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Populär und unwichtig

Das Genre spielt keine Rolle mehr. Von Thomas Wörtche

 

Die deutsche Kriminalliteratur steckt in einer paradoxen Situation. An ihr zerren zur Zeit ganz unterschiedliche Kräfte: So gab und gibt es den Run der »Hochliteratur« auf den Krimi, wobei wir »Hochliteratur« an dieser Stelle rein soziologisch verstehen wollen. Georg Klein, Michael Roes, Thomas Hettche, Marc Höpfner oder Tobias O. Meißner haben Texte abgeliefert, die - ob zu Recht oder Unrecht - als Bereicherung des Genres gewertet wurden, Veit Heinichen hat als Person des Kulturbetriebs viel Aufmerksamkeit für seine Triest-Krimis eingestrichen, Martin Walsers demnächst erscheinender Krimi wird ebensoviel Medienrummel erreichen, wie es sich Anne Chaplet nach ihrem Outing als Edelfeder Cora Stephan gewünscht hätte.

Die Multiplikatoren des Literaturbetriebs funktionieren in allen diesen Fällen prächtig - über das Genre muss dabei nichts Genaues gewusst und gesagt werden, es spielt substantiell keine Rolle. Der Status der Verfasserinnen und Verfasser resp. der Verlage genügt für die mediale Aufmerksamkeit. Als renommierter Name zum Genre »hinunter zu steigen« ist ein relativ risikoloses Unterfangen. Über reale Verkaufszahlen sagt das noch nichts, inkommodiert anscheinend aber die ständischen Kriminalautoren und trägt zu der Kommunikationslosigkeit auf dem Felde der Kriminalliteratur bei. Grummelnde Töne über die »Intellektualisierung des Krimis« werden vernehmlich, die vermutlich auf der Verwechslung von Quantität und Qualität beruhen.

Wobei wir beim zweiten Bausteinchen des Paradoxons angelangt wären. Das »Syndikat« versteht sich als Interessensvertretung der deutschen Kriminalliteratur, repräsentiert aber stattdessen ein paar Hundert Produzenten von deutschen Krimis aller Couleur in der Spannbreite von »Bäckerblume« bis »Tatort«. Die »Criminale«, das jährliche Verbandstreffen, war auch diesmal wieder ein grosser Publikumserfolg. Ein event, der für die ausrichtenden Städte und Gemeinden ein interessanter Wirtschaftsfaktor zu werden verspricht, lokale Medienresonanz garantiert und für die diversen Sponsoren vor Ort ein vielsprechender Werbeträger ist. Für die beteiligten Verlage bedeutet dies eine Entlastung ihrer eigenen Werbe- und Marketing-Etats und trägt zu dem Kalkül bei, dass deutsche Autoren (wegen Wegfall des Übersetzungskosten, teuren Anreisen etc.) günstiger »zu machen« sind als fremdsprachige. Die Tendenz, aus deutscher Produktion zu drucken, was immer günstig druckbar ist (und viele Autoren sind aus Dankbarkeit, überhaupt gedruckt zu werden, bereit, den Verlagen sehr weit entgegen zu kommen), führt für die ständische Vertretung zu einem Problem: Wohl wissend, dass angesichts der gewaltigen Qualitätsunterschiede der vertretenen Autorenschar (gute und schlechte Autoren können keine gleichen Interessen haben) das einzig Verbindende der Umstand ist, dass alle auf deutsch schreiben, hilft nur noch nationalliterarische Argumentation - eine Art buy German-Mentalität. Weil aber gleichzeitig über die »Criminale« nur als event, und nicht wegen der dort vorhandenen brillanten Qualität von Texten oder scharfsinnigen Diskursen berichtet wird (der deutsche Durchschnitts-Krimi findet im Feuilleton einfach nicht statt), kommt es zu einem unseligen Zweifrontenkrieg: Einerseits wider die »Hochliteratur«, die sich angeblich mittels intellektueller Rabulistik (d.h. was man dafür hält) an den wackeren, biederen »Krimi« annapft, als auch wider die als übermächtig empfundene ausländische Konkurrenz (und die Autoren deutscher Zunge, die nicht vom »Syndikat« vertreten sein wollen). Das ist keine beneidenswerte Situation. Der deutsche Krimi (in seiner engen Definition) war noch nie populärer und noch nie unwichtiger.

Auch das hat paradoxe Gründe. Denn der deutsche Krimi war noch nie so professionell. In dem Sinn, vorauseilend den Verlagen die gewünschte Stangenware zu liefern, die im marketingtechnischen Sinn »zu gehen« verspricht. Alle internationalen Erfolgsformeln der letzten Jahren können jetzt auch als deutscher Nachbau billiger bezogen werden. Das ist clever, aber auch kurzsichtig. Die Unzahl von Krimis mit »lokalem Bezug«, die historischen Krimis, die Hera-Lind-Klone mit kriminalliterarischer Anmutung, die als global empfundenen »Psychokrimis«, all das verkauft sich sicher sehr befriedigend und ist morgen wieder vergessen, weil auch die Sprache dem Gebot des Unauffälligen, zumindest dem schlichten Konsum nicht Abträglichen gehorcht. Im besten Fall. Deswegen ist auch die Bereitschaft, angebliche literarische »Genremuster« zu erfüllen, bedeutend grösser als sich mit notfalls neuen Mitteln der Realitäten anzunehmen.

Innovation findet im deutschen Krimi zur Zeit nicht statt, wohl aber in krimi-analogen oder bloss krimi-artigen Texten ausserhalb des Krimi-Milieus. Die auf den ersten Blick günstigen Bedingungen für den deutschen Krimi sind, so muss man befürchten, eher ein Hindernis für dessen Qualitätsentfaltung. Wer immer nur Vorgaben erfüllt, kommt nicht dazu, sich den Rohstoff (die spezifischen deutschen Realitäten, die der einzige Grund sein können, den deutschen Krimi im internationalen Vergleich interessant zu machen) anzusehen.

Es ist evident, dass nach dem Verstummen einer ganzen Generation von Autoren (nicht im Sinn von Lebensalter, sondern von Auftauchen auf der literarischen Szenerie) resp. dem nur noch routinehaften Abspulen alter Muster ein Innovationsstau aufgetreten ist. Es gibt zur Zeit keine neuen Hauptwerke und keine profilierten, souveränen neuen Köpfe, die »das Genre« im weiteren Sinn nach vorne bringen könnten. Die von Autoren gerne als Ranküne der Verlage verstandene Unlust »Krimi« aufs Cover zu schreiben, hat insofern sogar ein wenig traurige Raison - der Begriff benennt zur Zeit de facto viel zu viel Belangloses und Triviales.

Aber Schwarzmalen gilt auch nicht - es gibt einen Ansatz zu einer neuen »Krimi«-Kultur, an der höchstens im Moment noch verstörend sein mag, dass sie etwas anders aussieht als die altgewohnten Musterbögen aus den 30er und 50er Jahren. Namen wie Uta-Maria Heim, Friedrich Ani, Astrid Paprotta, Heinrich Steinfest, Thea Dorn, Dirk Schmidt, Thomas Glavinic oder Katja Henkel könnten dafür stehen. Ihr grosses Problem wird sein, die Zeit zugebilligt zu bekommen, sich entfalten zu können und nicht von der Erfolgswelle der deutschen Krimiüberproduktion totgedrückt zu werden.

 

© Thomas Wörtche, 2002
(Buchkultur, August 2002)

 

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