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Im Namen des 11. September

Pieke Biermann im Gespräch mit Sara Paretsky

 

Ihr wahrer Name

Pieke Biermann: Du und Vic, ihr seid jetzt zehn Romane lang zusammen. Das sind 20 Jahre. Wie ist das so?

Sara Paretsky: Tja, na - komisch! 20 Jahre.

Pieke Biermann: Wie alt ist Vic eigentlich?

Sara Paretsky: Hah - undefinierbar! So 45, würde ich sagen. Und das bleibt sie auch noch lange.

Pieke Biermann: Wie geht das denn?

Sara Paretsky: Keine Ahnung. Ich bin jetzt jedenfalls Oma. Angeheiratet! Macht Riesenspaß.

Pieke Biermann: Dein letzter Brief klang nicht so nach Spaß. Du bist "shell-shocked", seit Bush im Amt ist: "Die haben gleichzeitig an so vielen Stellen so ein Rollback geschafft, dass ich das Gefühl nicht los werde, Bush und Co. haben im Berlin von 1933 gelernt!" Darf ich das zitieren?

Sara Paretsky: Ja sicher. Es wird ja täglich schlimmer. Kliniken, die Frauen nach einer Abtreibung behandeln, werden die Gelder gestrichen. Umweltschutz - aus. Im Namen des 11. September gehen sie an die Bürgerrechte und -freiheiten. Das Weiße Haus organisiert Desinformation. Auffliegen tut so etwas nur selten.

Pieke Biermann: Was machst du mit all dem?

Sara Paretsky: Das bisschen, das ich kann. Lobbyarbeit für Frauenrechte. Viel reden.

Pieke Biermann: Im November beim "International Writer's Festival" in Vancouver hast du so laut gepöbelt, dass es dort in der Zeitung stand.

Sara Paretsky: (lacht) Tja-hah! Vorher hatte ich Leserbriefe an meine Lokalzeitung geschrieben, die "Chicago Trib". Die wurden alle nicht gedruckt. Dabei habe ich nicht mal, wie James Thurber damals, mit "Gott ist mein Zeuge!" angefangen und aufgehört mit "Wir sehen uns vor Gericht!"

Pieke Biermann: Ging es um den "Krieg gegen den Terror"? Wie siehst du den?

Sara Paretsky: Mit sehr gemischten Gefühlen. Ich war ja auch fertig wegen der Twin Towers! Und dann wird der US-Gesandte in Afghanistan ausgerechnet einer aus dieser Ölfirma, bei der Bush senior ein dickes Aktienpaket hält. Und so weiter. Jeden Morgen steht etwas in der Zeitung, das mich rasend macht, wo ich mich ohnmächtig fühle.

Pieke Biermann: Und man kann sicher sein, dass man die wirklich heißen Sachen gar nicht zu lesen kriegt...

Sara Paretsky: Ja, eben! Wirklich freie Berichterstattung gibt es nicht - was wissen wir eigentlich wirklich? In Afghanistan sind bisher mehr Journalisten getötet worden als US-Soldaten. Wie findet ihr denn in Deutschland dieses Bush-Zeugs von der "Achse des Bösen"?

Pieke Biermann: Ganz Europa hat dafür nichts übrig, nicht mal die Briten. Und das nicht nur wegen der gruseligen Rhetorik.

Sara Paretsky: Ich hoffe, dass die Europäer aus der Allianz wegbrechen, wenn die USA in einen Krieg gegen den Irak gehen. Obwohl - ich bin nicht mehr sicher, ob das im Weißen Haus irgendjemand interessiert. Mir ist viel zuviel von "schwachen Europäern" die Rede.

Pieke Biermann: Die Arroganz der Supermacht?

Sara Paretsky: Schlimmer. Ich kann nur hoffen, wenn wir hier wirklich einen "faschistischen Takeover" kriegen, dass Deutschland diesmal kommt und uns rettet! (lacht).

Pieke Biermann: Wie - à la Wikinger mit Ruderbooten? Versprochen! Traust du uns das wirklich zu? Ich meine moralisch?

Sara Paretsky: Na ja - ich habe mich an das Shoah-Thema rangetraut, nachdem ich bei Lesereisen in Deutschland immer wieder mit jungen Leuten geredet hatte. Die wussten so viel mehr, die waren so viel offener und nachdenklicher als Amerikaner, was Geschichte und die Shoah angeht - das war so eine kulturelle Dissonanz, das hat mich neugierig gemacht.

Pieke Biermann: Du bist Jüdin mit europäischen Vorfahren, von denen die meisten ausgelöscht wurden.

Sara Paretsky: Ich habe diesen Roman meinen beiden Urgroßmüttern gewidmet - die eine ist im Ghetto von Wilna umgekommen, die andere auf einem Todeswagen. Ich wollte nie, nie, nie dahin, in den Osten, in ein Lager.

Pieke Biermann: Und dann warst du doch in Buchenwald - 1993. War da jemand aus deiner Familie?

Sara Paretsky: Nein, ich wusste, ich muss an den Stoff, und es lag auf der Strecke, bei einer Lesereise. Kurz vorher in Frankfurt (am Main) war ich an einem Schild "Jüdisches Museum" vorbeigekommen. Und plötzlich kam so ein Gefühl hoch - mein Gott, ich bin dann ja auch ein Schatten, ein Gespenst, ein Museumsstück! In Buchenwald selbst war ich fix und fertig - Juden schien es da nicht gegeben zu haben, nur Kommunisten! Gruselig. Gerettet haben mich lange Gespräche - ich war ja da mit Sigrid, die war Flüchtlingskind und hat alles erlebt, was Soldaten Frauen antun, und mit einem Journalisten, dessen Vater Nazi war. Die ganze Reise hat mich umgekrempelt.

Pieke Biermann: In deinem Roman verkörpern drei Figuren drei Weisen, heute mit der Vergangenheit umzugehen: Lotty will nichts davon hören. Max ist "Aktivist der Erinnerung", und Radbuka klaut jüdisches Leid für sein Ego. Ist Lottys Umgangsweise mit der Vergangenheit deine alte?

Sara Paretsky: Ich war nicht ganz so - aber ich bin nachgeboren. Mein Vater war immer paranoid, sowieso, also hatte er auch die "jüdische Paranoia". Ich habe mich heftig und lange dagegen gesträubt. Genau wie dagegen, die Shoah in einen Roman zu nehmen.

Pieke Biermann: Hast du dafür "Prügel" bekommen? Kritik? Böse Briefe?

Sara Paretsky: Erstaunlicherweise nicht. Die einzigen negativen Stimmen beziehen sich auf falsche deutsche Worte im Buch. Und mache Leser sind frustriert, dass Vic diesmal nicht fast totgeschlagen wird und nicht ganz so "kerlig" ist.

 

© Pieke Biermann, 2002

 

Weitere Informationen zu Sara Paretsky bei kaliber .38:

Pieke Biermann: Die eingefrorene europäische Vergangenheit.
Eine ausführliche Rezension des jüngsten Romans von Sara Paretsky.
Pieke Biermann: Verschärfte Schikane.
Eine Besprechung des Romans »Die verschwundene Frau« (2001).
Gewalt an Frauen ist das Leitmotiv der amerikanischen Kriminalliteratur
Pieke Biermann im Gespräch mit Sara Paretsky (1991)

 

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