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Cream of Crime 7/1993

Helen Zahavi: Schmutziges Wochenende

 

Als vor zwei Jahren Helen Zahavis Roman "Schmutziges Wochenende" erst als Taschenbuch, dann als Hardcover erschienen war, gab es lediglich zwei für das Niveau unserer öffentlichen Auseinandersetzung mit Literatur symptomatische Arten der Reaktion: Ignoranz und Funktionalisierung. Der Ignoranz arbeitete dabei wie so oft die verständnislose Übersetzung zu, die das feingesponnene Sprachkunstwerk von Helen Zahavi unkenntlich und unsichtbar macht. Ich bräuchte mindestens eine Seite, um alle plattgemachten Dimensionen aufzuzeigen, die "Dirty Weekend" in ein lediglich thematisch interessantes "Schmutziges Wochenende" verwandelt haben.

Fürs Funktionalisieren war EMMA zuständig: Eine Frau sieht rot gegen Männergewalt. Das hieß dann "politische Konsequenzen". Frau reduzierte das Buch darauf, indem sie nur solche Passagen abdruckte, die genau diesen Eindruck vermitteln. Die BRIGITTE brauchte dann lediglich noch daherzuplappern, Helen Zahavi gehe mit dem "Gewaltpotential von Männern um", und schon war der Roman säuberlich rubriziert, entschärft und uninteressant. Anläßlich einer Taschenbuch-Neuauflage ist deshalb auch heute noch einiges zu sagen.

Helen Zahavis Roman ist durchaus so eindeutig, daß jede Eindeutigkeit in Vieldeutigkeiten zerfällt; er exaltiert eine Position, bis die sich atomisiert: Die Hauptfigur, Bella, wird von einem Telefontäter bis aufs Blut gequält und erschlägt ihn mit einem Hammer; sie reißt sich einen ekelhaften Typen auf und erstickt ihn; sie begibt sich freiwillig in eine gefährliche Situation mit einem Zahnarzt und zermanscht ihn mit seinem Mercedes; sie durchstreift die Stadt und wird fündig - drei absolut widerliche Männer erschießt sie; zum Ende präsentiert sie sich einem Vergewaltiger, den sie ersticht. Eine Frau wie Bella zieht Gewalt an, sie muß den Kürzeren ziehen. Gleichzeitig wird die Opferrolle der schwachen Frau exaltiert, ihre Victimogenität parodiert. "Schmutziges Wochenende" ist auch der Roman einer bewußt und kalkuliert betriebenen Eskalation von Gewalt. Er ist das Porträt einer Killerin, die freudig und lustvoll tötet, also das Gegenstück zu diversen männlichen Psychopathenromanen, die Helen Zahavi parodistisch auf den Kopf stellt.

Tötungsrituale aus Peckinpah-Filmen stiften Bilder, die Tötungsinstrumente entstammen der männlichen Ikonographie. Den männlichen Wahn, das "Werkzeug" einer höheren Macht zu sein, das für Sauberkeit auf Erden zu sorgen hat, spiegelt Helen Zahavi, indem sie mit ihrer Hauptfigur den weiblichen Sauberkeitswahn parodiert, der meint, allen Dreck auf Erden wegräumen zu müssen. Die brillanten Analysen der normalen männlichen Gewalt, die sie mit wenigen, ungeheuer treffenden Strichen darstellt, konfrontiert sie mit der klaustrophob engen Perspektive von Bella. Vermittels sprachlicher Artistik: Bellas litaneiartigen Assoziationsketten, ihre von keinerlei political correctness gebremsten Reflexionen (inklusive einer bestimmten Nazi-Metaphorik), die kunstvoll arrangiert und ritualisiert sind (Bella und die Erzählerin sind nicht identisch), pointieren Metaphernketten zu Gewaltausbrüchen, führen von heavy metal über chains zu Brownings, Brens and bazookas, entwerfen eine Semantik des Tötens auch aus der Alltäglichkeit der Tötungsmittel und ihrer Verfügbarkeit.

Der Roman ist mehrdimensional verstörend, und nicht ideologisierbar: Diese Frau sieht eben nicht rot, wie es interessierte Kreise gerne hätten. Die Plausibilität des Tötens, die er vorführt, leitet sich von beidem her: von dem gesellschaftlichen Zustand, gegen den er antobt, und von der Dialektik, die ästhetisierende Bilder und Versprachlichungen zu diesem Zustand polemisch in Beziehung setzt.

© Thomas Wörtche

 

Helen Zahavi:
Schmutziges Wochenende
(Dirty Weekend, 1991). Roman
Deutsch von Mechthild Sandberg-Ciletti.
Zürich: Unionsverlag, 2001
208 S., 16.90 DM

Die Besprechung bezieht sich auf die Ausgabe
München: Goldmann 6. Auflage 1993;
182 Seiten, DM 9,90

 

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