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Designermorde

Easy Reading mit schick designten Metzeleien erfreut sich großer Beliebtheit. Technisch einwandrei gestylte Produkte, ohne jeden Erkenntniswert über Mensch und Gesellschaft, holen den Leser da ab, wo ihn das avanciert Marketing vermutet. Eine Tütensuppe allerdings bleibt eine Tütensuppe, auch wenn man sie als Gourmet-Terrine verkauft.

Von Thomas Wörtche

 

Richtig schlechte Bücher sind heutzutage schon fast charmante Möbel. Man findet sie kaum noch, außer in Regionalkrimireihen oder als stille, d.h. von der veröffentlichen Meinung nicht oder nur zurecht sehr ablehnend zur Kenntnis genommene Bestseller. Sie sind schön schlampig und wirr geplottet, sprachlich liebreizend verhauen, so plausibel wie eine »Traumschiff«-Folge und durchweg unfreiwillig komisch, aus welchen Gründen auch immer. Aber irgendwie knuddelig sind sie doch.

Das unterscheidet sie grundlegend von den Blockbustermegaturbosellern. Die sind nämlich gar nichts. Dan Brown & Co. sind weder genialer Trivialschrott, noch irgendwie Literatur, noch das ästhetisch Böse unter der Sonne. Nur halt Blockbustermegaturboseller - und das ist der vermutlich einzige Grund, warum man sich allerlei kluge und unkluge Gedanken über sie macht.

Seit einiger Zeit jedoch tauchen zunehmend Bücher auf, von denen man zunächst gar nicht so genau weiß, ob sie gut sind oder schlecht, spannend oder nicht spannend, klug oder blöde. Nur ein Verdacht setzt sich fest: Sie sind clever.

Zum Beispiel »Das schwarze Blut« von Jean-Christophe Grangé.
Da geht es darum, dass ein Journalist von einem serial killer, der Frauen en gros und en détail schlachtet, derart fasziniert ist, dass er sich ihm erst annähert, dann anverwandelt, dann dessen »Werk« fortsetzt, weil das »ist wie neugeboren zu werden«. Clever inszeniert ist diese Handlung wie ein klassischer Bildungsroman (mental und emotional), an deren Ende eine queste (Gral, Heiliger) gelöst ist: Vorbild und Nachahmer suchen Liebe (amour fou, einseitig) - eine »radikale, immerwährende, läuternde Liebe.« Und die muß mittels eines Gemetzels am Objekt der Begierde vollzogen werden, mit Ausbluten, Ausweiden, Zerlegen. Eine solche Konstellation stammt - ich muß das nicht weiter ausführen - aus dem Lehrbuch für Psychopathologie.

Wer's gern kulturhistorisch belegt haben will, der lese vom Marquis de Sade bis zu Krafft-Ebbing eben die einschlägigen Handbücher, von denen zumindest ich dachte, sie seien inzwischen bis zum Erbrechen bekannt und auf allen Ebenen durchgenudelt: Als schicke Devianz-Reportagen, als pseudowissenschaftliche Garnitur zur multimedialen Begleitung von Schauerprozessen, im postmodernen Theorie-Dschungel und als Erektionshilfe für ästhetisch ambitionierte Jünglinge in der Baudelaire/Lautréamont-Phase. Immer unter dem Motto: Jaja, homo sapiens ist eine alte Backe, und es gibt nichts, was es nicht gibt. Als ob wir das nicht wüßten, allerspätestens seit dem 20. Jahrhundert mit seinen Genoziden und dem Holocaust. Natürlich spielen Verweisfelder wie Bildungsroman, Gralssuche, amour fou oder de Sade bei Grangés Roman nicht die geringste substantielle Rolle. Sie evozieren keinen tieferen Sinn, sie bilden selbst keine Positionen der Weltsicht, sie dialogisieren nicht. Sie sind lediglich aus dem Vorrat der Kulturgeschichte abgezogene Konstellationspartikel, die eine mehr oder minder schwachsinnige Handlung im Sinne des und-dann-und-dann vorantreiben können. Nicht irgendeine Erkenntnis motiviert solche Bücher, sondern nur ihre Funktion als Ware. Design eben - liest sich gut.

Grangé ist kein Einzelfall, sonst wäre er der Erwähnung nicht wert. Nehmen wir zum Beispiel Mo Hayder. In einem ihrer Romane (dass ich sehr bald nach der Lektüre schon nicht mehr eine bestimmte Gräueltat einem bestimmten Roman zuordnen kann, ist ein beredtes Détail, darauf kommen wir später - aber um die Philologen unter uns zu beruhigen: Es ist »Der Vogelmann«) dekliniert sie die Verwertungskette des menschlichen Körpers nach unten. Welch sinistren psychopathologischen Begierden auch der Killer an seinem Schlachtgut befriedigt hat, er überlässt die Reste einem Nekrophilen, der sich, nun seiner eigenen psychopathia sexualis frönend, freudig an den Überresten gütlich tut. Tatsächlich ist im Roman alles noch wirrer, noch ekelhafter, aber lassen wir das hier.

Der Mechanismus jedenfalls ist deutlich: Er folgt den keinesfalls exklusiv literarischen, sondern gesamtmarktwirtschaftlichen Gesetzen der Überbietung. Und die funktionieren nicht nur hinsichtlich des Buchmarktes, um den Abverkauf solcher Produkte zu fördern, sie generieren inzwischen schon die Struktur der Bücher selbst. Neulich ist mir ein Roman untergekommen, in dem allerlei serial killers gemütlich zu Hause auf dem Sofa sitzen bleiben und auf den Lieferservice für Opfer warten - call-a-victim, sozusagen (es handelt sich um: »Der Zweite Schöpfer« von Michael Marshall).

Empörung, Empathie oder sonstige Regungen zählen nicht unbedingt zu den Triebfedern solcher Bücher wie dies noch bei Derek Raymonds »Ich war Dora Suarez« der Fall war. Und nur am Rande sei erwähnt, dass ausgerechnet Raymonds hochmoralische Position, die bei aller Ungeheuerlichkeit seiner Romane klar zu erkennen war, einen Sturm der Entrüstung über seine Metzelszenen nicht verhindern konnte. Während die Grangés, Hayders & Co einen solchen Diskurs gar nicht erst auslösen. Warum auch?

Es geht hier auch nicht um Moral und Unmoral von Literatur, das wäre eine ganz andere Diskussion. Es geht um die Funktionsmechanismen von literaturähnlichen Produkten, die - clever, clever - das Image von Schmuddel-&-Gewalt-Heftchen abgelegt haben, glitzernd, glänzend und wohlgefällig daherkommen und es schaffen, auch kritischeren Köpfen ein gewisses Lektürevergnügen zu verschaffen. Auch wenn später ein fader Geschmack zu bemerken ist. Nicht zuletzt deswegen erinnern sie an convenience food, das auch an hochpreisigen Gourmet-Adressen eine zeitlang dankbare Abnehmer findet, bis sich leichte Übelkeit einstellt, weil die Lebensmittelchemie auf den Organismus einprügelt.

Ich will nicht weiter mit Zitaten quälen, aber all die Grangés, Hayders, Jilliane Hoffmans, Karin Slaughters und wie sie alle heißen, all die Cornwells, Reichs und andere Sektionstischmarder, die statt an lebenden an toten Körpern brokeln und schnitzeln (das ist ihre Distinktionsformel, mehr nicht), all die Tess Gerritsens und Sam Bournes (ob der nun ein Klon von Dan Brown ist oder nicht)- sie haben es geschafft, technisch einwandfreie Produkte als Kriminalromane zu designen, die pro forma das haben, was »Krimis« angeblich am ehesten vor anderen literarischen Formen auszeichnet: Spannung und Thrill, Aufregung und Angst, Schrecken und Entsetzen. Aber eben als Surrogate. Spannung entsteht nicht daraus, was, um beim Beispiel zu bleiben, an der psychopathia sexualis möglicherweise irritierend oder verwirrend sein könnte. Sie entsteht auch nicht aus der Unbestimmtheit über das Schicksal einer einzelnen Figur. Erst recht nicht aus einer spezifischen Literarizität. Die design-spezifische Spannung ist jeden Erkenntniswertes über Mensch und Gesellschaft oder sonstige Themenfelder (bitte kompletieren Sie selbst) entkleidet und funktioniert als Schockeffekt im engen, cinematografischen Sinn. Möglichst weit, und das ist wichtig, weggerückt von irgendeiner Lebenswirklichkeit. Das production design läßt nur ent-semantisierte Effekte zu, ohne hart definierte Kontexte. Die Romane spielen zwar alle zu irgendeiner Zeit und an irgendeinem Ort (bzw. an in locations zur schnellen, aber belanglosen Orientierung), die allerdings für die Handlung nicht konstitutiv sind. Deswegen kann man sich die Biester einfach nicht merken.

Das hat weiterhin auch damit zu tun, dass ihnen jeder surplus fehlt, ob wir diesen surplus Intensität nennen (nicht zu verwechseln mit: Da-geht¹s-ja-heftig-ab, das ist lediglich die Kunst des Horrormaskenbildners und die Strapazierfähigkeit von Magennerven), Magie, Aura, Choque oder wie auch immer. Denn auch solche Kategorien, Qualitäten oder Affekte widersetzen sich - im Guten wie im Schlechten - der unmittelbaren Konsumierbarkeit.

Die Bedeutungslosigkeit solch schnittiger, windkanalgestester easy-reading-Teile stößt erst dann übel auf, wenn sie zu Ende verzehrt sind. Das unterscheidet sie von den liebenswert schlechten Büchern, bei denen sich ob des literarischen Grauens über Satzbau, Prosa oder blöde Figuren oder knarzende, ächzende Plots eine Lesehemmung einstellt. Die neuen Designerprodukte bauen auf dieser Ebene keine Barrieren (das haben sie vom Marketing gelernt) - aus einem Grangé- oder Hayder-Buch wieder herauszukommen ist so überwindungsintensiv wie eine Tüte Kartoffelchips nicht ratzeputz leer zu fressen (»hinterher unwohl«, wie Thomas Mann einmal in einem ganz anderen Zusammenhang notierte). Noch ein Aspekt kommt hinzu: Die LiebhaberInnen der Golden-Age-Krimis (also Old Lady Agatha et al) haben immer darauf abgehoben, dass man bei dieser Sorte Bücher mitdenken, miträtseln, mitpuzzeln könne. Das stimmte zwar so nie und ist auch ein ansonsten recht fragwürdiger literarischer Wert, aber immerhin. Selbst das magere Potential dieses »Mitdenkens« haben die Designer-Produkte vorsorglich weggeräumt. Wer kann schon wissen, was einem Psychopathen oder einer sonstigen Schimäre im gesellschafts-, bzw. realitätsfreien Raum als nächstes einfällt? Der Leser allerlei Geschlechts wird, wieder ganz im Sinne des avancierten Marketings, »an die Hand genommen«, »mitgenommen«, »abgeholt«.

Versprochen wird die »reine Unterhaltung«, sinnfrei, harmlos, ohne Nebenwirkungen. Gegen die wäre auch wenig einzuwenden, wenn es sie denn wirklich gäbe, bzw. je gegeben hätte. Unterhaltung hatte und hat in ihrem jeweiligen Kontext immer eine »Funktion«, die je nach gesellschaftspolitischer Großwetterlage »positiv« oder »negativ« besetzt sein kann. Die Designer-Krimis jedenfalls zielen auf unsere allerniedrigsten Instinkte - direkt, gierig und unverhohlen.

Vielleicht wären mir zu anderen Zeiten auch Designer-Krimis völlig schnurz, aber vielleicht gab es sie zu anderen Zeiten auch in diesem flächendeckenden Ausmaß und in dieser wohlkalkulierten Perfektion nicht. So wie lapprige Tütensuppen noch Tütensuppen waren und nicht »Gourmet-Terrinen«, und noch nicht absehbar war, dass schlechte und falsche Ernährung uns noch einen Riesenberg an (gesellschaftlichen) Kosten bescheren wird.

Dass allerdings Designer-Krimis auf der technischen Ebene zur Hebung des Niveaus von Kriminalliteratur beitragen könnten, das wäre eine List der Vernunft, an die ich nicht recht glauben mag. Dass sie zu einer Art kollektiver Magenverstimmung führen, leuchtet mir eher ein. Und zwar deswegen, weil gerade im deutschen Sprachraum nach langen, dürren Jahren mit erklecklichem Erfolg Kriminalromane geschrieben werden, die sperrig sind, eigen, auratisch: Ani, Paprotta, Wieninger, Steinfest, Horst, Schmid, Schenkel usw. Denn auch die sind technisch sehr elaboriert. Aber eben auch noch vieles, vieles mehr.

 

© Thomas Wörtche, 2006
Buchkultur, Krimi Spezial, Sommer 2006

 

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