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Ein Inferno der Erzählökonomie ohne Sinn und Verstand

Thomas Wörtche über Tom Clancy und seinen Roman Ehrenschuld

 

Tom Clancy: Ehrenschuld Mit den "schwersten Ballen des Buchhandels, die an und für sich verdrüßlich und ekelhaft hinkriechen", könne man immerhin, so meinte Jean Paul in der "Vorschule der Ästhetik", sich sein eigenes "Lustspiel" bereiten, "sobald man sich nur denkt, daß sie irgendein Mann aus parodierendem Spaß hingeschrieben".

Bei dem 799-Seiten-Ballen "Ehrenschuld" von Tom Clancy kommt man mit dieser Methode allerdings nur ein Stück weit. Die Geschichte, die der Roman versucht, uns zu erzählen, ist unfreiwillig komisch genug. Eine Gruppe japanischer Wirtschaftstycoone (das sind die, weiß Clancy, die in Japan wirklich die Macht haben, die offizielle Regierung besteht nur aus Marionetten) beschließt den Coup des Jahrhunderts: Erst die Amerikaner wirtschaftlich fertigmachen und militärisch demütigen, dann sich mit China zusammentun und den Russen Sibirien klauen. Schritt eins: Das westliche Geldsystem zum Kollaps treiben - das wird von einer Art Börsencomputer-Hackern erledigt; dann werden die Marianen okkupiert, zwei amerikanische Flugzeugträger außer Gefecht gesetzt und amerikanische U-Boote versenkt, während die indische (!) Marine den Rest der US-Navy ablenkt. Außerdem haben die Japaner klammheimlich eine ganze Menge Atomwaffen gebaut und allesamt gut versteckt. Zum zweiten Teil des wahrhaft erschröcklichen Komplotts kommt es allerdings nicht mehr. Weil nämlich der amerikanische Präsident und sein Sicherheitsberater Jack Ryan (den wir schon aus anderen Clancy-Schwarten kennen) nach dem Prinzip "Die-tun-was" zurückschlagen - und sei's mit Hilfe des russischen Geheimdienstes. Und siehe, die teuflisch schlauen Japaner sind ganz einfach auszuhebeln. Genug der grausamen Inhaltsangabe. Die unfreiwillige Komik verschleißt sich im Zug der Lektüre ziemlich schnell - haften bleibt eigentlich nur eine schwer zu überbietende, urkomische Szene, wenn Jack Ryan die versammelten Notenbankchefs des "Freien Westens" davon überzeugt, daß sie den Zusammenbruch des westlichen Kapital-Systems bitte einfach eine Woche lang ignorieren möchten. Alle nicken: Klar, machen wir!

So weit das "beängstigend realitätsnahe Szenario", das der deutsche Verlag auf dem Umschlagtext verspricht. Also ein Panorama der Clancy'schen Indivualneurosen, stramm rassistisch, sexistisch, reaktionär oder nur bescheuert. Erstens: Japaner wollen Hiroshima rächen und treiben's am liebsten mit strunzdummen amerikanischen Blondinen. Zweitens: Die USA hätten niemals den Militäretat kürzen dürfen. Und niemals Atomwaffen vernichten. Clancy tut so, als ob die USA alle nuklearen Sprengköpfe abgeschafft hätten - nur deshalb können sich nämlich die Japaner all die Stinkstiebeleien erlauben. Drittens: Auch die Russen hätten nicht abrüsten dürfen, denn jetzt werden sie von den Chinesen gefressen. Viertens: Der Kalte Krieg war lustiger. Da konnten amerikanische Atom-U-Boote noch sowjetische Atom-U-Boote jagen, heutzutage müssen sie, horribile dictu, Wale beobachten.

Nun ist ein Katalog widerwärtiger politischer Implikationen und manifester Dummheit nur ein Kriterium für ein literarisches Urteil über einen Roman - und zudem mit dem Hinweis, solch einen schreienden Unsinn nehme doch sowieso kein Mensch ernst, leicht abzutun. Aber was sollen Leser sonst ernst nehmen, außer den DM 49,80 die sie hingeblättert haben ? Clancy ödet über Hunderte von Seiten mit Funktionsbeschreibungen von Unterwassersonaren, Börsenmanipulationen und Radarverfahren und allerlei Schnickschnack mehr. Das soll Detailgenauigkeit und Echtheit der Ereignisse suggerieren, ist aber nur ein Gematsche aus deliranter Fachterminologie, das wir, je nach eigenem Kenntnisstand, glauben können oder auch nicht. Was ich nicht glaube, ist, daß ein "Hauptfeldwebel" ein "Offizier" ist und daß "bewaffnete Offiziere" durchs Weiße Haus rennen, wenn schlicht "Beamte" gemeint sind - solche Ungenauigkeiten, die möglicherweise auf das Konto der Übersetzung gehen (vier Übersetzer und -innen: das sagt alles über die Produktionsbedingungen) sind für ein Buch, das exhibitionistisch Fachwissen prätendiert, natürlich doppelt tödlich. Denn einen Schriftsteller, dessen filigranste Technik zur Charakterisierung seiner Figuren der Kartoffeldruck ist, kann man nicht wirklich ernst nehmen. Dialoge zwischen Präsident und Sicherheitsberater gehen etwa so: "'Mr. President, es ist einfach befriedigend, im - nun, zu dienen, kann man wohl sagen. Danke für Ihr Vertrauen und danke, daß Sie mich ertragen haben, als ich ...' 'Jack, wo wäre unser Land ohne Leute wie Sie?'" Genau.

Literarisch spielt sich also gar nichts ab - die Handlung springt von "Brennpunkt" zu "Brennpunkt", der eine oder andere Handlungsfaden geht verloren, wird wieder hervorgekramt, um sich sich dann endgültig zu verlaufen, völlig irrelevante Vorgeschichten werden ausgebreitet - kurz: Ein Inferno der Erzählökonomie ohne Sinn und Verstand, ohne pointierte Spannungsbögen, ohne Anzeichen von wenigstens erzähltechnischem Standard.

Im Grunde scheitern alle noch so weit hergeholten Rettungsversuche: "Ehrenschuld" ist weder ein grellbuntes Popstückchen, das sich selbst nicht ernst nimmt - das Buch nimmt sich bierenst. "Ehrenschuld" übertreibt auch nicht in satirischer, karikaturistischer oder wenigstens warnender Absicht, dazu hat die Geschichte zu wenig mit irgendwelchen nachvollziehbaren Realitäten zu tun. Man kann "Ehrenschuld" auch nicht als "Camp" wahrnehmen, aus Lust am schieren Trash, dazu zielt das Buch viel zu deutlich auf Beifall von der rechten Seite. (Und ist viel zu langweilig.) Symptomatisch zu lesen ist es auch nicht, weil es die aktuellen Kollektivneurosen der Amerikaner eben nicht illustriert werden - "Japan kauft Amerika via Wallstreet auf" war ein Thema der späten 80er Jahre und hat damals schon eine Reihe schwer verdaulicher Samurai-goes-Börse-Schmöker produziert, an die sich heute zurecht niemand mehr erinnert.

"Ehrenschuld" ist vermutlich nur als finanzielle Transaktion zu verstehen: Der Verlag gibt uns mit schwarzen Druckzeichen entwertetes Papier, wir geben ihm dafür echtes Geld. Clever?

Nein, zum zynischen Achselzucken besteht kein Grund. Denn ein solches Manöver fügt sich in den Zeitgeist. Wie im Fernsehen, wo man zunehmend die Ansprüche herunterbombt, um dann in gut 'dialektischer' Manier sagen zu können, der Verbraucher wünsche dies, werden auch auf dem Buchmarkt solche Strategien immer deutlicher. Hoffmann & Campe ist nicht irgendein Verlag, "Ehrenschuld" ist kein Einzelfall - in derselben Produktion des Hauses ist ein womöglich noch sinnloseres Buch von Colin Forbes erschienen: "Todesspur", aber auch andere Verlage treiben ähnlichen Raubbau am Niveau. Für die Durchsetzung solcher Produkte werden große Summen mobilisiert, während anderen Autoren desselben Genres "Polit-Thriller" der Zugang zum deutschen Markt versperrt wird. Zufällig solchen Autoren, die literarisch ernstzunehmen sind und politisch auch, Julian Rathbone zum Beispiel oder Alan Furst. Letztendlich diskreditieren Bücher wie die von Clancy einen ganzen kritischen Diskurs, der seit den genialen Romanen von Eric Ambler und Ross Thomas so etwas wie eine literarische Einübung in demokratische Tugenden namens Skepsis, Kritik, subversiven Witz unter Verzicht auf Didaxe aufzubauen versuchte. Ein Diskurstyp zudem, der ernsthaft in Konkurrenz zu den bekannten und interessierten Definitionsmächten um die Interpretation von Realitäten zu treten begonnen hat.

Mit Clancy & Co. unterstützt man die Abstauber und Dumpfbeutel, in dem man deren Vorurteile gegen eine intelligente U-Literatur Futter liefert. Es gibt keine Argumente für diese Art von Schmutz & Schund. Es wäre ein gigantisches Mißverständnis (an Ranküne glaube ich nicht, weil die Herrschaften in den Verlagen zu wenig von dieser Materie verstehen, aber Unwissenheit schützt nicht vor fatalen Folgen), wenn die langsam aufkeimende, längst überfällige Diskussion über E und U in Literatur und Kunst als Freibrief zu Herstellung und Vertrieb dummer Produkte mißbraucht würde. Oder ist schon wieder ein Definitionskampf entbrannt ? Wer darf was als U-Literatur definieren?

Schmutz & Schund hat es schon immer und legitimerweise gegeben, das ist nicht das Problem. Sein Charme war und ist, daß er billig und angemessen scheußlich daherkam. Die Respektabilität, mit er jetzt von keiner Kritik behindert paradiert, hat mit der Verwischung von Qualitätskriterien zu tun. Pfusch und Schlamperei werden zum Normalfall, schlechte Prosa und fahrlässiges Denken gesellschaftsfähig und diskutabel. Kritische Einwände lassen sich als sauertöpfisches Nörgeln abschmettern. Hauptsache, der Profit stimmt. Die subversiven Potentiale, die Schmutz & Schund auch immer hatte, weil schlechter Geschmack gegen die Normativität des guten sinnvoll sein kann, sind im neuen teuren Outfit verloren. Es ist nichts zu abwegig, als daß es nicht kurzfristig diskutabel wäre, wenn nur die Präsentation stimmt. Als Heftchen-Roman wäre "Ehrenschuld" keine Zeile wert und könnte in fetischistischer Beschaulichkeit Freunde von B-1Bs, F-22A-Rapiers, MIT-Filtern und Twinboom-38 ergötzen. Clancys finstere Schmonzette jedoch kommt als Roman daher. Das macht ihn subdiskutabel. Denn es würde allein mindestens 200 Zeitungsseiten kosten, eine Diskussionsbasis herzustellen, auf der man Gründe dafür verhandeln könnte.

Fazit: Ein weiteres trauriges Beispiel für das "semantische Vakuum", in dem sich jeder Unfug gleichberechtigt tummeln kann, und an dem Verlage und Kritik ihre Anteile haben. Leser (und Käufer) haben's da besser: Geben Sie einfach den Verlagen für "verdrüßliche und ekelhafte Ballen" kein Geld, und man wird sich dort überlegen, wie man an Qualität verdienen kann.

© Thomas Wörtche, 1996
(Freitag)

Tom Clancy: Ehrenschuld. (Debt Of Honour, 1994) Roman. Deutsch von Andrea C. Busch, Kathrin Razum, Martin Richter, Fritz Schumacher. Hamburg: Hoffmann & Campe 1996. 799 Seiten, DM 49,80

 

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