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Cream of Crime 4/1998

Jerry Oster: Sturz ins Dunkel

 

In New York fällt ein Mann vom Hochhaus. Er hat zehntausend Dollar in der Tasche und war, so stellt sich heraus, zu Lebzeiten ein rechter Schmierlapp - Vergewaltiger, Erpresser und Biedermann. Niemand weint dem Schmutzel eine Träne nach, und niemand, schon gar nicht die notorisch überlastete Polizei, würde sich für diesen Zwischenfall interessieren. Wenn nicht einem Reporter ein kleines Detail aufgefallen wäre: Der Abflug von Chip Doyle, so hieß der Schmuddelvideokünstler, hat in der Wohnung einer gewissen Sharon Douglas begonnen. Und die war vor zehn Jahren das Opfer eines medial breit ausgewalzten Vergewaltigungsfalles. Der Reporter fängt an, zu recherchieren.

Wer die New-York-Romane von Jerry Oster kennt, dem fällt auf, daß diese Geschichte einen für seine Verhältnisse einfachen Plot hat. Hier spielen keine weißen Ritter mit, keine leprösen Staatsanwältinnen, keine Bürgermeister, die schon mal eigenhändig Obdachlose anzünden - oder sonstige Monstrositäten aus der irren Stadt, die seine Romane früher bevölkert hatten.

Der Thrill und die Spannung von "Sturz ins Dunkel" entstehen auch weniger durch originelle Handlungsdrehs. Es ist relativ bald klar, wer Mister Doyle aus dem Fenster geschubst hat und warum. Aber daß Oster aus der wenig überraschenden Motivlage der Täterin ein sehr überraschendes Motiv für den Reporter ableitet, den "Fall" aufklären zu wollen, das kann man so nicht erwarten.

Über den ganz alltäglichen Wahnsinn sind schon genug Bücher geschrieben worden, zumindest für Oster scheinen sich die Überraschungen mittlerweile eher im Innenleben der Menschen abzuspielen. Wobei auch zwangsläufig die Frage auf's Tapet kommt, was man - ohne ideologische Brachialrezepte - gegen den täglichen Irrwitz tun kann. Auch wenn es, wie hier, am Ende nichts nützt.

Spannung produziert auch die Inszenierung von Oster. Hatte er in seinen bisherigen Romanen New York City in ein Patchwork aus Stimmen, Sounds und Geräuschen zerlegt, konzentriert er sich hier auf Dialoge und Monologe, in denen wichtige Informationen wie kleine Perlchen in einem Wust von Geschwätz und Geplapper und Kommunikationslosigkeit versteckt sind. Die Leute reden pausenlos miteinander, aneinander vorbei und vor sich hin. Laut und leise, brüllend, blödelnd und immer auf Gags hin, die dann doch verpuffen, weil sie zu privat sind. Selbst die Blueskassetten, die er im Auto hört, hat sich der Reporter "dialogisch" zusammengestellt, um so abgedrehte Dinge rauszukriegen, wie zum Beispiel, wer mehr den "Blues" hat: Muddy Waters oder Howlin' Wolf. Aber als es dann wirklich auf die Macht der Worte ankommt, fliegt der Reporter böse und buchstäblich auf die Schnauze.

"Sturz in die Nacht" hat keinen amerikanischen Verlag gefunden, deswegen kann man sich das Original mit dem Titel "Nightfall" im Internet unter www.geocities.com/SoHo/Lofts/7911/Whennite.htm anschauen.

Vermutlich galt es für den amerikanischen Markt als zu verwirrend, zu "künstlerisch". Das ist das Buch auch, zweifelsohne. Aber es ist eben auch ein klassischer Kriminalroman, dessen eine Hauptfigur die Sprache ist. Wenn amerikanische Verlage das nicht mehr kapieren (wollen ?), dann ist "Sturz ins Dunkel" umso mehr ein giftiger Kommentar zur derzeitigen Kommunikationssituation, in der man über alles reden soll und will (vor allem: öffentlich), aber letztendlich nichts zu sagen hat. Auch daraus entsteht Gewalt. Das gilt beileibe nicht nur für die USA.

 

© Thomas Wörtche, 1998

 

Jerry Oster:
Sturz ins Dunkel.
(Nightfall, 1997). Roman.
Dt. von Jürgen Bürger und Robert Brack.
Reinbek: rororo thriller, 1998.
251 Seiten, DM 12,90

Sturz ins Dunkel

Die letzte Ausgabe von "Cream of Crime" erschien erst im März 1997.

 

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