlen und die Mutter droht aus dem Pflegeheim zu fliegen -, setzt er sich bei einem Banküberfall noch einmal ans Steuer eines Fluchtwagens. Es kömmt, wie es hat kömmen müssen - und bald schon sind ihm nicht nur die Cops auf den Fersen. Klar, klassischer Stoff das - wir denken an James Sallis' Driver und an ungezählte Romane (und Filme), in denen ein treuherziger Gauner einen letzten Coup landen will (oder muss, weil ihm die Wirklichkeit keine andere Chance gönnt): In der Asphalt-Ödnis Virginias, so die US-Rezensionen, verheddert sich Bug in den Fallstricken aus Armut, Hautfarbe, krimineller Vergangenheit - und eigentümlich interpretierter Männlichkeit. Black lifes matter - und das Knie, das einem die Luft zurschnürt, hat die unterschiedlichsten Erscheinungsformen.

 

Der heilige King Kong Zu den etablierten und vielfach mit Preisen ausgezeichneten Stimmen der afroamerikanischen Literatur gehört James McBride. 1995 hatte McBride den autobiographischen Roman "Die Farbe von Wasser" veröffentlicht, in dem er über seine Kindheit in Brooklyn der Sechziger Jahre berichtet. Fixpunkt des Romans ist seine Mutter Ruth, die als Tochter eines polnisch-stämmigen Rabbiners ihre Familie in Virginia verliess und in New York einen Schwarzen heiratete. McBrides Roman wurde in diverse Sprachen übersetzt, hielt sich lange in den Bestsellerlisten und erwarb sich schnell des Status als Klassiker der jüngeren amerikanischen Literatur. Wieder zurück in die Sechziger Jahre und an den gleichen Schauplatz Brooklyn führt der ganz frische Roman Der heilige King Kong (btb, dt. von Werner Löcher-Lawrence): "An einem warmen Septembertag im Jahr 1969", heisst es im Verlagstext, "tritt der alte Diakon Cuffy Lampkin, genannt 'King Kong', mit einer Waffe auf den zentralen Platz seines Sozialbauviertels, hält sie vor aller Augen dem hiesigen Drogendealer ins Gesicht - und drückt ab. Ausgerechnet King Kong, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann...". Tatsächlich verfehlt der Schuss den neunzehnjährigen Drogenhändler - die Kugel hinterlässt nur ein lädiertes Ohr -, aber die Revolver-Detonation bringt das soziale Gefüge der Siedlung ins Wanken, in der die Schicksale aller Gemeindemitglieder - der Afroamerikaner wie der Latinos, der abgehalfterten Mafiosi wie der korrupten Cops - eng miteinander verflochten sind. James McBride, so schreibt Marcus Müntefering bei SPIEGEL online "ist ein unermüdlicher Fabulierer, ein begnadeter Geschichtenerzähler, dessen von Werner Löcher-Lawrence kongenial ins Deutsche übertragene Satzkaskaden von enormer Komik sind und immer wieder höchst elegant Raum und Zeit transzendieren.". Na, das klingt ja nach einem echten Leckerbissen!

 

Grimme Stunden Unter dem schönen Title Grimme Stunden erscheint im Ullstein Verlag ein spannendes Werk der jungen US-Autorin Casey Cep (dt. von Claudia Wenner). "Sechs Morde, ein Prediger und Harper Lees letzter Roman" heisst es weiter im Untertitel. Worum geht's? Im Jahre 1960 feierte die Schriftstellerin Harper Lee mit ihrem Debüt-Roman "Wer die Nachtigall stört" einen weltweiten Erfolg. Das Buch verkaufte sich Bombe, wurde von der Kritik gelobt, mit renommierten Preisen bedacht und erfolgreich mit Starbesetzung verfilmt. Dann wurde es still um die weltberühmte Autorin Harper Lee. Sie zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und kämpfte mit einer andauernden Schreibblockade und einem starken Drang zu alkoholhaltigen Getränken. 1978 tauchte Harper Lee auf dem Radarschirm wieder auf: Ein berüchtigter Prediger aus Alabama soll binnen mehrerer Jahre zwei Ehefrauen und drei weitere nahestehende Verwandte getötet und deren Lebensversicherungen kassiert haben. Der Reverend war mehrmals vor Gericht gestellt, aber immer wieder freigelassen worden. Auf der Beerdigung des letzten Opfers schließlich wurde der Prediger vor knapp dreihundert Zeugen von einem trauernden Angehörigen erschossen.
      Harper Lee war von dem Fall des Mehrfachmörders wie elektrisiert. Sie verfolgte den Prozess gegen den Rächer seines letzten Opfers und soll in der Gegend von Alexander City mit nahezu jedem Menschen gesprochen haben, der auch nur entfernt im Zusammenhang mit dem Prediger stand - mit Angehörigen der Opfer, mit Polizisten, Journalisten und Zeugen. Aus der Fülle ihres Materials wollte Lee einen True-Crime-Roman nach dem Bilde des berühmten Capote-Buches "In Cold Blood" (1966) formen (Haper Lee war seit Kindheitstagen mit Capote befreundet und hatte als studierte Juristin Capote für dieses Buch zugearbeitet). Obgleich die Autorin viel Zeit, Mühe und auch Geld in ihr Projekt mit dem Arbeitstitel "The Reverend" investierte und schon Star-Schauspieler für eine Filmversion zu begeistern versuchte, wurde es doch allmählich wieder mäusestill um die Schriftstellerin. Ein Buch über den mordenden Reverend erschien nie - bis zu ihrem Tod im Februar 2016 blieb "Wer die Nachtigall stört" Harper Lees einziges Buch.
      Wie Harper Lee auf den Spuren des mordenden Reverend ist die Autorin Casey Cep auf Harper Lees Wegen durch Alabama gereist und hat nach mehreren Jahrzehnten ihre Spuren gesichert. Entstanden ist ein Buch über einen echten Kriminalfall - und ein Buch über ein Buch, das nie erschienen ist - über eine Autorin, die in tiefes Schweigen versunken ist. Schon diese Brechung verspricht höchste Spannung - und Auflösung, denn vielleicht ist Casey Cep mit "Grimme Stunden" eben das Buch geglückt, das Harper Lee hatte schreiben wollen.

 

Die Fälscherin von Venedig Opulenter historischer Stoff bei Christian Schnalke, der vor zweieinhalb Jahren mit Römisches Fieber (Piper) nach dem Bilde der romantischen Literatur einen lesenswerten Roman vorgelegt hat. Hauptfigur war der junge Franz Wercker aus Memmingen - Zimmermannssohn, Vatermörder und Möchtegern-Dichter -, der 1818 auf Goethes Spuren nach Italien reiste und in der spannenden Zeit des Umbruchs von der höfischen zur bürgerlichen Gesellschaft diverse Abenteuer überstehen musste. Nun die Fortsetzung der Abenteuer Werckers: Die Fälscherin von Venedig führt uns in die namentliche Lagunenstadt (die 1818 von Österreich beherrscht wurde, wie wir uns belehren lassen mussten) und zu einem der größten Kunstraube aller Zeiten: Beim Rücktransport napoleonischer Beutekunst sind Unmengen von Meisterwerken verschwunden - darunter eines der berühmtesten Kunstwerke der Antike, die legendäre Laokoon-Gruppe. Wercker quartiert sich ein in einem Palazzo am Canal Grande und dringt als Kunsthändler getarnt immer tiefer vor in das gefährliche - und tödliche - Labyrinth der venezianischen Kunstwelt. Die Aachener Zeitung schrieb, Christian Schnalke gelinge "mit einem spannenden Plot und einer detailverliebten Originalität, die er mit kunsthistorischer Wissensvermittlung paart, ein lesenswerter Historienroman" und der Kölner Stadtanzeiger bewunderte "das pralle Erzählen, in dem die Farben kräftig leuchten" (über "Römisches Fieber"). Für das aktuelle Buch "Die Fälscherin von Venedig" verspricht der Verlag einen "mitreißende(n), kluge(n) und empfindsame(n) Roman über den Zauber der Kunst und die Macht der Liebe". Wow - wir sind bereit!

 

Laviolette auf Trüffelsuche Lachnummer des Monats: Laviolette auf Trüffelsuche von Pierre Magnan (Fischer, dt. von Irène Kuhn). Pierre Magnan ist ein brillanter, ungemein sprachgewaltiger Autor von eigentümlichen, wunderbar sperrigen Kriminalerzählungen aus der Provence. Um die Jahrtausendwende irrlichterte sein komplexes Werk im Scherzverlag, wo dieser Schatz im literarischen Niemandsland zwischen Agatha Christie und Kaufhaus-Krimis nicht wirklich funkeln konnte. Fischer hat Magnans prächtigem Laviolette-Roman in der druckfrischen Taschenbuch-Ausgabe ein Coverbild mit Lavendelfeld und dem Titelzusatz "Ein Kriminalroman aus der Provence" verpasst - jetzt fristet Pierre Magnans Buch ein tristes Dasein in dem Stapel mit den merkwürdigen Südfrankreich-Ferien-Krimis aus - meist - deutscher Feder. Lachnummer? Eigentlich ist's doch eher zum Heulen! Ein Trost wäre es, wenn Fischer wieder alle Pierre-Magnan-Romane und -Erzählungen zugänglich machte. Dann, ja dann, könnte man, vielleicht, unter gewissen Umständen, aber wirklich auch nur dann...

 

Das Geheimnis des Totenwaldes Kurzer Blick in die Mediatheken: Hinter dem reißerischen Titel Das Geheimnis des Totenwaldes verbirgt sich ein beeindruckendes, eher leises mehrteiliges Psychodrama, das einen Bogen über ein gutes Vierteljahrhundert spannt (ARD, in der Mediathek ist der Film in sechs Teile zerlegt, im analogen TV war er als Dreiteiler zu sehen). Erzählt wird die Geschichte des gewissenhaften Hamburger Polizisten Thomas Bethge, der im Sommer 1989 zum Hamburger LKA-Chef ernannt wird. Kurz nach der Beförderung verschwindet Bethges Schwester Barbara, die im niedersächsischen Weesenburg lebt und sich gerade einen Ehekrieg mit ihrem Mann liefert, dem Unternehmer Robert Eder. Kurz vor dem Verschwinden der Frau hatte man in einem Wald unweit von Weesenburg zwei Liebespaare erschossen aufgefunden. Wurde auch Bethges Schweser Barbara Opfer eines Verbrechens? Grausiges Spiel eines Serienmörders? Aber wie passt das Verschwinden der Frau zum Tod der Liebespaare? Hat sich der Unternehmer Robert Eder seiner Frau entledigt, um eine teure Scheidung zu vermeiden? Eine Aktion aus der Unterwelt, um Druck auf den LKA-Chef auszuüben?
      "Das Geheimnis des Totenwaldes" (Drehbuch: Stefan Kolditz, Regie: Sven Bohse) verfolgt in mehreren Zeitsprüngen den Ermittlungen der kleinstädtischen Polizei in Weesenburg, denen der Hamburger LKA-Mann Bethge nur aus der Ferne und einflusslos folgen kann. Die Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen, die Suche nach dem Täter (wenn es überhaupt einen gibt) ist nur das Gerüst des TV-Dramas - eigentlicher Kern ist die Ungewissheit der Angehörigen, denen die Jahrzehnte währende toxische Verzweiflung zusetzt wie ein Krebsgeschwür. Der Stoff, der auf einen tatsächlichen Kriminalfall basiert, ist von ruhiger Hand in Bilder umgesetzt und von tollen Schauspielern lebensecht vorgetragen (u.a. Matthias Brandt, Karoline Schuch, Nicholas Ofczarek und - iiiehhh!, ist der gut! - Hanno Koffler). Bis zum berührenden Ende fein gemachte Fernseh-Ware.

 

Laviolette auf Trüffelsuche In der schönen Landschaft Mecklenburg-Vorpommerns spielt der TV-Mehrteiler Die Toten von Marnow, den sie ebenfalls in der ARD-Mediathek finden. Literarische Vorlage ist der gleichnamige Roman von Holger Karsten Schmidt, der im Frühjahr 2020 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen war. Im linearen TV wurden "Die Toten von Marnow" in vier Teilen ausgestrahlt, in der Mediathek finden sich acht einzeln betitelte Episoden. Der Film, der mit den ständig sichtbaren Waffen der Ermittler wie ein Western daherkommt, spricht an mit erfreulich kantigen Figuren und einer bis in die kleinsten Rollen tollen Besetzung. Die Schweriner Kommissare Lona Mendt (Petra Schmidt-Schaller) und Frank Elling (Sascha Geršak) ermitteln im Fall eines vermeintlichen Serienmörders, der seine Opfer mit einem Kehlenschnitt tötet. Die Spuren der Toten führen die Polizisten nach Marnow zu einem Campingplatz am See, einem Krankenhaus, an dem zu Zeiten der DDR exklusive Behandlungen ermöglicht wurden, und weiter zur kapitalfreudigen Pharmaindustrie. Ach Gottchen! Klar, die Stasi hat auch die Finger im Spiel. Die blasse Geschichte wird von den beeindruckenden Figuren mühelos geschultert - bis fast zum Schluss. Verzichten Sie auf den achten Teil, der zu schlechter Musik all das aufzulösen versucht, was bis dato den Figuren eine geheimnisvolle Aura verlieh. Schade!

 

Moon Pix Wenn ich mein Gemüt aufhellen möchte, höre ich die wundervolle Cat Power. Mein aktueller Lieblingssong: "Cross Bones Style", ein schlichter, kraftvoller Song, der schon 1998 auf Cat Powers-Album "Moon Pix" erschienen war. Nicht bekannt war mir das schöne Video zu dem Track, das Brett Vapnek gedreht hat. "There is something sacred in this artist" hat jemand in den Youtube-Kommentaren geschrieben - besser kann mans nicht auf den Punkt bringen (und auch nicht besser in Bildern einfangen, als es Brett Vapnek mit seinem Video gelungen ist). Wenn Sie schon Cat Power auf Youtube anschauen: Verpassen Sie nicht ihre famose Darbietung des Songs "Metal Heart" in der David Letterman-Show vom April 2008. Zum Brüllen gut der Schlagzeuger, der am Anfang der Performance unbeteiligt wirkt wie ein schlechtgelaunter Jazz-Dozent, dann aber zunehmend wacher wird und die Becken zum Rauschen bringt, dass einem vor Freude die Ohren klingeln. Hammer!

 

Viele weitere Anregungen finden Sie in den Neuerscheinungen April 2021.

 

© j.c.schmidt, 2021

 

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