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Profil und Neurose

Gerd Friedrich Marenke über den Roman »Der siebte Tag« von Ingrid Black

 

Der siebte Tag Kennen Sie Dublin? Dublin im Regen? Dann wissen Sie, dass es angenehmere Orte auf der Welt gibt. In "Der siebte Tag" regnet es ständig, aber das ist nicht der einzige Grund, warum wir uns an andere Stelle wünschen.

Saxon aus Boston geht es nicht anders. Früher Sonderermittlerin beim FBI, nach Irland gekommen wegen der Liebe, nach Verlust derselben hängengeblieben, sitzengeblieben, verlassen auch von sich selbst. Saxon ist cool und hart, Saxon hat keinen Vornamen, aber sie hat den Kopf voll mit all den Toten, den Tatorten und all dem Blut, all den zynischen Schlächtern in der Gerichtsmedizin, die ihr Sandwich so nebenbei auf den Stahltisch legen, während sie das Herz des Opfers wiegen.
Und ihre Seele leer und voll von all den Mördern.

Saxon sitzt beim Frühstück in einem Café, hier ist es warm und hell, draußen kalt, nass und fast dunkel. Winter in Dublin. - Die Tür öffnet sich und Auftritt Nick Elliot, Reporter bei der Post, sie kann ihn nicht leiden, diesen storygeilen Schmierfinken, der noch den letzten Dreck durch das Blatt zieht. - Saxon ist schon bei ihrer kubanischen Zigarre und hört dem Mann nur mit halbem Ohr zu, als sie Mühe hat, cool zu bleiben wie es sich gehört für Saxon. Elliot hat einen Brief von Ed Fagan. Der hatte fünf Jahre zuvor als Dubliner Night Hunter Prostituierte in Serie gemordet, stranguliert, gemessert, gemeuchelt. Dann war er eingefangen worden, doch sein Prozess platzte nach ein paar Tagen wegen... nun ja, wegen bestimmter Verfahrensfehler und anderer Ungereimtheiten. Jedenfalls konnte Fagan nachhause gehen. Saxon war damals schon weg vom Bureau und Autorin zweier Bücher über Serientäter. Das dritte sollte über Ed Fagan sein und sie hatte sich schon ein paar Mal mit ihm getroffen, als er eines Tages einfach verschwand. Ihr Buchprojekt platzte, aber alle waren froh, dass Fagan nicht mehr mordete.

Nicht mehr mordete. Saxon liest den Brief. Ed Fagan kündigt an, fünf Prostituierte binnen fünf Tagen zu töten und am siebten Tag sei er von der Polizei zu fassen, sonst wäre er für immer verschwunden...

Saxons Festplatte rattert. Von Ed Fagan kann das nicht sein, denkt sie (und teilt ihr kleines Geheimnis gleich zu Anfang mit uns Lesenden), denn dem hat sie ja in den Kopf geschossen, als er sie angriff, damals, bei ihrer letzten Begegnung. Eine Kugel, ein Treffer, mitten ins Gesicht. Kein schlechter Schuss für aus der Übung. Und ein extra tiefes Grab hat sie ihm geschaufelt, oben in den Bergen. Wer ihn da findet, muss schon nach etwas anderem gesucht haben.

Dann haben wir die erste tote Hure, unten am Kanal, wo die billigsten stehen, die Junkies. Die übliche Polizei-Routine greift, Chief Superintendent Grace Fitzgerald hat den Fall, sie ist Chefin der Mordkommission bei der Dublin Metropolitan Police und sie hat ein Verhältnis, eine Beziehung mit Saxon. Die wird von Fitzgerald als Beraterin ins Boot genommen, schließlich kennt die sich aus mit Fagan, mit Serienmördern und Täterprofilen.

Natürlich glauben alle bei Polizei und Presse an Fagan als Täter, und auch Fitzgerald hat Mühe, zu Saxon zu halten, zu eindeutig sind die Parallelen, je mehr tote Frauen dazukommen. Gut, Saxon weiß es besser, aber das muss sie für sich behalten, sie hat damals nicht mal versucht, auf Notwehr zu machen. - Was sie braucht, ist ein ordentliches Täterprofil und sie bekommt es ausgerechnet von Mort Tillmann aus Boston, der der Grund ist für ihr Dasein in Dublin. - Der Zufall will es, dass Tillmann gerade hier ein Gastsemester über Profiling gibt, damit auch die irische Metropole teilhaben kann an den Methoden zeitgenössischer Kriminalistik. So also kommt Saxon zu ihrem Profil und wir haben uns wieder einmal einzufühlen in die enorme Seele eines Psychopathen, der die Welt erretten will, indem er sie von Huren säubert.

Der Lauf der Ermittlungen gestaltet sich als gnaden- und schier endloses Whodunnit, in dem so ziemlich jeder mal in Verdacht kommt; war es der Schmierfink, war es der Profiler, nein, sie waren es nicht, wie wir schmerzlich lernen müssen, immer noch einer kommt dran und als am Ende der Täter feststeht, sehen wir ein, dass Ingrid Blacks Bemühungen um Originalität sich selbst erschlagen im Spiel mit unserer Geduld. - Auch kann von einem ordentlichen Police procedural die Rede nicht sein, die Ermittler irren kopflos von Leichnam zu Leichnam, immer an der Leine des großen Unbekannten, allgegenwärtig, allmächtig und nicht zu fassen. Die den Plot tragenden Ideen sind allerdings verbrannt bis dort hinaus, man will es nicht mehr hören, man hat es längst satt.

Saxon wird immer irrsinniger in all dem Irrsinn, sie macht haarsträubende Fehler, weil sie ihren Mörder endlich haben will. Eben nicht Fagan, aber das wissen inzwischen alle, denn sie hat irgendwann mal ein Handy geklaut und per SMS sein Grab verraten. - Und als Saxon den Täter endlich hat, lädt er sie auf ein paar Gläser Whiskey ein, die ihr ums Haar zum Verhängnis werden.

Ingrid Blacks Erstlingswerk ist ein eigentlich überflüssiges Buch und manchmal merkt sie das. Dann verschont sie uns Serienkiller- und Pathologie-Experten (und nach höchstens zwei Kay-Scarpetta-Jobs sind wir das doch alle, oder?) mit dem immer gleichen "Fachwissen", manchmal lässt sie Saxon aus sich sprechen, zweifelnd, ob das noch jemand wissen will. Das aber reicht auf die Strecke nicht. Es ist ein auf vierhundertsechsundvierzigeinhalb Seiten hochgeblasenes Dokument über die Leere des Sujets, so als hätte es genau dieses Stück noch gebraucht zum Beweis, wie auskomponiert die Profiling/Serienmörder-Melodie doch ist.

 

Ingrid Black: Der siebte Tag. (The Dead, 2003). Roman. Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller. Deutsche Erstausgabe. München: Bertelsmann, 2004, gebunden mit Schutzumschlag, 446 S., 21.90 Euro (D).

 

© Gerd Friedrich Marenke, 2004

 

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