kaliber .38 - krimis im internet

 

Kein Spass, drei Mal

Gerd Friedrich Marenke über Ruth Rendell, Horst Eckert und Boris Akunin

 

Wieder ein Jahr rum, wieder all die gelesenen Bücher auf dem großen staubigen Stapel, den wir gefressen haben und er uns. Es waren gute darunter und sehr gute, wir haben gelacht und geweint, getanzt mit den Plots, Stories geliebt, Tage und Nächte vergeigt mit all dem Stoff.
Im folgenden, zwingend persönlichen Beitrag geht es um die andere Sorte, um das Zeug, das genervt hat, das ich nur zuende gelesen habe, weil bis zuletzt die Hoffnung nicht vergehen wollte. Er bezieht sich auf drei im Jahr 2001 gelesene Bücher. Das Erscheinungsjahr erfahren Sie weiter unten, wenn Sie wollen.

 

1. Wexford hüstelte taktvoll
Wer Zwietracht sät von Ruth Rendell

Wer Zwietracht sät Nach einem Viertel habe ich den Roman nur noch "Mein Umgehungsstraßenbauverhinderungsversuchbuch" genannt. Etwas hölzern vielleicht, aber den richtigen Titel konnte ich mir schon gar nicht merken. Es geht also um den Bau einer Straße, die in Kingsmarkham keiner will, um Bürgerprotest zum Schutz der Natur und gegen staatliche Willkür, selbst Chief Inspector Wexford opponiert in seinem 18. Fall mit der gebotenen beamtlichen Zurückhaltung, und Gattin Dora engagiert sich. - Außerdem wird zufällig, also beim Suchen nach etwas anderem, eine stark verweste Leiche gefunden, weiblich, deutsch, auf Reisen in England zu Lebzeiten. Vergewaltigung, Raub, Mord. Hm. Ob da noch mal die Rede drauf kommt? Erstmal nicht, wenn wir einmal von einem Kollegen Wexfords absehen, der einen schlecht riechenden Taxifahrer immer wieder mal der Tat verdächtigt.

Baubeginn. Bulldozer machen unter Polizeischutz all die schöne Natur weg, und die üblichen Profi-Demonstranten in Robin-Hood-Wood-Good-Gear und langen lila Röcken haben ihre Baumhäuser zu Protestzwecken bezogen. Da gibt es auch radikalere Aktionen als die der Baumleute, Büros der Baufirma und der Stadtverwaltung werden überfallen, Scheiben eingeworfen, Baumaschinenreifen kaputtgemessert, all das. Tatsache ist, dass wir es mit einem Öko-Krimi zu tun haben, einer Schublade in der Großen Kommode, von der wir nicht wissen, ob sie uns noch gefehlt hat. Öko ist eigentlich immer gut, weil da sind alle für. Oder möchten Sie eine völlig überdimensionierte Umgehungsstraße durch das "zauberhafte Flusstal" (Klappentext) da draußen? Natürlich nicht, aber Sie wollen sie hauptsächlich nicht vor der eigenen Haustür, und da kommen wir der Sache schon näher.

Nun aber weiter: Es passiert das Unvorstellbare: Fünf Menschen verschwinden, darunter Dora Wexford. Bald meldet sich eine Gruppe von Ökoterroristen, und da haben wir den Salat - Entführung. Die Forderung ist klar: Baustop! Keine Umgehungsstraße sonst Geiseln tot! Wexford ist also erstens Chefermittler und zweitens zunächst Betroffener, und wir wissen nicht wohin mit unserem Mitgefühl, denn dass er seine Dora so lieben und brauchen würde, hätte nicht nur er selbst kaum geglaubt. Es ist so oft die Abwesenheit von Menschen und Dingen, die uns ihre Bedeutung erst schmerzlich weist, nicht wahr.

Wexford hat ein Glück, seine Dora kommt bald unversehrt frei und redet schier endlos über Erlebtes, teils unter Hypnose, angeleitet von einem polizeilichen Experten. Was macht man nicht alles, wenn man nichts macht.

Ruth Rendell schreibt einen typisch pseudokritischen Unterhaltungs- und Betroffenheitsroman, in dem Personenvielzahl die allgegenwärtige Leere verbergen soll, ein Buch für die ganze Familie, das keine Phrase auslässt. Die Baumleute haben schlechte Haut, tragen schmuddeliges Zeug und parken ihre schäbigen Autos auf der Wiese eines Mannes, über den geredet wird, als wäre er ein Kollaborateur. Wir erleben anhand diverser Lebensläufe den Niedergang des englischen Landbürgertums, den die Autorin zu begrüßen scheint. Es lebe der Mittelstand. Den 447 Seiten langen Vortrag der Lady Rendell of Babergh als "wertekonservativ" zu denunzieren, täte ihr einen Riesengefallen, also nennen wir ihn reaktionär. - Dass es nach knapp 300 Seiten die erste Leiche gibt, die mit der Sache selbst zu tun hat, freut uns schon wegen des body counts. Wer hat beim Lesen nicht gern Beschäftigung.

Immerhin wird der Tod der deutschen Touristin Ulrike Ranke noch aufgeklärt. Nicht aufgeklärt wird, was diese Geschichte in all dem anderen Quatsch zu suchen hat. Egal, schließlich wird auch der Entführungsfall gelöst, indem Wexford im Finale sein weises, sozialpsychologisch geschultes Kinn auf die Kriminalistenfaust stemmt, kurz durchgrübelt und nach London aufbricht, die Täter zu fassen. Hätte Rendell diesen gewiss bizarren Einfall nicht gehabt, säße sie immer noch an dem Ding, ungelogen. Die Schadstoffemission aus den Schloten der Kriminalliteratur ist höher als nötig. Wer aber interessiert sich schon für Umweltschutz an uns Lesenden.

"Ein Meisterwerk der Krimikunst." - Donna Leon.

Empfehlenswert im Zusammenhang ein Beitrag von T. Wörtche unter
www.kaliber38.de/woertche/wcw0200.htm

Ruth Rendell: Wer Zwietracht sät. (Road Rage). Roman. Aus dem Englischen von Cornelia C. Walter. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2000 (1. Aufl. - München: Blanvalet, 1998), 446 S., 16.90 DM

 

2. Der Spezialist
Die Zwillingsfalle von Horst Eckert

Die Zwillingsfalle Chapeau, auf so ein Ding muss man erstmal kommen. Vielleicht gelingt uns eine Annäherung anhand der verwickelten Personen:
Leo Köster, SEK-Supercop in der Krise, frisch geschieden, darf "den Kurzen" nur sehen, wenn es der Mutter passt; erschießt im Einsatz versehentlich einen Kollegen, wird zur Kripo versetzt, Parkinson-Diagnose, bewahrt für eine Zeugin Kokain auf, das ihm gut schmeckt und gegens Zittern hilft. Bald zieht seine Ex-Frau Brigitte - natürlich wegen des Jungen - diskussionslos wieder bei ihm ein, und am Abend desselben Tages geht er sich eine Geliebte suchen, nämlich die mit dem Koks. Viel Scheiß am Hals, der Mann.
Und Martin Zander, noch ein Mann in der Krise, korrupter Bulle mit totem Sohn und umständehalber stark depressiver Frau. Erschießt einen Verdächtigen, weil ihm der wegen einer anderen Sache im Weg rumsteht. Seine Frau begeht Selbstmord, vielleicht deshalb, jedenfalls ist auch sie tot.
Drittens die Kriminalpolizistin Ela Bach, eine Frau auf dem Weg nach oben, doch all die Machos im Düsseldorfer Präsidium hintertreiben ihren Aufstieg, quengeln, querulieren und sind doch nur scharf auf sie.
So. Dann schultert irgendwer eine schwere lange Waffe unvorstellbaren Kalibers, geht mit ihr in die Sauna und schießt sechs Menschen über ihren eigenen blutigen Haufen, Riesensauerei natürlich, aber zum Glück ist gekachelt. Köster büßt dabei sein date ein, Zander den Kollegen und korrupten Mitstreiter Arnie Haffke. - Na klar, Ela Bach übernimmt den Fall und die von Eckert so sorgfältig aufgestellten Schachfiguren finden sich endlich.

Hab mal versucht, die dem eigentlichen Fall zugrunde liegende Konstruktion darzustellen. Sie ist so haarsträubend erfunden, dass ich mir fehlerfreier Arbeit nicht sicher sein kann. Ich entschuldige mich vorab für etwaige Verständnislücken. Nun denn:
Verena Larue wird zusammen mit ihrem Mann in der gemeinsamen Wohnung überfallen und vergewaltigt. Der Komplice des Vergewaltigers ist der ehemalige Verlobte des Opfers; er steht während der Tat hilflos daneben und greift nicht ein, obwohl er Verena noch immer unsterblich liebt!
Dieser junge Mann ist Marco Jagenberg. Fühlt sich um sein Glück geprellt, als er erfährt, dass Verena L. seine Schwester ist. Tötet den gemeinsamen Vater mit seinem Auto!
Darius Jagenberg hatte als Student ein Verhältnis mit einer Marianne Fischer. Seine Eltern verwerfen die Beziehung als nicht standesgemäß. Die daraus hervorgegangene Jasmin lernt er später auf eine Annonce hin kennen und verliebt sich in sie wegen der starken Ähnlichkeit mit der Mutter, wohl wissend, dass sie seine Tochter ist. Ilka Fischer, die zweite Tochter der Marianne F. (mit einem anderen Mann), sieht Schwester Jasmin zum Verwechseln ähnlich. Die beiden lernen sich z u f ä l l i g kennen, ziehen zusammen und treten als singende "Golden Twins" auf. Sie ist ein ganz schlimmer Finger, steht auf Kokain und hat ein Verhältnis sowie weitere Geschäfte mit Arnie Haffke.
Leo Köster, die 2. Ist nach einer schnellen Nummer mit Ilka schwer verliebt, wendet sich aber nach deren Tod umstandslos Jasmin zu. Auch nicht leicht zu verstehen. Die eine leicht blöd, lasziv und bös, die andere intelligent und gut, Psychologin.

Habe ich vorhin was von Schach gefaselt? Falsch. Ich halte den Roman für ein überchoreografiertes Marionettenballett. Die Drähte verheddern sich nur, wenn die Figuren sich zu nah kommen, berühren.
Horst Eckert wurde von der Kritik gelobt, weil er "Die Zwillingsfalle" gründlich recherchiert und jeden Faden zuende gesponnen hat. Gut gesprochen, aber wo verläuft zum Beispiel die Grenze zwischen der sachdienlichen Beschreibung eines Schießgewehrs und fein recherchierter Waffenkunde? - Ist Köster nur tumber Waffennarr, wenn er die beim SEK verwendeten Puffer besser findet als die der K? Weil jene schönere Löcher machen? Und was nützt uns die ganze prima Recherche, wenn wir nicht viel mehr erfahren als das unvergessliche Organigramm der Düsseldorfer Kripo? Wie ein Helm-Mikro bedient wird? Was ist das für eine Sorte Authentizität, an deren Ende wir erschöpft vom Hocker fallen und stöhnen: Männer! Technik! Psychologie! - Zweitens: Wer eine solche Riesenstory aus dem Boden reißt, sollte sie auch gründlich fertig bringen können, schließlich sitze ich nicht in der U-Bahn, lese was Zweispaltiges und kräusele erregt die Stirn, wenn ein Nebensatz droht. - Und gerade im "Zuendeschreiben" seiner Fäden guckt bei Eckert manchmal der Bürokrat durch die Zeilen. Das ist schade.
Der Autor arbeitet an was Neuem. Mal gespannt. Hoffentlich kommt er dann nicht mit den Dienst-, Urlaubs- und Schießplänen seiner Leute in der "Festung".

Horst Eckert: Die Zwillingsfalle. Kriminalroman. Originalausgabe. Dortmund: Grafit, 2000, 352 S., 18.80 DM

 

3. Der tauben Nuss später Friede
Fandorin von Boris Akunin

Fandorin “Fandorin" heißt das Buch nach seinem unstrittigen Helden, dem wunderbaren unsterblichen charmanten gut aussehenden also unwiderstehlichen Detektiven, Erast Petrowitsch mit Vor- und Vatersnamen, Grünschnabel, eigentlich Schreiber beim Moskauer Kriminalpolizeiamt aus gutem, also reichem aber verarmten Haus. Der Titel des russischen Originals lautet “Asasel" nach einer alttestamentarischen Engelsgestalt, der die Gemeinde zur Vergebung ihrer Sünden einen Bock als Opfer in die Wüste schickte. Asasel ist und kann aber noch viel mehr - ich komme gleich darauf zurück.

Fängt ganz harmlos an: Ein reicher Student gesteht einer Fremden im Park seine Liebe, nimmt eine Waffe und schießt sich tot. Eine aus der Hauptstadt Sankt Petersburg eingeschleppte Unsitte - das Moskau des Jahres 1876 muss sich erst noch daran gewöhnen. Diese Tat ist Ausgangspunkt der Ermittlungen unseres jungen Fandorin, er lässt den Selbstmord nicht bei den Akten ruhen, geht hinaus in die Stadt und stellt Fragen.
Der Fall weitet sich erwartungsgemäß aus, Fandorin erhält Unterstützung aus der Hauptstadt, denn die zweite Leiche des Stücks hat einen Opa in der Regierung Seiner Majestät. Des Toten letztes Wort war “Asasel" und Staatsrat Brilling, der geniale Superbulle aus Petersburg, erklärt Fandorin und uns kühl, wer und was das ist: Asasel sei es, der den Juden im Buch Henoch “allerlei unnütze Dinge" lehre, den Männern “Kriegführen und Waffenbauen", den Frauen “Schminken und Abtreiben. Mit einem Wort, ein rebellischer Dämon, ein Geist der Geächteten." Nicht judeophobe Wahnvorstellungen waren es also, wie Fandorin im Reflex wähnte, kein neuerlich zu vergießendes Christenkinderblut und keine jüdische Weltverschwörung, denn auch dafür hält Asasel bis heute hin.

Akunin schreibt im Stile seiner Vorväter, wie sich das gehört für einen historischen Roman, und er greift dabei zurück auf ewige Stereotypen, etwa Dostojevskijs übliche Unterteilung von Frauen nach der Haarfarbe: gut gleich blond und böse gleich schwarz. Bankrotteure, Spieler und Duellanten aus Spaß bevölkern die Szene. Seine launigen Zwischenrufe ans lesende Publikum hätte er sich meinetwegen auch sparen können, aber wem's gefällt...

Nun entfaltet sich eine unglaubliche Geschichte, zusammen gesponnen aus dem kometenhaften Aufstieg des Erast Petrowitsch und seinen Ermittlungen, die zunächst an einem Staatskomplott und der Niederringung einer nihilistischen Verschwörung herumspekulieren, dann aber bei einer weltumspannenden Waisenhausgroteske zur definitiven Perfektionierung der Welt landen, endlos verharren - und scheitern. Ich glaube dem ganzen Text kein Wort und ich verstehe ihn oft nicht. Fandorin fragt sich durch auf seine dummfreche und nassforsche Art, alle sagen ihm sofort die Wahrheit, weil er so nett ist und schnell errötet (oder gut zahlt). Er reist gar ins ferne England, entgeht mehrfach dem sicheren Tod und wird am Ende reich und berühmt, man zieht den Hut vor ihm, selbst die, die er zur Strecke brachte. Er bekommt die Frau seiner Träume, jünger noch als er selbst und das Antlitz so schön, dass keines Menschen eitle Worte dies zu beschreiben je nur wagen sollen. Ein Märchen?

Der Schluss ist megaschlimm, ich habe ihn dreimal gelesen und nicht begriffen, wer das Briefchen schrieb, wessen Arm abgerissen geflogen kam und wer der Mann im teuren Frack wohl war, der betrunken auf Moskaus Twerskoi gesehen ward. Am Ende schreibt Akunin gar zu krass auf die Fortsetzung hin. - Vielleicht ist das der Grund, aus dem das Buch seinen wahren Titel nicht trägt.

Olga Martynova bemerkt in ihrer Besprechung dieses Buches und seines gerade erschienenen Nachfolgers “Türkisches Gambit" im Berliner “Tagesspiegel": »Natürlich ist all das nicht todernst zu nehmen. Akunin erobert das breite Publikum eben dadurch, daß sein Erzählen ein Spiel ist - ein geschickt konstruiertes Spiel für gebildete Leute.«

Vielleicht hab ich mich deshalb so geplagt.

Boris Akunin: Fandorin. (Azazel). Roman. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Deutsche Erstausgabe. Aufbau Taschenbuch Nr. 1760, 289 S., 16.90 DM, 8.50 Euro (D)

 

© Gerd Friedrich Marenke, 2001

 

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