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Joseph Hansen: Totengeld

Eine Leseprobe, mit freundlicher Genehmigung des Argument Verlags.

 

Kapitel 1

Totengeld     Arena Blanca war der passende Name. Der Strand, der die kleine Bucht einrahmte, war so weiß, dass es den Augen wehtat. Dort, wo er endete, standen ein paar alte Holzhäuser, schmal, auf hohen Sockeln, mit flachen Dächern. Es half nicht viel, dass sie frisch und bunt getüncht waren - gelb, blau, lavendel. In der Wintersonne wirkten sie trostlos. Der Himmel, den die Möwen durchschnitten, strahlte so fröhlich blau wie neuer Jeansstoff. Die Bucht funkelte wie blau gekachelt. Das kleine Motorboot, das dort vor Anker lag, hätte von Raoul Dufy hingetupft sein können. Dennoch wirkte es trostlos. So wie die vom Regen grünen Hügel, die die Bucht begrenzten und aus denen er heruntergefahren kam.
    Die Trostlosigkeit war in ihm. Nach nur drei Monaten standen er und Doug bereits vor der Trennung. Die Toten waren schuld daran: Dougs Toter, ein junger Franzose, der sich auf der Rennstrecke von Le Mans in einer sonnengleißenden Kurve den Schädel zerschmettert hatte; sein eigener Toter, ein ergrauender junger Innenausstatter, der in einem alptraumhaften, weißen Krankenhaus vom Krebs zerfressen worden war. Er und Doug klammerten sich aneinander, doch die Toten drängten sich kalt zwischen sie. Weder er noch Doug wusste, wie man sie begraben konnte, und in ihrer ständigen Anwesenheit behandelten sie einander mit jener schrecklichen, schalen Behutsamkeit, die Leute bei Beerdigungen anstelle von Liebe zeigen. So konnten sie nicht leben, und sie lebten auch nicht.
    Wo die Straße den Strand erreichte, lehnten sich ein paar Briefkästen aneinander, plumpe Blechblüten, jede in einer anderen Farbe, die Pfosten von hartem Dünengras umwuchert. Der Briefkasten mit dem Namen STANNARD war rosa, was vermutlich bedeutete, dass er zu dem Haus links draußen auf der Landspitze gehörte. Er holte eine Zigarette aus seinem Jackett, drückte auf den Anzünder am Armaturenbrett und drehte am Lenkrad. Die Straße war länger nicht mehr geteert worden. Flugsand und Gras waren dabei, sie zurückzuerobern. Kurz vor der Landspitze bestand sie nur noch aus Furchen. Hier hatten Wind, Gischt und manchmal sogar die Brandung am Asphalt genagt, Muscheln und Treibholzsplitter knirschten unter den Reifen. Das untere Stockwerk des rosafarbenen Hauses war Autoabstellplätzen vorbehalten. Das windschiefe Garagentor stand offen. Drinnen harrte ein Ford-Kombi aus den Fünfzigerjahren aus und setzte dabei langsam Schorf auf seinem rosa Lack an. Der Zigarettenanzünder klickte, er zündete die Zigarette an und ließ das Auto auf der Straße stehen. Es würde den Verkehr nicht aufhalten. Über eine hölzerne Außentreppe erreichte er eine Veranda und eine Tür. Der Klingelknopf war salzverkrustet, funktionierte aber. Er hörte ein Summen. Ein Topf klapperte. Rasche Schritte ließen den Holzboden erzittern. Die Tür wurde aufgerissen. Ein Mädchen sagte in schrillem Tonfall: »Wo warst du? Hättest du nicht anrufen können? Ich -« Sie brach ab. Er hatte sich getäuscht - sie war kein Mädchen. Vielleicht letztes Jahr noch. Jetzt war sie eine Frau. Sie versuchte ein Lächeln, aber die Falten auf beiden Seiten ihres Mundes zeugten von Anspannung, nicht von Fröhlichkeit. Etwas hatte das Blau ihrer Augen bis zur Farbe des ausgeblichenen Männerhemds verblassen lassen, das sie sich in den Bund ihres Kattunrocks gesteckt hatte. Keine Strümpfe, Turnschuhe mit losen Nähten. Ihre Hände waren nass und seifig. Sie wischte sie an ihrem Rock ab und strich sich das blonde Haar aus der Stirn.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Ich habe jemand anders erwartet. Wer sind Sie?«
    »Mein Name ist David Brandstetter. Ich bin Ermittler bei der Medallion-Lebensversicherungsgesellschaft.« Er reichte ihr eine Karte. Sie warf nicht einen Blick darauf. Ihre Augen hingen ängstlich an seinem Gesicht. Er sagte: »Ich suche Peter Oats. Wohnt er hier?«
    »Ermittler?« Es klang gereizt. »O nein. Sagen Sie bloß nicht, dass mit Johns Versicherung etwas nicht stimmt. Das war das Einzige, was er -«
    »Mit der Versicherung ist alles in Ordnung«, sagte Dave. »Kann ich bitte mit Peter Oats sprechen?«
    »Er ist nicht hier.« Sie ließ die Schultern sinken. »Ich wollte, er wäre hier. Ich kann ihn nirgends finden. Er weiß noch nicht mal, dass sein Vater tot ist.« Es schmerzte sie, das Wort auszusprechen. Sie biss sich auf die Lippe und blinzelte, um Tränen zurückzuhalten. »Hören Sie, Mr. Brand -« Der Name war ihr entfallen. Das passierte den meisten Leuten beim ersten Mal.
    Er wiederholte ihn. »Und Sie heißen Stannard?«
    »April.« Sie nickte. »Aber kommen Sie doch rein. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.« Ihr Lachen klang trostlos. »Vielleicht können Sie mir helfen. Der Polizei scheint es gleichgültig zu sein.« Sie wandte sich von der Tür ab. »Entschuldigen Sie, wie es hier aussieht.«
    Nach der grellen Sonne draußen konnte er gar nichts erkennen. Dann hörte er das Quietschen kleiner Rollen. Vorhänge teilten sich, geblümte Vorhänge, an den Falten ausgeblichen. Die vordere Wand war verglast und gab den Blick auf die Bucht frei. Salz trübte die Scheiben, doch sie ließen genügend Licht in den Raum. Vernachlässigt. Staub bedeckte die polierten Oberflächen alter Ahornholzmöbel, die bessere Pflege gewohnt waren. Die ausgebleichten Chintzbezüge mussten geglättet werden. Spinnweben umgarnten die Lampenschirme. Und auf einem Couchtisch standen Teller mit angeschimmelten Essensresten - Haschee aus der Dose mit Ketchup -, Tassen mit eingetrocknetem Kaffeesatz, ein halbes Glas mit einer toten lackähnlichen Flüssigkeit, ein für immer stehen gelassener Drink.
    »Setzen Sie sich«, sagte sie. »Ich mache uns Kaffee.«
    Er ließ sich auf die Couch sinken, und sein Knie stieß dabei gegen drei Bücher, die auf einer Ecke des Couchtischs gestapelt waren. Schwere zusammenpassende Folianten, schön in glattes Kalbsleder gebunden, die Deckel unverzogen und die Narben sehr sorgfältig erhalten, mit jener Patina, die bei alten Geigen den Preis hochtreibt. Achtzehntes Jahrhundert, oder siebzehntes? Er langte danach, aber sie war schneller. »Lassen Sie mich die erst mal aus dem Weg räumen.« Zwei Wände waren von Regalen bedeckt, vom Boden bis zur Decke, übervoll. Sie konnte keine Lücke für die drei Bände finden. »Seltsam. An die kann ich mich gar nicht erinnern.« Sie stellte zwei davon so auf den Boden, dass sie gegen die unteren Regalbretter lehnten, schlug den dritten auf und stieß einen leisen Pfiff aus. »Cooks Entdeckungsfahrten. Eine Erstausgabe.« Sie runzelte kurz die Stirn, zuckte dann mit den Schultern, stellte den Band ab und beugte sich über Dave hinweg, um Teller, Tassen und das Glas abzuräumen. Und einen zerknitterten Umschlag - britische Briefmarke, eleganter eingravierter Briefkopf. »Ich habe noch gar nichts angerührt«, sagte sie. »Das ist mir - unangenehm. Es ist noch alles so, wie er es hinterlassen hat.« Sie ging hinaus, hob jedoch die Stimme, während sie drüben in der Küche mit dem Porzellan klapperte. »Wenn Peter hier gewesen wäre, hätte ich mich zusammengerissen. Aber so hab ich es einfach nicht ausgehalten. Ich habe mich hängen lassen. Bis heute. Heute habe ich versucht, ein bisschen aufzuräumen.« Sie brachte Kaffee in Tassen, die zum Raum passten: geblümt, zerbrechlich, feminin. Ganz anders als dieses Mädchen, dachte er. Sie setzte sich in einen Ohrensessel. »Mit der Küche hab ich angefangen. Ich bin noch nicht so weit, dass ich mich in diesem Zimmer aufhalten kann. Nicht, solange niemand bei mir ist.«
    »Das verstehe ich.« Ich kenne das, wollte er sagen.
    »Bei der gerichtlichen Untersuchung ging?s mir ganz gut. Die Leute. Allein ging?s mir nicht mehr so gut. Überhaupt nicht gut.« Sie blies in den Dampf, der sich über ihrem Kaffee kräuselte. »Letzten Winter hab ich meine Mutter verloren. Und jetzt John. Ich war nicht darauf vorbereitet.«
    »War er mit Ihnen verwandt?«
    Sie lächelte matt, ein winziges Lächeln. »Wir waren ein Liebespaar. Wir wollten heiraten, sobald seine Scheidung durch war. Was wollten Sie Peter fragen?«
    »Wie alt sind Sie, Miss Stannard?«
    »Vierundzwanzig, und John war neunundvierzig.« Ihr Kinn hob sich, und ihre Augen wurden klar. »Und sein armer Körper bestand fast nur noch aus Narben. Und er hatte alles verloren, wofür er ein Leben lang gearbeitet hatte, sein Geschäft, sein Haus, sein Geld. Aber ich habe ihn geliebt. Er war der beste Mensch, den ich jemals kennen gelernt habe. Und noch kennen lernen werde.« Sie war wieder den Tränen nahe und blinzelte, während sie einen Schluck Kaffee trank. Als sie sich wieder gefangen hatte, schüttelte sie den Kopf und runzelte die Stirn. »Es müssen die Schmerzen gewesen sein. Bei der Voruntersuchung hieß es, er hätte Morphium genommen. Davon hat er mir nie etwas gesagt. Sehen Sie, so war er.«
    »Glauben Sie etwa,« - Dave stellte die mit Gänseblümchen bemalte Tasse auf die mit Gänseblümchen bemalte Untertasse -, »dass er sich umgebracht hat?«
    »Nein, eigentlich nicht. Wir waren so glücklich. Es ist nur so« - ihre Schultern zuckten -, »dass ich mir überhaupt nicht erklären kann, was passiert ist. Bei Regen würde er nie schwimmen gehen. Das passt einfach nicht zusammen. Sicher, er ist nachts schwimmen gegangen. Er wollte nicht gesehen werden. Er hat befürchtet, seine Narben würden die Leute erschrecken, Anstoß und Ekel erregen. Er ist immer nachts geschwommen. Aber nie im Regen.«
    Zwei Sittiche aus Porzellan schnäbelten am geschwungenen Rand eines Aschenbechers, der mit staubigen Zigarettenkippen angefüllt war, drei verschiedene Filtersorten - Kent, Marlboro, Tareyton. Dave drückte seine Zigarette zwischen ihnen aus. »Waren Sie nicht hier?«
    Sie schüttelte rasch den Kopf. »Es war einer von diesen Glückstagen, dachte ich jedenfalls - Tage, an denen ich zur Arbeit gerufen werde. Seit Wochen suche ich ziemlich verzweifelt nach einer Stelle. Aber es gab nur diesen Job auf Abruf, bei Bancroft. Ich verstehe nur was von Büchern. Ich hab?s mit Büchern, seit ich, na ja, vier war. Während dem College hätte ich eigentlich keinen Job gebraucht, aber ich war so oft in der Buchhandlung, dass sie mich schließlich irgendwann auch dafür bezahlt haben.« Ein schwaches Lächeln. »Später hab ich dann für John gearbeitet. So haben wir uns - kennen gelernt.« Ihr Gesicht erstarrte, einen Moment lang in Erinnerungen versunken. »Jedenfalls, bei Bancroft war jemand ausgefallen, wegen Grippe, und ob ich nicht am Nachmittag und Abend aushelfen könnte? Wir hatten nur noch ein halbes Glas Erdnussbutter im Haus. Ich bin hingefahren.«
    »Zu der Filiale in El Molino?«
    »Nein, schlimmer. Zum Hauptgeschäft, das große in Hollywood, in der Vine Street. Nicht unbedingt in der Nachbarschaft.« Sie stieß ein kurzes, bedauerndes Lachen aus. »Und der Wagen ist nicht unbedingt neu. Er hat Mutter gehört. Eine alte Kiste.« »Er bräuchte mal ein bisschen frische Farbe«, sagte Dave.
    »Er bräuchte alles Mögliche. Mutter hat ihn nur hier benutzt, im Sommer. Meinen eigenen hab ich verkauft. Um Johns Arztrechnungen zu bezahlen. Seinen hatte er schon lange verkauft, aus demselben Grund. Also fahre ich jedes Mal, wenn überhaupt, mit einem Stoßgebet los. Ich bin gut dort angekommen, aber auf dem Heimweg ist mir der Keilriemen gerissen. Auf der Küstenstraße, weit von der nächsten Tankstelle entfernt. Als ich zurückkam, war es schon spät. Und John war nicht hier. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Er ging nie von hier fort - außer, wenn er mit mir zum Einkaufszentrum oben an der Schnellstraße gefahren ist. Zu Fuß wäre es ein schrecklich weiter Weg gewesen.«
    »Sie haben ihn an dem Abend nicht mehr gefunden«, sagte Dave.
    Sie senkte den Kopf. »Sie wissen es bereits. Woher?«
    »Ich habe das Protokoll der Voruntersuchung gelesen.«
    Ihre Stirn legte sich in Falten. »Warum?«
    Er zeigte ihr ein halbes Lächeln und sagte ihr die halbe Wahrheit. »Routine. Dafür werde ich bezahlt.«
    »Aber nun sind Sie hier.« Sie saß reglos da, reserviert.
    »Ich bin hier, weil Lebensversicherungen mit der Gerichtsentscheidung ?Tod durch Unglücksfall? nicht viel anfangen können. Sie haben ihn am nächsten Morgen gefunden?«
    »Nachts hab ich nach ihm gesucht. Hab mir einen Regenmantel übergezogen, bin zum Strand hinuntergegangen und hab nach ihm gerufen. Meine Taschenlampe ist alt und schwach, aber ich hätte ihn finden können. Ich bin nicht ganz bis zur Landspitze gegangen. Ich hab?s wohl einfach nicht glauben wollen, dass er dort draußen ertrunken sein könnte. Zu melodramatisch. Solche Dinge passieren nicht.«
    »Haben Sie nicht daran gedacht, die Polizei zu verständigen?«
    »Das ist auch ziemlich melodramatisch, oder?«
    »Vielleicht. Was ist mit seinen Freunden?«
    Sie lachte spöttisch. »Er hatte keine Freunde. Viele Leute kannten ihn. Er kannte viele Leute. Er hielt sie für seine Freunde. Er war auch ihr Freund. Aber sie waren nur Kunden. Er verschwendete all seine Wärme, seinen Charme, seinen Humor an sie. Ich wollte, Sie hätten ihn gekannt. Ein netter Mann, ein wunderbarer Mensch, durch und durch. Er konnte sich an jeden von ihnen erinnern, an ihre Namen, an ihre Interessengebiete, an Titel und Autoren. Er war ein guter Buchhändler, aber noch mehr als das, er war einfach ein guter Mensch -, Punkt. Alle persönlichen Dinge, die ihm jemand erzählt hatte - Fehlschläge, Erfolge, Krankheiten, Frauen, Kinder, Hunde, Katzen - er erinnerte sich daran. Es hat ihn wirklich interessiert. Nur eine Hand voll haben sich überhaupt im Krankenhaus blicken lassen. Und die meisten nur ein Mal.« Es machte sie immer noch wütend. »Das hat ihm gezeigt, wie Menschen sind, aber diese Lektion hatte er nicht verdient.« Auch sie schien dafür noch zu jung, schmal und blass vor dem ausgebleichten Blümchenmuster des Ohrensessels. »Danach hab ich ihn hierher gebracht. Falls je einer von ihnen sich gefragt haben sollte, wo er abgeblieben war, haben wir jedenfalls nichts davon bemerkt. Zum Glück war es ihm da bereits egal. Wir hatten uns. Mehr wollten wir beide nicht.«
    »Und sein Geschäftspartner? Ist er nie gekommen?«
    »Charles?« Sie schüttelte den Kopf und lächelte matt. »Ich fürchte, er ist eifersüchtig. Auf mich. Armer Charles.«
    »Aus welchem Grund haben Sie am Morgen nach John gesucht?«
    »Hab ich gar nicht.« Ihr Gesicht rötete sich. »Ich bin wieder am Strand entlanggegangen, aber nicht, um ihn zu suchen. Verstehen Sie, bis dahin hatte ich mir eine Geschichte zurechtgelegt, während ich hier gesessen und auf ihn gewartet hatte. Ich sagte mir, dass Peter da gewesen sein musste, und dass sie gemeinsam weggefahren waren. Um sich anzuschauen, wo auch immer Peter wohnte.«
    »Besitzt Peter ein Auto?«
    »Nein. Aber noch etwas hat auf Peter hingedeutet. Zwei Teller waren für das Abendessen gedeckt, zwei Tassen, aber nur ein Glas. Peter trinkt nicht, er ist gerade erst einundzwanzig geworden. Außerdem hat er seine Gitarre hier gelassen, als er ausgezogen ist. Und die war aus seinem Zimmer verschwunden. Und wer außer Peter hätte es denn gewesen sein sollen? An das Auto hab ich gar nicht gedacht. Junge Leute borgen sich Autos. Natürlich hatte meine Geschichte einen Haken: John hätte eine Nachricht für mich hinterlassen, und es war keine da. Aber irgendetwas musste ich ja annehmen.«
    »Etwas, das nicht melodramatisch war«, sagte Dave.
    Sie nickte. »Am Morgen war ich dann fest von meiner Theorie überzeugt. Ich fühlte mich verletzt. Wenn John angerufen hatte, bevor ich nach Hause kam, um mir zu sagen, dass er wegen des Regens bei Peter übernachten würde, dann hätte er es so lange weiter versuchen können, bis er mich erreicht hätte. Oder Peter hätte anrufen können, wenn John zu müde war - er wurde oft sehr schnell müde. Also hab ich mir selber Leid getan. Kam mir missachtet vor, ausgenützt. Und als es hell wurde und das Telefon immer noch stumm blieb und ich seinen Anblick nicht mehr ertragen konnte und die Leere hier ohne ihn nicht mehr ertragen konnte, bin ich wieder hinuntergegangen und am Strand entlanggelaufen. Es hat immer noch geregnet, nicht stark, ein leichter, feiner Regen. Grau, verstehen Sie? Trostlos?« Sie stieß ein trockenes Lachen aus. »Wie eine Filmszene. Junges Mädchen, allein am leeren Strand, zitternd, verlassen, zutiefst verletzt. Im Regen, und von den Klageschreien der Möwen begleitet. Romantisch.« Ihr Mund verzerrte sich zu einem grimmigen Lächeln. »Bis ich ihn gefunden hab.« Sie sprach mit rauer Stimme, und ihre Hand zitterte, als sie versuchte, aus ihrer Tasse zu trinken. »Die Toten sind schrecklich«, sagte sie. »Sie helfen dir kein bisschen. Auch wenn du sie noch so sehr geliebt hast. Wie sehr du sie auch geliebt haben magst.«
    Sie hatte Recht und er wollte nicht darüber nachdenken. Er sagte: »War Peter nicht im Weg?«

Aus dem Amerikanischen von F.A. Hofschuster und Robert Schekulin
© Argument Verlag, 2000

 

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