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Nacht über Soho

Gerd Friedrich Marenke über Gerald Kershs Roman »Nachts in der Stadt«

 

Nachts in der Stadt Noir heißt das Zauberwort, auch wenn kein Mensch so richtig was damit anfangen kann. Schon gar nicht nach der kraftraubenden Lektüre von Gerald Kershs Klassiker »Nachts in der Stadt«. Als Nische der Kriminalliteratur scheint Noir aber zu funktionieren, wie die mit viel Beifall bedachte Neuedition der Romane Jean-Patrick Manchettes zeigt - auch wenn ich selbst nichts finden kann an Manchettes gestelzter Sinnlosigkeit, seiner hammerharten, bis zur Groteske zersteigerten Brutalität und Dialogen, die niemand versteht.

Nein, so ist Kersh nicht. Keine zerstreuten Hitwomen oder Ex-Trotzkisten auf Menschenfang, sondern kleine Gauner, Huren, Luden, Lumpen, Verlorene im Sumpf der Riesenstadt auf der Suche nach dem kleinen großen Glück, dem schnellen Pfund oder einem Job gegen das Verhungern. Nicht leicht in London Mitte der Dreißiger Jahre, Mikrokosmos Soho, damals etwa so chic wie Onkel Ede sein Sakko, aber so gefährlich wie der Blick in das abgesägte Blasrohr in deines Mörders Mund.

Nehmen wir Harry Fabian. Kleiner Zuhälter, Hochstapler und Lügner aus Passion, aus Gewohnheit; ein Mann mit gut entwickelter krimineller Energie und Ambitionen. Er will ans große Geld und er will ins Ringkampfgeschäft. Natürlich nicht diesen griechisch-römischen Quatsch, wo sich zwei Weicheier stundenlang umtanzen, ohne dass ein einziger Knochen bricht. - Er will dreckiges Wrestling, er will es krachen hören, Blut aus allen Löchern und die fiesesten Tricks. Und vor allem will er kreischende Frauen, die unten am Ring verrückt spielen bis zur Ohnmacht für die Jungs da oben und die Jungs dahinter. - Das will Harry und er braucht dazu einen Partner mit Kontakten und Aussicht auf Geld. Dieser Mann ist Joe Figler, Geschäftsmann und Soho-Gentleman. Die gemeinsam gestellte Aufgabe, je hundert Pfund aufzutreiben, erledigen sie auf sehr eigene Weise; Fabian durch eine wirklich gemeine Erpressung, Figler durch eine geniale Finanzierungsspirale, selbstgezwirbelt und ein echter Turnschuhjob, für den er einen ganzen Tag braucht und am Ende 200 Pfund Schulden hat - aber den großen Schein hat er auch. Paradebeispiel für den Kapitalkurs und wunderbar geschrieben.

Fabian ist ein cooler Typ, also geht er die Hälfte seines Erlöses ein paar Stunden später "mit Freunden" versaufen, wir landen im Silver Fox Club, einer als Nachtbar verkleideten Kellerspelunke, Mikrokosmos Nummer 2: Helen und Adam treffen sich hier, sie "Hostess", er Kellner, beide nicht halb so verloren wie alle/s um sie herum, aber ohne große Wahl: Sie kein Geld für die Miete, er ohne Dach überm Kopf. Beide neu im Geschäft, auch sie mit Ambitionen auf ein richtiges Leben. Gute Liebe kommt über sie in all dem Dreck, und wir fragen uns besorgt: Kann das gut gehen?

Kann es nicht. Wenn allgemeines, gründliches Scheitern Kriterium für den Noir-Roman wäre, landete "Nachts in der Stadt" in der Spitzenklasse. Nicht aber blinder Ehrgeiz und Gier, nicht maßlose Selbstüberschätzung und Größenwahn bringen all die schönen Pläne letztlich zu Fall, sondern die Krönungsfeierlichkeiten für König George VI. Die Londoner Polizei räumt nämlich im Vorfeld auf, und so können Fabian und Figler ihren Gym zwar aufmachen und ein paar monströse Ringer trainieren für den ersten Kampf, aber mehr als der findet nicht statt und der eine ist schon abgeschmackt genug. - Das Ganovenstück nimmt seinen Lauf, alle stehen am Ende mit Nichts da (außer Figler vielleicht, solche wie der kommen immer durch), und Fabian ärgert sich, dass er keine Familie gegründet hat, dann hätte er ein ruhiges Leben.

Schon möglich, dass der Text, 1938 erstmals veröffentlicht, richtunggebend für die Entwicklung des britischen Noir gewesen ist; möglich auch, dass sich noch heute Autoren des Genres positiv auf Kersh beziehen, alles gut und schön, aber was bedeutet das, wenn "Nachts in der Stadt" in der Substanz grob misogyn, xenophob, handlungsarm und ziemlich fad ist? Wenn Kersh sich ohne Sinn und Verstand in die Handlung mischt, uns seinen Sozialdarwinismus zu erklären, noch dazu am Beispiel eines völlig ausgebrannten Nachtclub-Besitzers bzw. natürlich der guten Mutter Natur? Wenn Menschen beschrieben werden als "... plappernde Mischlinge aus Trinidad, schwatzende schokobraune Kubaner und grinsende Jamaika-Luden, fahle konturlose Männer, deren Adern Abflussröhren aus dem Schlachthof hätten sein können, durch die das wässrige Gemisch eines Dutzends verschiedener Arten Blutes floss." Wenn Huren "moralisch" noch verkommener sind als ihre Luden, wenn Frauen es immer nur zu "etwas bringen", indem der Mann sie nimmt, hebt und oben hält. Und muss die "schottische" Vermieterin wirklich Mrs. Anguish heißen? Braucht man sowas? - Schwer zu ertragen, und die quälend langen Riemen aus der Abteilung Ringkampf und Mannundfrauredenmiteinander machen es nur schlimmer. Dialog möchte man so etwas nicht nennen, vielleicht bietet sich an dieser Stelle die Einführung des Begriffs "Zweiermonolog" an.

Gerald Kersh (1911-1968) war Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein in den USA und Großbritannien viel gelesener Autor. Er hat an die zwanzig Romane, hunderte Kurzgeschichten und unzählige Artikel in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Dann geriet er in Vergessenheit.

"Nachts in der Stadt" (Night And The City) wurde zweimal verfilmt. 1950 hat Jules Dassin sich den Stoff vorgenommen, allerdings nicht viel mehr daraus verwendet als den Titel. Der Streifen gilt als "Initialzündung" (Klappentext, sic!) für den Film noir und Richard Widmark gibt den Fabian - übrigens unter dem schönen dt. Verleihtitel "Die Ratte von Soho". 1992 kam Irwin Winklers Remake mit Robert de Niro in der Hauptrolle und New York als Schauplatz.

Wenn Sie sich für eine Biografie von Gerald Kersh interessieren und Englisch lesen, schauen Sie mal bei Harlan Ellison rein. Kershs Verleger Paul Duncan hat eine geschrieben: http://www.harlanellison.com/kersh/biog.htm

 

© Gerd Friedrich Marenke, 2003

 

Gerald Kersh: Nachts in der Stadt. (Night and the City, 1938). Roman. Aus dem Englischen von Ango Laina. Deutsche Erstausgabe. Berlin: Maas-Verlag, 2002, Pulp Master Bd. 13, 415 S., 12.50 Euro (D).

 

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