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P.J. Wolfson: Geißel der Niedertracht

Ein Vorwort von Silke Buttgereit

 

Geißel der Niedertracht Während Black-Novel-Autoren wie Dashiell Hammett, Raymond Chandler und James Mallahan Cain unangefochten im Pantheon großer Autoren des 20. Jahrhunderts neben einem John Dos Passos beheimatet sind, sind deren Zeitgenossen Mickey Spillane, David Goodis, Armitage Trail oder Horace McCoy wenigstens den Kennern des schwarzen Genres ein fester Begriff. Ihre Romane und Stories findet man mal mehr, mal weniger konzeptlos und willkürlich ins Deutsche übersetzt. Warum wieder andere Autoren der 20er und 30er Jahre wie Paul Cain und P. J. Wolfson völlig in Vergessenheit gerieten, ist eine Laune des Nachruhm-Schicksals, die sich aus ihren Werken nicht erklärt.

Versteh einer die Rezeptionsgeschichte - auch in den USA ist Pincus Jacob Wolfson als Schriftsteller vergessen. »Bodies are Dust«, 1931 erstmals erschienen, wurde dort seit den 40er Jahren nicht wieder aufgelegt. Umso erstaunlicher ist jedoch, dass derselbe Roman unter dem etwas fragwürdigen Titel »A nos amours« in Frankreich bereits kurz nach Gründung der Série Noire 1950 von Marcel Duhamel höchstpersönlich und in kongenialer sprachlich deftiger Auguste-Le-Breton-Manier ins Französische übersetzt wurde (in der Erstausgabe lautete der Titel allerdings »Corps perdus«). Dort gilt der Roman seitdem als Klassiker des amerikanischen Roman Noir und wurde im vergangenen Herbst neu aufgelegt.
      Als Drehbuchautor vor allem zahlreicher Musicals, Liebesschmonzetten und Komödien der 30er und 40er Jahre ist P.J. Wolfson Filmfans durchaus ein Begriff. Er schrieb Plots und Drehbücher für fast 30 Filme und war so Wegbegleiter der Karrieren von John Wayne, Clark Gable, Joan Crawford, Fred Astaire, James Stewart, Peter Lorre und Barbara Stanwyk.

Wolfson wurde am 22. Mai 1903 geboren und starb im April 1979. Viel mehr ist nicht bekannt, seine produktivste Phase war zwischen 1930 und 1950, danach erschienen bis 1960 noch mehrere Romane. Das komische Genre, in dem Wolfson als Drehbuchautor reüssierte, lässt er als Romancier links liegen, hier ist er dicht, düster, zynisch, schwarz.

Bodies are Dust - »Geißel der Niedertracht« - ist Wolfsons erster Roman und thematisch eine typische hard-boiled Black Novel, wie sie im Umfeld des Black Mask Magazins massenhaft entstanden. Die Themen des Plots von »Geißel der Niedertracht« sind wenig spektakulär - Geschichten von Betrug, Korruption und Hinterhalt sind ebenso wie zwielichtige Protagonisten klassische Ingredienzen des Genres. Aber im Vergleich zu »Geißel der Niedertracht« liest sich der fast zeitgleich erschienene »Malteser Falke« Dashiell Hammetts mit dem zwar verrotteten, aber eindeutig moralisch motivierten Sam Spade wie die rührende Geschichte vom Windmühlen-Kampf eines Gutmenschen.
      Buck Safiotte, Wolfsons Protagonist und Ich-Erzähler mag ein eiskalter Killer sein, er ist reichlich skrupellos, brutal und gewalttätig. Einer, der gelernt hat zu überleben, der nach oben will und mitnimmt, was sich auf dem Weg dahin an Annehmlichkeiten bietet. Das ungut dumpfe Gefühl, das »Geißel der Niedertracht« verbreitet und hinterlässt, erklärt sich jedoch weniger aus den gewalttätigen Szenen und der fiesen Intrige, mit der Safiotte seinen Nebenbuhler aus dem Weg räumt. Es ist die absolut klare und präzise Sprache des Ich-Erzählers, der seine eigenen Motive, Emotionen und körperlichen Schmerzen mit einer so kristallenen Teilnahmslosigkeit schildert, dass Welt und Mensch tatsächlich von allen guten und lebendigen Geistern verlassen scheinen. In »Geißel der Niedertracht« grassiert das Böse nicht einmal mehr als wütende Bestie, sondern wird mit der gleichen Nicht-Dramatik beschrieben wie das Schattenspiel der Frühjahrssonne auf den Gehwegen einer Großstadt oder die lebensgefährliche Operation des eigenen Blinddarms. Ähnliches liest man gute zehn Jahre später in Camus' »Der Fremde«, - dort liegt die Amoralität des Ich-Erzählers gleichfalls weniger in der Brutalität des Mordes als in der Zufälligkeit und Leidenschaftslosigkeit der von ihm begangenen Tat.

»Geißel der Niedertracht« ist jedoch mehr als ein beunruhigend amoralischer Roman. Wolfson selbst beschwört mit dem Titel des Romans und dem Eingangszitat aus dem Babylonischen Talmud eine alttestamentarische Atmosphäre. Dann aber erzählt er in einem grandios entworfenen modernen Milieu und in erschütternd emotionskargem Stil den biblischen Plot vom großen König David und seiner Mätresse Batseba. David schickt Batsebas Mann, den Hethiter Uriel, im Krieg an die gefährlichste Front und Uriel stirbt wie beabsichtigt. David heiratet Batseba, sie bekommen einen Sohn, den Gott zur Strafe krank werden und sterben lässt. Die Grundzüge dieser Geschichte aus dem 11. und 12. Kapitel des ersten Buches Samuels finden sich frappierend detailgenau in Wolfsons Roman wieder.
      Dass die literarische Schule der amerikanischen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts aus Shakespeare und der Bibel bestand, ist eine literaturhistorische Plattitüde. Dass ein Autor den alttestamentarischen Stoff so unverblümt ins großstädtische Amerika der 20er Jahre verlegt, ist kaltblütig genial und scheint mir einzigartig. Eine amoralische Geschichte auf der Folie der größten westlichen Moralquelle, der Bibel, zu erzählen schafft eine sehr eigenwillige und düster dramatische Atmosphäre. Zumal der alttestamentarische Gott mit dem gepflegten lieben Gott, den das zeitgenössische Christentum gerne auf seine Fahnen schreibt, wenig gemein hat. Das alte Testament ist unter anderem eine Sammlung knallharter und bluttriefender Geschichten, denen nichts Menschliches und Unmenschliches fern ist - Mord, Totschlag, Sadismus, sexuelle Gewalt und Misshandlung, Inzest und grausame Intrigen. Der Gott dieser Talmudgeschichten ist auch kein nachsichtiger und vergebender, sondern ein launisch liebender und strafender Choleriker, undurchschaubar und unheimlich. Und es ist der Gott, auf den sich die drei großen monotheistischen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, gleichermaßen beziehen.

So lässt sich »Geißel der Niedertracht« noch einmal lesen als Geschichte des Kleindespoten und Ganovenkönigs Safiotte, als die klassische Geschichte eines Menschen, der irrt. Schuld und Sühne werden durch den biblischen Hintergrund zum zentralen Thema des Romans. Dieser Background-Plot tönt das todtraurige Ende - auch ohne den biblischen Bezug ein minimalistisch herzzerreißendes Klagelied, das die erzählerische Teilnahmslosigkeit der vorangegangenen 200 Seiten rückwärts durchdringt - mit archetypischen Klangfarben:

Das war's: Jazz und Tränen und Tod.

So viel muss man mit so wenigen Worten erst einmal sagen können und zugleich so souverän den Bogen spannen zwischen archaischer Moraltradition und einsamer Trauer eines gebrochenen Menschen der amoralischen Metropolen des 20. Jahrhunderts.

Die Pulpmaster-Macher sichten gerade die weiteren Romane P.J. Wolfsons. In dem wenige Jahre später erschienenen »Is my flesh of Bress?« ist die biblische Anlehnung ähnlich plakativ wie in »Geißel der Niedertracht«. Titel und Eingangszitat stammen aus der Klage Hiobs. Hiob und Roman Noir zwischen zwei Buchdeckeln - der Gedanke ist überraschend nahe liegend, es musste eben nur einer drauf kommen. Kann sein, dass es bei Wolfson noch viel zu entdecken gibt.

 

© Silke Buttgereit, 2005

 

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