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Terrorismus und Deutungshoheit

Terrorismus ist ein ideales Thema für die Kriminalliteratur. Die Figur des "Terroristen" bevölkert nicht nur den Polit-Thriller, sondern ist bis in die seichteren Sphären der Kriminalliteratur vorgedrungen.

Von Thomas Wörtche

 

Terrorismus ist ein schillernder Begriff und hängt von der Perspektive dessen ab, der die Deutungshoheit hat. Des einen Terrorist ist des anderen Freiheits- oder Widerstandskämpfer, Revolutionär oder Heiliger Krieger. Man redet von "Staatsterrorismus", vor allem, wenn "Schurkenstaaten" gemeint sind. Die schmutzigen Kriege der Geheimdienste und outgesourcter Privatarmeen sind dann kein Terrorismus, wenn sie im Auftrag demokratischer Staaten handeln. Und dort ist der Terrorismus das, was früher der Kommunismus war - etwas, vor dem die Gesellschaft notfalls unter Aushebelung der Bürgerrechte geschützt werden muss. Ob sie das will oder nicht.

Insofern ist "Terrorismus", egal, wie man ihn sehen will, ein ideales Thema für Kriminalliteratur, besonders für ihre Variante des Polit-Thrillers. Da liegen allerdings die Dinge meistens nicht so einfach, wie die offiziellen Sichtweisen sie vorgeben möchten. "Terrorismus ist, was terrorisiert", lässt Ross Thomas in seinem Klassiker »Am Rande der Welt« Booth Stallings, den "Terrorismus-Spezialisten" eines politischen Think Tanks, sagen, der sich mit dieser Perspektive auf die Dinge bei seinen Chefs nicht gerade beliebt macht.

In »Nada« von Jean-Patrick Manchette, ein Meilenstein des politischen Kriminalromans, sinniert ein gescheiterter Anarchist, der offiziell natürlich als "Terrorist" bezeichnet wird, resigniert: "Das Regime wehrt sich selbstverständlich gegen den Terrorismus. Das System jedoch verwahrt sich nicht dagegen, es ermutigt ihn, betreibt Werbung für ihn." Manchettes Roman - der Todestag des Autors jährt sich gerade zum 20. Mal, jüngst sind gesammelte essayistische Texte unter dem Titel »Portrait in Noir« im Alexander Verlag erschienen - aus dem Jahr 1972 bezieht so schon eine sehr hellsichtig-dialektische Position zum Thema, die heute immer noch Stand hält. Gerade weil sie kein schlichtes Weltbild bedient. Denn bei manchen zeitgenössischen Polit-Thrillern muss man befürchten, dass die Autoren hemmungslos einem dubiosen Populismus huldigen, ganz nach dem Geschmack des us-amerikanischen breiten Publikums.

Von stramm patriotischen Autoren wie Tom Clancy ist auch nicht anderes zu erwarten, dass jedoch eine Koryphäe wie Don Winslow mit seinem Söldner-Roman »Vergeltung« in harsche schwarz/weiß-Ideologie verfällt und auch noch die offizielle US-Politik "rechts" überholt, ist zumindest bemerkenswert. Denn bei Winslow gibt es nur eine Methode, mit "Terroristen", hier Djihadisten, umzugehen: Abknallen.

Subtiler geht da schon Olen Steinhauer vor, in dessen Roman »Die Kairo Affäre« am Beispiel der verworrenen Bürgerkriegs-Situation im Nahen Osten die westlichen Verwicklungen mit verschiedenen Parteiungen sichtbar werden. Ein Roman zudem, der zeigt wie fragil und geo-politisch aufgeladen die jeweiligen Unterscheidungen zwischen den einzelnen "Terrorismen" sind.

Die Figur des Terroristen auf jeden Fall hat selbst in die leichteren Abteilungen der Kriminalliteratur Einzug gehalten: In Martin Walkers aktuellem, siebten "Bruno"-Roman »Provokateure« geht es unter anderem auch um einen traumatisierten Djihadisten, der in der kulinarisch-touristisch inspirierten Kulisse der Provence auftaucht und für allerlei störendes Ungemach sorgt.

Aber recht eigentlich verlangt das Thema eine hochauflösende literarische Lösung: Die hat Zoë Beck mit ihrem Polit-Thriller »Schwarzblende« gefunden. Angelehnt an ein authentisches Ereignis - die Ermordung eines britischen Soldaten durch zwei "Islamisten" vor laufenden Handy-Kameras - geht sie den Verästelungen des Ereignisses nach. Spätestens bei der Frage, ob und wie weit die Geheimdienste des United Kingdom involviert sein könnten, wird die Lage unbequem unübersichtlich. Zoë Becks kühle, klare Prosa verstärkt dieses Unbehagen noch beträchtlich. Und genau darin liegt die große Chance politischer Kriminalliteratur: Mit den geeigneten künstlerischen Mitteln die schmerzhaften Fragen zu stellen. Mehr davon!

 

© Thomas Wörtche, 2015
(Buchkultur,
Krimi Spezial,
Sommer 2015
)

 

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