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Krimis als Vorwand

Thomas Wörtche über Robert Carter, Joyce Burditt, Janet Evanovich und Robert Crais

 

Der Bestseller Mit "Krimis" ist das so eine Sache zur Zeit. Jede schlichte Geschichte von und für schlichte Gemüter nennt sich zur Zeit gern "Krimi" - aus verkaufstechnischen Gründen. Deswegen liegt am Anfang eine Leiche rum und wird am Ende ein Mörder abgeführt oder -geschossen, je nach Zielgruppe. Vom Schema "Fall & Aufklärung" hat sich die "Kriminalliteratur" dagegen längst verabschiedet. Spätestens seit den "romans durs" von George Simenon geht sie kaum noch kategorisierbare Wege. Manchmal jedoch decken sich "Krimis" mit "Kriminalliteratur", nämlich dann, wenn die Räume zwischen Fall und Aufklärung intelligent und kreativ genutzt sind. Voraussetzung ist freilich, daß ein "Fall" und damit auch die "Aufklärung" irgendwie interessant sind. Dann bekommen auch die Zwischenräume ein sinnvolles Eigenleben. Wie sowas böse danebengehen kann, zeigt prototypisch ein Roman des Publishers Weekly-Redakteurs Robert Carter: "Der Bestseller". Carter möchte uns so viele Schnurren aus dem Verlagsleben erzählen, daß der "Krimi" einfach den dramaturgische Aufhänger für Anekdoten und schnuckelige Egozentrismen abgibt. Wer den bösen Lektor gekillt hat, ist völlig egal (es war der böse Bestseller-Autor), aber bevor das Evidente endlich unter großem Getöse enthüllt wird, ist man schon mürrisch. "Krimi" als Vorwand, um den Lesern in simpelster Prosa geschwätzige Eitelkeiten aufzudrängen, das ist sozusagen die dürrste aller Möglichkeiten.

Blut ist dicker als Ketchup Ähnlich gestrickt ist Joyce Burditts "Blut ist dicker als Ketchup". Es ist nicht gerade rasend spannend, wer das Team einer Soap-Opera, die gerade in Hollywood gedreht wird, brachial dezimiert, aber die gelernte Fernsehproduzentin Burditt bietet glücklicherweise etliches an Surplus: Plausible, echte Figuren, genaue Beobachtungen aus dem Alltag in L.A. und vor allem lebendige und witzige Dialoge. So werden Insider-Scherze nicht in den Vordergrund gedrängt, die Außenwelt nicht ausgeblendet, die Leser zwar nicht detektivisch herausgefordert, aber gut unterhalten. Als Vehikel dafür einen Plot auf dem richtigen Grundsatz aufzubauen, daß Medien sowieso ziemlich mörderische Veranstaltungen sind - das ist eine Möglichkeit, mit der sich's leben läßt.

Zweimal ist einmal zuviel Noch besser allerdings ist die Lösung, die Janet Evanovich anbietet. Ihr Roman "Zweimal ist einmal zuviel" ist das makabre Porträt einer Kleinstadt (Trenton, NJ), die in einer Art "Zeitschleife" lebt. Oberflächlich betrachtet sind hier die Fifties noch lange nicht zu Ende. Die Leute haben italienische Namen. Auch ungarische oder polnische oder irische. Kurz: In Trenton wohnen die kleinen Chargen der "Mafia", mitsamt ihren family values. Beim Frisör unter den Hauben zeigen sich die Hausfrauen ihre .45er und führen Fachgespräche über Munitionstypen. Modern Times. Gesellschaftliche Höhepunkte sind die öffentlichen Aufbahrungen, zu denen man sich dauernd bei heftig rivalisierenden Bestattungsunternehmen trifft. Evanovichs Heldin paßt perfekt in diesen gespenstischen Wahnsinn. Sie ist Kopfgeldjägerin und eine recht untalentierte dazu. Ein Kriminalfall ist in dieser Umgebung weder aufgesetzt noch zufällig. Er ist sozusagen organisch und notwendig - und entsprechend unhysterisch gehen alle Beteiligten damit um. Selbst "Grandma Mazur", eine unwürdige Greisin in Doc-Martens-Schuhen wirkt sehr glaubwürdig als Assistentin der Kopfgeldjägerin. Über diese abwegigen Existenzen im Herzen der USA möchte man gerne mehr wissen.

Falsches Spiel in L.A. Selbst eine durch unzählige schlechte Beispiel zu Tode gerittene Form kann immer noch hervorragende Literatur werden: Zum Beispiel der klassische Privatdetektivroman. Der Ex-Miami-Vice-Autor Robert Crais hat mit "Falsches Spiel in L.A." einen bitterbösen Kommentar zu juristischen Verfahrenstricks abgegeben: Wie nutzt man als cleverer Strafverteidiger das schlechte Image des pausenlos in der Kritik stehenden Los Angeles Police Department, um seinen Mandanten vor Gericht freizubekommen? Parallelen zum O.J.-Simpson-Fall sind nirgends ausgesprochen, aber deutlich gemeint. Crais und sein Held, PI Elvis Cole, attackieren nicht etwa die "liberale" Justiz, sondern die Möglichkeiten einer mit viel Geld operierenden "Klassenjustiz", die sich hinter einer Rhetorik der "richtigen Sache" versteckt, aber knallharte Finanzinteressen hat. Ein sehr unbequemes Buch, das das Muster von "Fall" und "Aufklärung" braucht, um mit ihm gegen einfache Weltbilder resp. die Politik mit einfachen Weltbildern anzuschreiben. Spannend, unterhaltend und beileibe nicht nur für L.A. gültig, sondern für alle gesellschaftlichen Milieus, in denen die "Innere Sicherheit" zum Wahlkampfthema hochgehypt wird. Wo "Krimis" so in "Kriminalliteratur" umschlagen, haben sie alle Chancen, der "Literatur-Literatur" ernsthaft das Wasser abzugraben. Voll ausgespielt sind ihre kommunikativen Potentiale mächtig.

© Thomas Wörtche, 1997
(Lektüren)
(Lektüren war ein Projekt, das nie erschien
und aus dem letztlich Literaturen entstand.

 

Robert Carter: Der Bestseller (Final Edit, 1994). Roman. Dt. von Dirk van Gunsteren. Zürich: Diogenes, 1997. 324 Seiten, DM 39.-
Joyce Burditt: Blut ist dicker als Ketchup. (Buck Naked, 1996). Roman. Dt. von Steve Klimchak und Heike Steffen. Reinbek bei Hamburg: Wunderlich, 1997. 316 Seiten, DM 39,80
Janet Evanovich: Zweimal ist einmal zuviel. (Two for the Dough, 1996). Roman. Dt. von Regina Rawlinson und Anna Seifert. München: Manhattan by Goldmann, 1997. 160 Seiten, DM 17.-
Robert Crais: Falsches Spiel in L.A. (Sunset Express, 1996). Roman. Dt. von Jürgen Bürger. Reinbek bei Hamburg: rororo thriller 1490, 1997. 333 Seiten, DM 14,90

 

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