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Lynn S. Hightower: Zahltag

Eine Leseprobe mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgruppe Droemer Knaur.

 

Kapitel 41

Zahltag Der Meadowthorpe-Grill befand sich an einer deprimierend wirkenden Einkaufsstraße, deren beste Zeit längst vorbei war. Einem Schild im Schaufenster zufolge war das Büro nebenan ein Dialysezentrum gewesen. Nun stand es leer.
      Sonora krümmte sich. Sie konnte sich nicht vorstellen, durch diese Tür zu treten und dabei auch nur das geringste Vertrauen zu empfinden. Whitmore hatte ihr erklärt, dass das Dialysezentrum verlegt worden war, weil die fahrbaren Krankentragen nicht durch die Türen gepasst hatten.
      Ein Segen.
      Sonora verkniff es sich, einen Blick zurück auf Whitmore zu werfen, der im Pick-up saß und eine Marlboro Light rauchte. Er hatte sie gewarnt, dass erstens im Lagerraum neben den Toiletten im hinteren Teil des Grillrestaurants eine Hintertür existierte; zweitens, dass der Verdächtige Kinkle vor zwanzig Minuten beim Betreten des Lokals, vermutlich, um zu essen, beobachtet worden war; und drittens, dass das Essen ausgezeichnet war.
      Sonora konnte den ersten Blick auf den Monte Carlo mit den Farbflecken werfen, der schräg vor dem Restaurant abgestellt worden war. Sie widerstand dem Drang, durch die Scheiben zu spähen, Kinkle beobachtete sie vielleicht.
      Sam ging als erster hinein und hielt Sonora die Fliegengittertür auf. Plötzlich waren sie ein Pärchen, das sich zum Mittagessen verabredet hatte. Für den Fall, dass Kinkle sie bemerkte, nahm es ihnen die Polizeipatina.
      Das Lokal war zugestellt. Tische im Vorraum, in den Nischen und noch mehr Tische, die einen engen Speisesaal auf der rechten Seite füllten. Das Publikum, das den Laden bevölkerte, deckte die gesamte Bandbreite ab - die meisten waren Männer, einige in Uniform: UPS, NTW, BP-Tankstellen. Männer in dreiteiligen Anzügen. Tabakrauch mischte sich mit dem Dampf, der aus der kantinenähnlichen Küche drang, an deren Theke die Leute mit Tabletts entlanggingen und Braten mit dreierlei Beilagen oder Hamburger vom Grill bestellten.
      Sam stellte sich an und reichte Sonora ein Kunststofftablett und ein in eine Papierserviette gewickeltes Besteck. Sie war hungrig. Sie musterte den Speisesaal. Ein Junge mit braunen Haaren an einem der Tische links sah aus, als könnte er Kinkle sein. Zu weit weg, um es mit Sicherheit zu sagen.
      Mein Gott, brauchte sie etwa eine Brille? Speisesaal von Küchendämpfen und Zigarettenqualm zu vernebelt, um positive Identifizierung durchzuführen. So würde es in ihrem Bericht stehen.
      »Was darf es sein?« Die Frau hinter der Theke hatte ein rundes, teigiges Gesicht, die hellblonden Haare wurden von einem Netz gehalten, und sie lächelte breit. Ihr Lippenstift war dunkelrot, und sie trug eine geblümte Schürze über ihren Jeans und der weißen Bluse.
      »Ich nehme die gebackenen Shrimps«, sagte Sam.
      »Weißkrautsalat?«
      »Und Kartoffelbrei. Mit Soße.«
      »Drüben an der Wand, direkt neben den Getränken, finden Sie Brot.«
      Sie mochten keine Stammgäste sein, dachte Sonora, aber sie waren willkommen. Sonora stieß ihre Bestellung hervor.
      »Ich nehme das Salisbury-Steak, Kartoffelbrei und grüne Bohnen. Und Tee.« Das würde ihr gut bekommen.
      »Sie wissen aber, was Sie wollen.« Der Tonfall der Frau sagte, Glückwunsch, und danke, dass Sie nicht den ganzen Betrieb aufhalten. Sonora fühlte sich geschmeichelt. Das Essen kam auf schweren Porzellantellern, großzügige Portionen in einem See aus Soße.
      »Such uns einen Tisch«, sagte Sam, der nach seiner Brieftasche langte.
      »Ich hole die Getränke und das Brot.«
      »Okay, aber ich habe meine Meinung geändert, ich möchte Cola.«
      »Kapiert.« Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange.
      »Nur wegen der Tarnung«, murmelte er so leise, dass nur sie es hören konnte. Sie ging zu den Nischen, blutrotes Leder, an vielen Stellen mit grauem Klebeband geflickt. Sonora fühlte sich wie eine Verschwörerin, während sie durch die schmalen Gänge zwischen den Tischen steuerte und sich bemühte, nicht zu Kinkle hinüberzusehen.
      Er verfolgte sie dennoch mit Blicken, aber das taten auch einige andere, und sie war erleichtert, als sie nach diesem Spießrutenlaufen in der Nische Platz nehmen konnte. Aber es handelte sich nur um die alte Sache zwischen Männern und Frauen, nicht zwischen Polizei und Mörder. Es war ärgerlich, so wehrlos zu sein.
      Sie streute Salz auf ihre grünen Bohnen, dann schwebte ihre Hand über dem Pfefferstreuer, bevor sie sie zurückzog. Sie wickelte ihr Besteck aus, als Sam auf den Platz ihr gegenüber glitt, wobei er mit seinen glänzenden schwarzen Schuhen auf ihre neuen weißen Reeboks trat.
      »Aua, Sam.«
      »Tut mir leid, du musst deine Füße wegziehen.«
      »Pass du auf deine Füße auf.« Er reichte ihr ein großes, goldbraunes Hefebrötchen.
      »Es gab nur noch das oder Knoblauchbrot.«
      »Wie gut du mich kennst.«
      »Eigentlich nicht. Aber es zeugt von schlechten Manieren, bei einer Observierung Knoblauch zu essen.«
      »Wirklich, Sam? Könnten wir diese Regel auch auf Chili ausdehnen?«
      Er winkte ab.
      »Nein. Also.« Er beugt sich vor.
      »Was ist passiert?«
      »Er isst ein Sandwich und liest Š sieht aus wie ein Comic. Einer von diesen Japanischen.«
      »Was für ein Sandwich?«
      »Sieht aus wie Speck mit Salat und Tomate. Warum?«
      »Einfache Neugier.«
      »Okay. Was jetzt?«
      »Wir könnten ihn hier drin festnehmen, aber es sind zu viele Zivilisten anwesend. Ich habe Whitmore gesagt, dass wir ihn zu Mittag essen lassen - und sicherstellen, dass er nicht durch die Hintertür abhauen kann - und ihn uns dann auf dem Parkplatz schnappen, wenn er zu seinem Auto geht.«
      »Prima. Gib mir mal die Worcestersauce.«
      »Wirst du jemals lernen, das richtig auszusprechen?«
      »Wirst du sie mir jemals geben?«
      »Kannst du dich noch an unsere erste Observierung erinnern? Du warst so nervös, dass du nichts herunterkriegen konntest. Wir müssen da zwölf Stunden gesessen haben.«
      Sonora griff über seinen Teller hinweg nach der Lea & Perrins.
      »Mittlerweile sind wir alt und abgebrüht.«
      Sam biss ein großes Stück von seinem Knoblauchbrot ab, Krümel fielen auf seinen Schlips.
      »He, wie klang Tim?«
      »Erstaunlich gut.«
      »Von den Boone County Cowboys eingefangen«, kicherte Sam, der Pfeffer über seinen Kartoffelbrei streute.
      »Gott, Sonora, hast du ihn denn nie vor diesen Kerlen gewarnt?«
      »Andauernd.« Sie stocherte mit der Gabel in ihren grünen Bohnen.
      »Verdammt, Sam, ich glaube, die Bohnen sind nicht mehr gut.«
      »Was?« Er langte mit dem Löffel über den Tisch und probierte einen Happen.
      »Sie sind prima. Sie sind gut.«
      »Aber sie sind Š labbrig.«
      »So soll man grüne Bohnen kochen.«
      »Aber sie sind nicht knackig.«
      »Nein. Aber sie schmecken gut.«
      »Aber sie sind nicht fest.«
      »Nein. Sie schmecken gut. Oder nicht?«
      Argwöhnisch probierte sie eine Bohne.
      »Doch.«
      »Darum geht es hier im Süden. Es soll gut schmecken.« Sam fuhr mit einem knusprigen braunen Shrimp, an dessen Seiten es rötlich durch den Backteig schimmerte, durch ein Plastikschälchen mit Cocktailsauce.
      »Dieses Lokal ist ein echter Geheimtipp. Findest du nicht?«
      Sonora nickte, den Mund voll mit frischem, süßem Hefebrötchen. Sie probierte den hausgemachten Kartoffelbrei.
      »Erinnere mich nachher daran, mich bei Kinkle zu bedanken.«
      »Hör auf, ihn anzustarren.«
      »Ich starre nicht.«
      »Sieht er so aus wie auf seinem Foto?«
      »Ich weiß es nicht, er hat so eine blöde Kappe auf dem Kopf. Soll ich hingehen und sie runternehmen?«
      »Vielleicht später. Wenn wir uns bei ihm dafür bedanken, dass er uns in den Meadowthorpe-Grill geführt hat.«

Sam saß mit aufgestützten Ellbogen am Tisch.
      »Du kannst mir den Rest von deiner Bulette geben, wenn du sie nicht mehr essen willst.«
      »Das ist keine Bulette, das ist ein Salisbury-Steak.«
      »Ist es nicht, ich erkenne doch eine Bulette, wenn ich eine sehe.«
      »Schau auf die Karte, Sam. S-A-L-I-S-B-U-R-Y.« Sie sah auf die Uhr.
      »Komm schon, verdammt, schnappen wir ihn uns.«
      »Lass ihn noch die Pastete aufessen. Er wird in ein oder zwei Minuten rausgehen. Du hast keine Geduld, Sonora, hat dir das schon mal jemand gesagt?«
      »Du, jeden Tag.« Das Restaurant begann sich zu leeren. Sie sah wieder auf ihre Uhr.
      »Lass doch mal deine Uhr in Ruhe. Isst du das nicht mehr?«
      »Ja und nein.« Sie schob ihren Teller über den Tisch.
      »Wir sollten ihn lieber festnehmen, Sam. Ihn einsperren. Die Einsatzbesprechung ist um fünf, und dann fahre ich los und hole Tim, bin pünktlich zum Einsatz zurück -«
      »Mädchen, du bist wirklich ein absoluter A-Typ.«
      »Außerdem muss ich zu Hause anrufen und hören, was Heather macht.«
      »Warum rufst du nicht jetzt an? Es würde ganz natürlich wirken.«
      »Ich kann mich nicht gleichzeitig auf meine Kinder und auf einen Kriminellen konzentrieren -«
      »Guter Einwand. Vielleicht solltest du nach draußen zu Whitmore gehen.«
      »Ach, und das würde nicht verdächtig wirken?«
      »Wir könnten so tun, als ob wir uns streiten.«
      »Da müssen wir nicht so tun, wir - oha, es geht los.«

Sam schob die letzte Gabel mit Salisbury-Steak in den Mund. Er wischte sich die Lippen mit einer Serviette ab. Dann nahm er quer über den Tisch ihre Hand und schaute ihr liebevoll in die Augen.
      »Sei nicht so ungeduldig. Lass dir einen Moment Zeit. Vergewissere dich, dass er nicht zur Toilette geht.«
      »Übrigens, Sam, ich bin sicher, dass Sanders mit Gruber ins Bett geht.«
      »Ich kann nicht glauben, dass er nicht pinkeln muss. Der Junge hat dreimal Cola nachbestellt, er muss Nieren aus Stahl haben.«
      »Du wirst alt, Sam.«
      »Du warst zweimal auf der Damentoilette.«
      »Man zählt nicht mit, Sam. Ein Kavalier hätte es nicht einmal bemerkt. Ein Kavalier - komm schon, verdammt, er haut ab.«

 

Aus dem Amerikanischen von Frauke Czwikla
© Verlagsgruppe Droemer Knaur, 2002
Alle Rechte vorbehalten!

 

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