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Cream of Crime 10/1996

James Crumley: Tequila-Blues

 

Der Vietnam-Krieg ist noch lange nicht vorbei, der Alptraum geht weiter. Vor allem die Romane von James Crumley, den als "Krimiautor" zu bezeichnen ein ziemlich schräger Einfall wäre, halten die häßliche Schwäre im US-amerikanischen Bewußtsein weiter offen. "Tequila-Blues", die deutsche Übersetzung des 1993 erschienenen Romans "The Mexican Tree Duck" (= mexikanische Baumente) läßt, wie immer bei Crumley, eine Herde von durchgeknallten, vollgedröhnten und schlichtweg irren Vietnamveteranen durch die Bergwelt der Rocky Mountains toben, von Montana runter bis nach New Mexico. Es ist keine reine Männergesellschaft, die Frauen sind genauso begeistert bei der Sache. Assortiert mit einer erstaunlichen Bandbreite von Drogen und Waffen (für den Notfall steht sogar ein alter Sherman-Panzer gutgeölt und frisch überholt bereit) nehmen sie den Kampf gegen sich selbst und die diversen Unappetitlichkeiten der Jetztzeit auf. Sie verwickeln sich in schmierige FBI- und DEA-Aktionen, bei denen aus jeweils eigenen Gründen kubanische Söldner, versprengte Sendero Luminoso-Trupps mitmischen, Biker-Gangs und mexikanische Oligarchen. Die Schluchten und Wüsten im Süden und Westen der USA hallen wieder von dem Gerattere der automatischen Waffen, und wenn es Zeit für den Body-Count ist, wie damals in Nam, dann stellt sich heraus, daß der ganze Schlamassel dort und damals angefangen hatte, als ein paar Jungs jeglicher Hautfarbe dummer- und naiverweise gedacht hatten, patriotisch richtig zu handeln und begreifen mußten, daß inzwischen die CIA einen blühenden Opium-Handel aufgezogen hatte und sich einzelne Herrschaften goldene Nasen verdienten.

Times they're a-changing, aber nicht die miese Mentalität der feinen Herrschaften von damals. Damals haben sie Menschen verheizt, um ihre Drogengeschäfte zu decken, heute klauen exakt dieselben Dreckfinger von der US-Seite der Grenze aus den Mexikanern nicht nur das Wasser, sondern gleich noch das Erdöl. Darum geht es in "Tequila Blues", einem Roman, der glücklicherweise gar nicht vorgibt, ein "realistisches Sittengemälde" aus der bösen Welt von heute oder so zu sein. Crumley inszeniert den Trip von C.W. Sughrue, seiner Hauptfigur, und dessen Hilfsmannschaft aus Freaks und Bekloppten als eine Art Zuspät-Western, in dem die Helden zwar müde geworden sind und sorgfältig ihre Zipperlein ( meist Spätfolgen exzessiven Drogengenusses oder das berühmte Vietnam-Trauma) betutscheln, aber noch ganz schön hinlangen können. Er jagt sie, immer on the road, durch surreale Landschaften und Personenkonstellationen, die man in seinen ärgsten Träumen nicht erleben möchte, durch überdimensionierte Gewaltorgien und durch eine labyrinthische Grauzone aus Big Business und Politik. Für den Leser ist es genauso schwer zu entscheiden, wo der Trip aufhört und die Wirklichkeit beginnt, wie für die hochgepeitschten und runtergetörnten Hirne der Figuren. Es ist auch egal, denn Crumley beherrscht seine erzählerischen Mittel so perfekt, daß wir nie aus den Augen verlieren: Es handelt sich um Literatur.

Crumleys Figuren schreien nicht beleidigt gegen die Verletzungen an, die ihnen ein bösartiges System zugefügt hat, sondern versuchen eine Art Neuorientierung nach dem Sündenfall der USA. Ihre Verkrüppelungen, ihre Bösartigkeit, ihr Umgang mit Drogen und Waffen, all das führt nicht deterministisch auf die Katastrophe hin, denn es gibt Entscheidungsfreiheit. Man kann auch anders damit umgehen. Und sei's satirisch und sei's, relativ zur durchgeknallten Welt, mit so etwas wie Ehre und Anstand. Dieser Dreh macht "Tequila Blues" zu einem überraschend optimistischen Roman.

© Thomas Wörtche

James Crumley:
Tequila-Blues.
(The Mexican Tree Duck, 1993).
Roman. Deutsch von Georg Schmidt.
München: Goldmann, 1996.
284 Seiten, 14.90

 

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