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Cream of Crime 1/1995

Gilbert Keith Chesterton: Father Brown

 

Wer kennt es nicht, das verschmitzte, bescheidene Pfäfflein aus den schlichten Filmchen: Pater Brown, gegeben von Alec Guiness, Joseph Meinrad oder Heinz Rühmann? Wen man damit nicht kennt: "Father Brown", so wie ihn Gilbert Keith Chesterton von 1909 bis 1935 in die literarische Welt gesetzt hat. Genug Ausgaben von Pater-Brown-Geschichten waren auf dem Markt - zusammengewürfelt, dubios übersetzt und unvollständig hatte der detektivische Weltgeistliche (deswegen 'Father' also 'Hochwürden', und nicht 'Pater', was einem Ordensgeistlichen zukäme) nicht nur als literarische Figur keine Chance gegen die verharmlosende Rezeption, auch das mit dieser Figur verbundene Programm von Chesterton blieb weitgehend unsichtbar.

Die neue, erste vollständige deutsche Ausgabe der Father-Brown-Geschichten, die Hanswilhelm Haefs veranstaltet und übersetzt hat, bringt alle 50 Stories in eine plausible Ordnung, und läßt in bisweilen eigenwilligen Übersetzungen die sprachlichen Qualitäten von Chestertons eigenwilligem Stil deutlich sichtbar werden. Anlaß also, auf die arg unterschätzte Rolle der Father-Brown-Geschichten für die Entwicklung der Kriminalliteratur hinzuweisen. Umso mehr, als sich Haefs' Kommentare dazu nur auf die Äußerungen von Jorge Luis Borges (so interessant diese auch sind) fixieren.

Von heute aus gesehen, lesen sich die Father-Brown-Geschichten durchaus aktuell - wenn man sie aus der fatalen Reihe der 'Klerikal-Krimis' (Kemelman & die Folgen) herauslöst und sie mit dem jetzigen Stand der Dinge korreliert. Es macht Chesterton nicht zum (gar 'katholischen') Einzelgänger und Sonderfall, daß sein Father Brown als Gegenfigur zu Sherlock Holmes etwa konzipiert war. Im Gegenteil. Der Glaube an den Sieg der Rationalität, an die Möglichkeit von 'Aufklärung' nicht nur im kriminalliterarischen Sinne, die die Kriminalliteratur seit Conan Doyle bis zu den trivialsten Produkten heutiger Zeit andauernd propagiert, hat sich zunehmend als Schimäre erwiesen. Wo Romane heute noch behaupten, ein "Fall" sei sauber zu lösen, ein Verbrechen sei ein skandalöser Einzelfall, durch den eine Ordnung gestört sei, die man durch Aufklärung wieder reparieren könne, erweist sich Chesterton schon längst als Prophet gegen solche fahrlässige Ideologiebildung. Seine Priesterfigur, die ihre detektivische Grundausbildung im Beichtstuhl erhalten hat, weiß über die Ubiquität von Verbrechen und über dessen konstitutive Funktion für alle Gesellschaften besser Bescheid als die Verkünder des modischen "Bösen", das die Stilisierung ins Ungeheuerliche angeblich braucht. Monströse Schurken (Serialkiller & Co.) sucht man bei Chesterton vergeblich, genauso wie die Verschwörungstäter des internationalen 'Soziokrimis', die wie das monströse Böse einfach zu isolieren und damit beruhigend zu rastern sind. Verbrechen bei Chesterton sind nicht umsonst meist bizarr, surreal und abgedreht; Gewalt ist allgegenwärtig, und platt rationale Erklärungsmuster laufen bei ihm stets ins Leere. Kein Wunder also, daß bei Chesterton kein Widerspiegelungsrealismus aufkommt, heißt doch einer seiner Programmpunkte: "... im Leben findet sich ein Element zauberischer Zufälligkeit, die Menschen, welche mit dem Prosaischen rechnen, ständig verpassen."

An diesem Punkt sind die phantasmagorischen Bilder-und Verbrechenswelten Chestertons bei allen historischen Differenzen logische Vorläufer der zeitgenössischen, ernstzunehmenden Crime Fiction, die von Realitäten erzählt, ohne sie lediglich zu verdoppeln. Deswegen muß man ihn unbedingt ins Bewußtsein rücken. Die neue Ausgabe ist dazu der erste Schritt.

© Thomas Wörtche

 

Gilbert Keith Chesterton:
Father Browns Einfalt. ... Weisheit. ...
Ungläubigkeit. ...Geheimnis. ....Skandale.
Herausgegeben und übersetzt von Hanswilhelm Haefs.
5 Bände. Zürich 1991 - 1993: Haffmans Verlag.
Zus. DM 183.- Einzeln: Bd. 1-4: je DM 36.- Bd. 5: DM 39.-

 

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