legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Ohne Tradition keine breite Kultur

Der deutsche Krimi ist irrelevant und unglücklich und hat sich irgendwo zwischen überzogenem Anspruch und freiwilliger Anspruchslosigkeit verheddert.
Von Thomas Wörtche

 

Das Eishockey von Papua-Neuguinea ist vielleicht nicht gerade das Größte auf der Welt. Niemand wirft das Papua-Neuguinea vor und ich glaube auch nicht, dass es sehr darunter leidet. Die tüchtigen Deutschen wollen unbedingt Kriminalromane der Weltspitze schreiben können. Aber sie können es halt überhaupt nicht. Sagen zumindest die Freunde der angelsächsischen Tradition von mystery, thriller und novels of suspense. Und so ist man wechselseitig beleidigt.

Sortieren wir mal ein bisschen: Der deutsche Krimi (Krimi hier als Abkürzung für alles, für das andere Sprachen verschiedene Wörter haben - das ist übrigens schon ein erstes Indiz für eine wenig ausgefaltete Krimi-Kultur hierzulande) hat keine Tradition. Ohne Tradition keine breite Kultur, höchstens Einzelstücke.

Das liegt nicht nur an dem grossen Schnitt von 1933, dessen Folgen weit in die 1960er hineinreichen. Die komplexen Gründen stammen mindestens aus dem 18. Jahrhundert, als die deutsche narrative Prosa weit hinter der englischen, französischen und anderen europäischen zurückblieb. Hierzulande gab es keinen Fielding, Smollet, Thackeray, Defoe, später keinen Balzac, Stendhal, Zola, keinen Turgenjew, Flaubert, Maupassant, Poe, Stevenson, Tolstoi, Gogol etc. Bei uns gab es Exzentriker wie Goethe oder E.T.A.Hoffmann oder wackere Köpfe aus der zweiten Linie wie Fontane oder Keller (wenn wir uns den mal sprachlich einverleiben dürfen). Man möge mir die Grobschlächtigkeit der literarhistorischen Skizze verzeihen, aber bitte genau vermerken, dass ich von erzählender Prosa rede, von plot-bewegter, realitätsbearbeitender Prosa, nicht von Lyrik, Drama oder reflektorischer Prosa, sprich Philosophie, Historiographie oder ähnlichen Disziplinen. Wir hatten auch keine Wildes, Bierces, Chestertons, Sakis, Kiplings, später keine Orwells, Somersets Maughams, Faulkners oder Graham Greenes, die alle auf den dünnen Grenzlinien zwischen E und U herumtanzten, die Frivolität, Schwarzhumoriges, Komisches, Makabres, Exotisches, Grausames oder Groteskes mit Eleganz und Esprit zu schreiben wussten. Auf diesem Feld hatten wir höchstens dito exzentrische Einzelgänger wie Grabbe, Panizza oder Traven, denen - wie E.T.A.Hoffmann - lange die Anerkennung im eigenen Lande verweigert wurde. Und dann kam 1933, wo alles, was Witz, Analytik, gesellschaftlichen Bezug und demokratischen Verve hatte, ausgetrieben wurde. Wenn wir Krimi also nicht nur als eine von jeder anderen Literatur und Kultur losgelöste Soloveranstaltung sehen, dann hat die deutsche Variante schon von daher schlechte Karten.

Aber auch »genre-intern«: Keine Kontinuität in den diversen Genre-Reihen - weder in der Tradition von Conan Doyle, noch von Agatha Christie, noch von Dashiell Hammett. Also auch keine Tradition in der Ausbildung von Subgenres, deren Variation, Durchbrechung und Erneuerung. Und schon gar nichts Innovatives, Originäres, das zeitgleich zu den diversen angelsächsischen Entwicklungen stattgefunden hätte. Originäre deutsche Linien wie die des Politthrillers von Buchan über Greene zu Ambler und Le Carré gibt es nur als vereinzelte Texte. Als breiten Strom nie.

Nach 1945 kam die zweite Blockade, die eigentlich noch die von 1933 war: Die Sittenwächter gegen Schmutz & Schund blockierten die Rezeption von Autoren wie Chandler und Hammett bis weit in die 60er, und sei es nur atmosphärisch. Das ermutigte deutsche AutorInnen nicht gerade. Und als sich in den 60ern alles etwas entkrustete, kam die nächste Entmündigung durch das Fernsehen. Frühe TV-Formen wie »Stahlnetz« waren rührend ungelenk auf deutsche Verhältnisse gestülpte US-amerikanische Formate (»Dragnet«), bis dann das unselige Wirken des »Kommissars«, »Derrick« & Co. einsetzte, das bis heute den Fernseh-Krimi dominiert. Auch der »Tatort« unterschied sich bis Schimanski nicht wesentlich von deren Biederdramatik und schreienden Zerrbildern von Verbrechen & Ermittlung. Aber das ist ein anderes Thema.

In den 60er, 70er und 80er Jahren, als ein deutscher Krimi zart zu keimen begann, passierte eine unsinnige Fraktionierung: Auf der einen Seite hatte sich der sogenannte »Sozio-Krimi« formiert, der im Gefolge des schwedischen Duos Sjwöwall/Wahlöö und basierend auf der Überzeugung, man könne mit dem Vehikel »Krimi« allerlei emanzipatorische oder zumindest aufklärerische Inhalte transportieren. Einzelgänger wie Jörg Fauser oder Ulf Miehe stemmten sich dagegen und beriefen sich ihrerseits auf amerikanische Vorbilder: den Hardboiler. Aber der Dissens war schräg, wenig sachlich fundiert und ein bisschen albern. Denn ein dem »Sozio-Krimi« zugeschlagener Autor wie Michael Molsner hing genauso dem Chandler-Paradigma an wie zum Beispiel Fauser - nur die jeweiligen Stilisierungen und die Fähigkeit, (mediale) Proselyten zu machen, unterschied sich. Es bleibt aber das Faktum, dass der deutsche Krimi so oder so nicht über das Stadium des Epigonalen hinausgekommen war und international im Grossen und Ganzen keine Beachtung fand. Was entschieden auch damit zu tun hat, dass Deutsch endgültig zu einer Minderheitensprache geworden war.

Der internationale Kriminalroman hatte sich inzwischen weit von diesen deutschen Konfliktlagen entfernt - nach Chester Himes, Joseph Wambaugh oder Jerome Charyn waren die literarischen Mittel so ausgefuchst, dass der deutsche Krimi mit seinen ideologischen Positionskämpfen und seiner mittelmässigen Prosa an den mittlerweile globalen Entwicklungen nicht mehr partizipieren konnte oder wollte. Der französische néo-polar und die hispanophone novela negra (alle mit langen narrativen Traditionen in der Kultur ihrer Sprachräume) brachten zudem Schriftsteller hervor, die in ihren jeweiligen Kulturen literarisch integriert war: Rubem Fonseca in Brasilien, Vázquez-Montalbán in Spanien oder Daniel Pennac in Frankreich hatten Positionen und Stimmen, die deutsche Verbandsfunktionäre (des inzwischen gegründeten Krimiautorenverbandes »Syndikat«) einfach mangels intellektuellen Gewichts und ästhetischer Gleichgültigkeit nicht haben konnten. Dazu kam in den 90er Jahren die unglückliche, bis heute anhaltende Tendenz, den Krimi entweder nach Massstäben des nicht unproblematischen deutschen Literaturbetriebs zu stilisieren (»mehr als ein Krimi«) oder verlegerisch in immer kleinteiligere und schnellere Wellen zu zwängen (»Frauenkrimi«, »Regionalkrimi«), bei denen ästhetische Aspekte (fast) keine Rolle mehr spielen. Eingekeilt von einer immer mehr werblich orientierten und weniger genre-sicheren Kritik (und einem ähnlich disponierten Fandom) und einem legitimerweise unterhaltungshungrigen Publikum hat sich der deutsche Krimi irgendwo zwischen überzogenem Anspruch und freiwilliger Anspruchslosigkeit verheddert. Er ist partiell erfolgreich, irrelevant und unglücklich.

Wie auch nicht, denn an dem armen deutschen Krimi haben immer so viele unglückliche Faktoren gezerrt, dass er keine Chance hatte, wirklich zur Blüte zu gelangen. Das heisst nicht, dass es nicht einige sehr gute deutsche Kriminalliteratur gibt, die international sanktionsfähig ist und auch in anderen Ländern Gewicht hat.

Aber mit »dem deutschen Krimi« verhält es sich heute so, wie mit dem Eishockey von Papua-Neuguinea. Ich finde das nicht weiter schlimm - warum auch?

 

© Thomas Wörtche, 2004
(Bücher, Herbst 2004)

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen