legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Wo Schutz nötig ist, ist Schutzgeld nicht weit

Der englische Historiker John Dickie beleuchtet in seinem Buch »Cosa Nostra« die Geschichte der Mafia und versucht, zumindest historisch ein bißchen Ordnung in die blutige Angelegenheit zu bringen

Von Thomas Wörtche

 

Cosa Nostra Wie so oft in der Weltgeschichte stand am Anfang die Royal Navy. Als die ab 1795 ihren Seeleuten Zitrusfrüchte gegen Skorbut gab, eröffnete sich für die sizialinische Agrarindustrie ein riesiger Exportmarkt. In der Gegend um Palermo boomten Zitrusplantagen und warfen nach erheblichen Investitionen enorme Profite ab. Zitronenbäume sind empfindlich. Ihr Ertrag hängt hauptsächlich von der richtigen Bewässerung ab, eine Plantage kann mit einer kurzen Unterbrechung der Wasserzufuhr ruiniert sein. Ausserdem sind die Bäumchen anfällig für Vandalismus. Kurz, sie brauchen Schutz, und wo Schutz nötig ist, ist Schutzgeld nicht weit. Deswegen entwickelte sich in dieser reichen Umgebung ein Phänomen, das Mafia heißt und unter einem Gestrüpp von Mythen, Legenden, Gerüchten und Vermutungen seit mehr als einhunderfünfzig eine wenig scharf konturierte, aber hochprofitable kriminelle Existenz führt.

Als im April dieses Jahres der »Boss aller Bosse«, Bernardo Provenzano, nach vierzigjähriger (!) Fahndung verhaftet wurde,war das zwar eine Sensationsmeldung, aber niemand kam auf die Idee, damit das Problem Mafia als gelöst zu betrachten. Zumal man vor Provenzanos Verhaftung sicher war, mit dem nicht minder blutrünstigen Totò Riina den Oberchef aus dem Verkehr gezogen zu haben. Aber ist Mafia wirklich etwas, das man personalisieren kann?

Natürlich kann man immer wieder hören und lesen, dass ganz Italien bis vor kurzem sowieso von »la mafia« in Person von Silvio Berlusconi regiert worden ist - und vor ihm war es eben Giulio Andreotti. Mafia nennen wir aber auch jede Seilschaft im heimischen Bauamt. Leute wie Meyer Lansky oder Lepke Buchalter gelten uns, ungeachtet ihrer wenig sizilianischen Namen, als besonders clevere Mafiosi und die Russen-, Chinesen- und Vietnamesenmafia, naja, wir wissen Bescheid. Im »Paten I - III« steht sowieso alles drin, was wir über die Mafia wissen müssen.

Nichts wissen wir wirklich, sagt dagegen der englische Historiker John Dickie und versucht in seinem 557-Seiten-Werk »Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia« zumindest historisch ein bißchen Ordnung in die blutige Angelegenheit zu bringen. Dabei schlachtet er ein paar Heilige Kühe der Mafia-Legende: Die Mafia ist nicht als soziale Bewegung inmitten von Armut und Elend entstanden, sondern im reichen Palermo. Sie ist auch kein uraltes Phänomen, keine spezifisch sizialianische Widerstandsmentalität gegen die verschiedenen Besatzer der Insel seit den alte Griechen. Sie ist parallel mit dem italienischen Nationalstaat, also in den 1860er Jahren, fühlbar geworden. Und, ganz wichtig: Die Mafia, oder auch La Cosa Nostra (»Unsere Sache« ) ist eine territoriale, rein sizilianische Angelegenheit. Die metaphorischen Verlängerungen, die us-amerikanischen Ableger, der erweiterte Wortgebrauch verwischen eher die Problemlage als sie erhellen. Deswegen verfährt Dickie streng unspekulativ. Er rekonstruiert die Geschichte der Mafia anhand dessen, was sich hieb- und stichfest belegen läßt. Das ist bei einer Organisation, die wenig Wert auf Aktenführung, Ablage und Archivwesen legt, eine manchmal karge Angelegenheit. Zudem gehören Desinformation, Propaganda, schlichtes Leugnen der eigenen Existenz und ein sehr kreativer Umgang mit der Wahrheit zu den Wesensmerkmalen der Mafia.

Deswegen ist es sehr geschickt, und sehr unterhaltsam zudem, dass Dickie an belegbaren Einzelfällen die Entwicklung dieser ominösen »Tötungsindustrie« nachzeichnet. Schritt für Schritt kann er zeigen, wie die Mafia den jungen Nationalstaat und dessen Organe peu à peu unterwanderte, bzw. dessen Strukturen für ihre eigene Zwecke nutzte, ohne dass sich der allzu heftig gewehrt hätte. Am Beispiel des Faschismus und dessen prominentesten Mafiajägers, Cesare Mori, demonstriert Dickie auch, wie man notfalls mit dieser speziellen verbrecherischen Struktur fertig werden könnte: »Der faschistische Staat musste mafioser sein als die Mafia selbst«. Aber bei allem Terror, den Mori entfachte - mehr als lästig war er nie, denn »mancher entdeckte, dass sich in der eisernen Faust der faschistischen Unterdrückung häufig eine schmierige Handfläche der Korruption verbarg«. Andere konnten geruhsam in die USA emigrieren und fanden dort ein gemachtes Nest vor. Der Faschismus allerdings ging nicht aus menschenfreundlichen oder moralischen Gründen gegen die Mafia vor, sondern um seine Zentralgewalt auch gegen den allmählich entstandenen »Staat im Staat« durchzusetzen, aus populistisch-propagandistischen Gründen nach dem Motto Ruhe & Ordnung, und aus dem selben Antrieb, aus dem heraus auch die Mafia agiert: Macht- und Profitstreben. Im Grunde also ein Musterbeispiel für den Grundsatz, dass das Bekämpfen der einen Mafia immer die Stärkung der anderen Mafia bedeutet. Dickie sagt das leider nicht so (weil er Mafia eben nicht als Verhaltensmuster, sondern als definierte Organisation begreifen möchte), aber nicht anderes lehrt uns diese Episode.

Die Reorganisation der Mafia nach dem 2. Weltkrieg dient Dickie als Nachweis dafür, dass »keine wesentliche Veränderung in Struktur und Methoden der Organstaion« nötig waren und es bis heute auch nicht sind. Verändert haben sich die Geschäftsfelder. Wesentlich hinzugekommen sind nach dem Krieg der Bauboom, der schließlich zur »Plünderung Palermos« in den 50er und 60er Jahren führte, weil kein einziges Bauvorhaben ohne wesentliche Teilhabe der ehrenwerten Gesellschaft zu machen war und die Stadt unter häßlichem und brüchigem Beton verschwand. Dazu der Heroinhandel, der zudem für eine zeitlang auch die Heroinverarbeitung in hunderten von heimlichen Laboren auf Sizilien mit einschloß. Gleichzeitig ergab sich, auch aus einem gewissen antikommunistischen Furor heraus, der enge Schulterschluß mit der DC, der Democrazia Cristiana. Die Mafia war, entschiedener als bisher, in Rom, inmitten der italienischen Regierung angekommen. Die 70er und 80er Jahre und der politische Terror von links und rechts allerdings machten die wirklichen Zusammenhänge noch undurchsichtiger - und weil Dickie sich hartnäckig ans Belegbare hält, bleibt hier für die weitere Forschungen ein enormes Aufgabengebiet bestehen. Das gilt auch für Rolle der USA bei der Wiedereinsetzung einzelner Mafia-Figuren gleich nach der alliierten Invasion Siziliens 1943 und vor allem in den Zeiten der antikommunistischen Hysterie des eiskalten Kriegs.

Immerhin, die Position der Mafia schien in den 70er und 80er Jahren so gefestigt, dass sie sich interne Machtkämpfe leisten konnte. Nicht, dass es die nicht schon immer und nicht schon immer konstituiv gegeben hätte, aber diesmal ging es der Gruppe aus Corleone um die absolute Macht. Ein wahres Gemetzel, bekannt als die »mattanza« (eigentlich das manuelle Abschlachten von Tunfischen) sorgte für hunderte von Toten bei wechselnden Konstellation und für einen signifikanten Anstieg an Brutalität und Grausamkeit. Die Insel schwamm in Blut und selbst der träge Staat mußte eingreifen: Mit Giovanni Falcone und Paolo Borsellino traten die berühmten und bewunderten Mafia-Jäger auf den Plan. Der »Mammutprozesse«, der 1987 endete, schickte 360 von 474 Angeklagten hinter Gittern. Dann allerdings brach den mutigen Staatsanwälten die staatliche Rückendeckung weg - man näherte sich immer zentraleren Figuren. Das traurige Ende für Borsellino und Falcone ist bekannt. Der Aufschrei, der nicht nur durch ganz Italien ging, hatte Folgen: Der Staat versuchte zumindest konsequenter eine harte Linie durchzuziehen, die Mafia hingegen versuchte, weniger auffällig zu agieren. Die Auseinandersetzungen rückten in den Hintergrund, ins iuristische und administrative Alltagsgeschäft. Und dort stellt(e) die Regierung Berlusconi die Weichen. Insofern sind die Verhaftungen von Riina und Provenzano in der Tat nur Episoden einer, wie es aussieht, never ending story.

Die Schwächen von Dickies Buch sind klar: Wenn er Mafia als sizialianisches Problem beschreibt, dann bleibt sie, bei aller Globalisierung der Geschäftsabläufe, ein gerade mal auf Italien begrenztes Phänomen. Aber im Grunde wissen wir natürlich, dass »la mafia« - bis auf graduelle Unterschiede - nicht wesentlich anders funktioniert wie andere Syndikate, Organisationen oder Netzwerke, wie sie jüngst der Realität angepasster Moses Naim beschrieben hat (vgl. FREITAG 17/2006). Deswegen ist die Schwäche auch die Stärke von Dickies Arbeit: Er konkretisiert und belegt das, was man wissen kann. Das ist schauderhaft genug; die Hochrechnung explodiert in Bereiche, bei denen wir möglicherweise alle abwinken müssen. Das wiederum trübt den Blick, den man immerhin fürs Konkrete entwickeln könnte. Ein wichtiges Standardwerk ist Dickie jedenfalls gelungen.

 

John Dickie: Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia. (Cosa Nostra. The History of the Sicilian Mafia, 2004) Dt. von Sebastian Vogel. Frankfurt am Main: S. Fischer 2006. 557 Seiten, 19,90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2006
Freitag, 16.06.2006

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen