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Tod durch Erfolg?

Von Thomas Wörtche

 

Alles ist gut, alles ist schön. Dem Krimi geht es so prächtig wie seit Jahren nicht mehr. Gut genährt, rosig glänzend und pumperlgsund sitzt der kleine Wonneproppen auf den Bestsellerlisten. Jedermanns Lieblingsschratz, sozusagen, selbst Frau Heidenreich mag ihn seit einiger Zeit knuddeln. Vermutlich, weil er so putzig geworden ist, der neue, nicht schmutzende, mittelstandskompatible Krimi für den gepflegten Grusel. Fein!

Ein knuffiges, moppeliges Brüderchen hat er auch gekriegt - »den literarischen Krimi«. Kein Mensch weiß zwar genau, was das sein könnte, aber so allmählich zeigt er Gestalt, der kleine Wechselbalg. Der »literarische Krimi« ist ein Roman von einer Schriftstellerin oder einem Schriftsteller, die eigentlich gar keine Kriminalromane schreiben, keine kennen, keine kennenlernen wollen, sich mit Realitäten und Kriminalität und anderen unschönen Aspekten des Lebens nicht auskennen, damit um Himmels willen auch nichts zu tun haben möchten, und die zudem der Meinung sind, dass alles, was in Romanen aller Art erzählt wird, lediglich literarische Topoi sind, ergo auch Kriminalromane nur aus einer Kette von Topoi mit Varianten bestehen und also literarisch »in sich stimmig« sein müssen und sonst nix - mit anderen Worten: Das kann ich auch!

Solche literarischen Krimis kommen in letzter Zeit mit angemessen entnervender Prätention von Louise Welsh, Paulus Hochgatterer, Jan Costin Wagner, Michael Collins, Helmut Krausser (als Titus Keller), John Banville oder Eva Demski; sie erscheinen in der lustigen Reihe »Die dunklen Seiten« bei Nymphenburger, bei Suhrkamp, Antje Kunstmann oder anderen ambitionierten Anbietern. Sie sind nicht alle per se schlecht, schon gar nicht per se verwerflich. Sie haben nur den Bezugsrahmen mit-verändert, in dem sich Kriminalliteratur oder was man heute als solche etikettiert, abspielt.

Der eben beschriebene literarische Kriminalroman und der bestsellerlistendominierende evasive Kriminalroman - also die ganzen Märchenschwarten unterschiedlicher Strickart von Dan Brown über Elizabeth George zu Tess Gerritsen - haben zumindest eine Funktion gemeinsam: Sie haben der Kriminalliteratur Respektabilität eingebracht. Einmal den Respekt vor einer gut verkäuflichen Ware - mit Krimifestivals machen Tourismus-Behörden Sympathie-Werbung für Regionen und Städte; alles, was irgendeine »Krimi«-Anmutung hat, zieht Publikum in Scharen an, vermutlich kommt auch Grimmi-Jodeln gut; mit Krimi begeistert man schließlich Sponsoren. Und zum anderen die Respektabilität, literarisch top notch sein zu können, Weltliteratur »wie die Highsmith«, und der Schiller hat ja auch... Jaja.

Beide Sorten von Respektabilität helfen der Kriminalliteratur überhaupt nicht, kreativ gesehen. Denn um - im ersten Fall - ein Produkt massentauglich zu verkaufen, darf dieses Produkt keinesfalls nicht gefallen. Es muß hammerhart gefallen. Und was massenhaft gefällt, kann nicht wehtun, das pp. Publikum kennt zwar oft keinen ästhetischen Schmerz, aber schmerzhafte Erkenntnisse, neee, das ist dann doch nicht der Bringer.

Kriminalliteratur aber muß wehtun, wenn sie wirklich das ausspielt, was nur sie kann: Von Gewalt, Tod und Verbrechen präzise und genau erzählen, von dieser ganz bestimmten Form sozialer Interaktion, von der wir ansonsten lieber nichts allzu Konkretes hören möchten. Wenn Kriminalliteratur aber massenhaft gefallen will, muss sie möglichst versöhnlich erzählen, weit weg von Realitäten weisend; und sie darf das nicht allzu komplex machen. Wie überhaupt Komplexion so`n Ding ist - too much, das überfordert gerne, holt den Leser nicht ab, nimmt ihn nicht an der Hand, läßt ihn allein und wie die Idiotismen alle heißen.

Und die literarisch Respektablen: Die sind, meistens wg. ihrer gnadenlosen Ahnunglosigkeit von Realitäten eher unfreiwillig komisch, oder sie erfinden, wegen ihrer gnadenlosen Unkenntnis der Genre-Geschichte, immer wieder das Rad neu. Georg Klein etwa gehört in diese Kategorie. Das ist alles nicht so schlimm, eher lustig. Doppelt lustig wird es, wenn es ein neckisches Zusammenspiel mit dem Feuilleton gibt, das genau diesen Unfug immer wieder mit der ihm eigenen Ahnungsloskeit beglaubigt. Obwohl, sooo lustig ist das dann auch nicht, halt eher so originell wie die Erkenntnis, dass Wasser naß ist.

Entscheidend ist, dass Respektabilitäten die Kriminalliteratur seltsam petrifiziert haben. Oder präziser: Nix Neues, weit und breit! Als ob die ständige Innovationsfähigkeit der Kriminalliteratur allmählich zum Erliegen gekommen wäre, jetzt, wo sie doch endlich da ist, wo sie immer hinwollte. Der Weg ist nicht mehr länger das Ziel? Tod durch Erfolg?

Selbst bei den SpitzenautorInnen, bei Fred Vargas, bei Heinrich Steinfest, bei Friedrich Ani, bei Ian Rankin, Michael Connelly, Carl Hiaasen hilft es nichts, die Augen zu verschließen - denn ach, auch bei ihnen werden allmählich die Blaupausen sichtbar, der Mechanismus der Masche drückt sich durch und sei er noch so subtil. Das kann vermutlich nicht ausbleiben, das ist menschlich, das ist zunächst kein Qualitätskriterium - aber heiße Ohren beim Lesen bekommt man auch nicht mehr, weil man mehr oder weniger genau weiß, was im Text passieren wird. Kurz: Die Ästhetik des Kriminalromans ist, bei aller Vielfalt iher Möglichkeiten, von dem eingeholt worden, was man aller Genre-Literatur schon immer vorgeworfen hat: Von der Wiederkehr des Immergleichen.

Und natürlich hat das Bedürfnis des Publikums, bzw. das gehorsam vorauseilende oder präformierende Interesse der Verlage an Serien und Serienhelden und -Innen und soap opera und telenovela ihren Anteil an dieser Misere. Man kann es an der Untertitel-Manie sehen: Jeder Kriminalroman: "Ein Fall für Schnurchi Schlupps" oder ein: "Schlurchi Möpps Krimi", ob Meisterwerk oder Schwarte - diese Unart des Publikum-für-Blöde-Erklärens, diese Eigenmarginalisierung, diese Verblödelung eines ganzen Genres, dieser Drang zur kommerziell induzierten Platt- und Gleichmacherei färbt vermutlich auf den mutigsten und autonomsten Autor ab. Ich weiß, wer im Glashaus sitzt, soll nur im Notfall mit Steinen werfen, aber solche Phänomene entwickeln eine ungute Eigendynamik, die sehr schwer zu stoppen ist.

Wie man überhaupt das ganze production design von Kriminalliteratur als Serien-Literatur (nein, nicht als serielle Literatur) überdenken sollte - das verlegerisch Wünschenswerte, das um den Publikumsbeifall allzu aufdringlich buhlende Kalkül erweist sich mehr und mehr als hocheffizientes Kreativizid. Unbehagliches Faktum ist aber auch: Wer beliebte SerienheldInnen aufgibt, den bestraft der Markt - fragen Sie mal Liza Cody... und um in der gebotenen Dialektik zu bleiben: Nix gegen Serien, alles gegen den Zwang zur Serie.

Aber wo sind dann die Selbsterneuerungskräfte geblieben, die das Genre immerhin über hundert Jahre am Leben gehalten haben? In Deckung, in der Hibernation oder ein Bier trinken? Oder aber ist folgende Überlegung plausibel?

Das Programm »Kriminalliteratur«, so wie wir sie kennen und schätzen, hat sich erfüllt - ein neues ist nicht in Aussicht. Zumindest nicht in schriftlicher Form. Die Kreativkräfte, die bisher die rohe, wüste, bizarre, ästhetisch spannende Literarizität des Genres geschaffen haben, sind ausgewandert. Zum Beispiel in Nachbar-Genres, zu Horror und SF. Oder in die Bilderwelten. Vielleicht hat sich ja crime fiction, soweit sie in Prosa stattfindet, »leer erzählt«? Vielleicht kann das, was die Kriminalliteratur bestens konnte, heute ein anderes Medium besser? Film, Fernsehen, Comic...

Keine Angst, ich will hier nicht wieder einmal den Tod der Literatur verkünden und im folgenden auch nicht den Untergang des Abendlandes, mein Vorname ist ja nicht Oswald. Aber die Hybridisierung von visueller und verbaler Wahrnehmung im Comic zum Beispiel sorgt dort mehr und mehr für ästhetische Sensationen als in der routiniert vor sich hin wurschtelnden Buchproduktion. Die großartigen graphic novels »V for Vendetta«, »The Watchmen«, »Sin City«, »Road to Perdition«, »A History of Violence«, die Tardi/Manchette-Comics, Hannes Binders Glauser-Adaptionen, die Rückkehr von Sanchez Abulis »Torpedo«-Comics - all das zeigt an, dass die genre-hafte Bearbeitung von crime fiction in Bewegung geraten ist. Vieles von dem, was in den frühen 1990er abgebrochen und ausgetrocknet wurde, vermutlich weil die Zeit noch nicht reif war, feiert heutzutage plötzlich fröhlich Urständ.

Und auch das Fernsehen hat sich massiv um neue Formen gekümmert. Naja, das deutschsprachige Fernseh nur sehr ansatzweise, da herrscht halt der Redakteur. Aber was das internationale TV bietet - der dänischen »Adler«, »The Shield« , »24«, »Homicide« und natürlich immer noch die »Sopranos« - hat kaum Analoges im literarischen Bereich. Von Kinoproduktionen wie »Departed« oder »Collateral« gar nicht zu reden, sie sind der nur niedergeschriebenen crime fiction weit enteilt. Aber dieser Vergleich ist natürlich absolut unfair.

Anyway, eine gewisse Stagnation der Kriminalliteratur kann man nicht wegdiskutieren - wie dramatisch man sie sehen möchte, hängt von der jeweiligen Interessenlage ab. Mittelmässige und schlechte Autoren werden vom Trend profitieren - die Verlagsprogramme sind voll davon, sie müssen schließlich aufgefüllt werden, egal, mit was. Den exzellenten Autoren kann es egal sein, sie sind exzellent. Also ist alles gut, ist alles schön, ist alles langweilig - bis auf Weiteres.

 

© Thomas Wörtche, 2007
(Buchkultur, Juli 2007)

 

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