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Im Zentrum der gemeinen weiblichen Tradition

Thomas Wörtche über Patricia Highsmith

 

Wenn es hierzulande nicht immer noch (und neuerdings immer wieder mehr) die dumme Unterscheidung zwischen seriöser und unseriöser Literatur geben würde, dann könnte man über Patricia Highsmith wesentlich unverkrampfter reden, ja sogar einen beinahe heiter-gelassenen Nachruf auf eine Schriftstellerin verfassen, die für die literarische Produktivität des gemeinen, genauen Blicks ein paar tief beeindruckende Beispiele geliefert hat. Dazu ein paar wirklich geniale Kurzgeschichten ("Der Schneckenforscher" zum Beispiel, oder "Die Schildkröte" oder "Als die Flotte im Hafen lag"); eine Figur, die zur Ikone des charmanten, liebenswerten Mörders geworden: Tom Ripley; und ein oder zwei bemerkenswerte Romane jenseits jeder Kategorie, "Das Zittern des Fälschers" etwa oder "Tiefe Wasser". Man könnte dann auch leichten Herzens zugeben, daß der Roman, mit dem sie bekannt wurde, "Zwei Fremde im Zug", wahrlich kein Meisterwerk war - wäre er nicht von Hitchcock verfilmt worden und hätte nicht das Drehbuch zu diesem Film dessen Co-Autor Raymond Chandler Ströme von Whiskey ob der Verzweiflung über die Vorlage gekostet - kein Hahn hätte mehr danach gekräht. Es schmälert auch keineswegs den Rang von Patricia Highsmith, daß sie in den USA nie (und auch heute nicht) zu den wirklich "Großen" gezählt wurde - ihre Erfolgsgeschichte passierte in Europa, in Frankreich eher als in England, am nachdrücklichsten aber im deutschsprachigen Raum. Und hier vor allem in den Kreisen, wo man, wenn man leichte Distinktionsgewinne erzielen, aber auch niemanden vor den Kopf stoßen will, immer Graham Greene, George Simenon, Chandler & Hammett als "Krimis" auf Niveau in den Small Talk einfließen läßt, und eben: Patricia Highsmith. Allerspätestens seit Peter Handke sie zur Großschriftstellerin erklärt hat (das erspart die eigene Urteilsfindung), Wim Wenders einen langweiligen, wirren Film aus "Ripley's Game" gemacht und Hans W. Geissendörfer "Die gläserne Zelle" und "Ediths Tagebuch" so hingebogen hat, daß Patricia Highsmith fortan auch als studienrats- und Schöner-Wohnen-kompatibel gelten konnte.

Diese klemmige Rezeptionsgeschichte verklebt den Blick nicht nur auf eine Tradition des "gemeinen (weiblichen) Blicks" von Guy Cullingford bis Helen Zahavi, in die Patricia Highsmith mitten hineingehört (nicht meilenweit darüber), sondern auch auf eine andere Tradition, die befestigt zu haben, ihr wirklich großes Verdienst ist: Die Reihe von Autorinnen und Autoren, die die sehr alltäglichen und realistischen Stoffe um Mord und Totschlag, Haß, Gewalt, Verbrechen und Niedertracht aus den Korsettstangen der sogenannten Genrestrukturen des "Krimis" herausgelöst, dafür andere künstlerische Lösungen gefunden und damit innovativ auf die erzählende Literatur dieses Jahrhunderts eingewirkt haben. Auf dieser strukturellen Ebene gehört sie in die Klasse der "Paradigmenwechsler", wie Jim Thompson oder wie Chester Himes. Ich habe nie verstanden, warum das große Revival der Thrillerautorinnen in den 80er Jahren eher umständlich die Privatdetektivruinen der männlichen Klassiker instandbesetzen mußte, statt direkt auf dem Unterboden aufzubauen, den Patricia Highsmith so fruchtbar vorbereitet hat. War sie den Damen denn doch zu grausam? Zu wenig "soziologisch", aber dafür zu illusionslos? Kamen bei ihr die Frauen als evtl. bessere Menschen denn doch allzu schlecht weg? Die Highsmith war zu misanthrop, um Utopien zuzulassen; selbst daß sie lesbisch war, war ihr keine Erwähnung wert, geschweige denn hätte sie daraus konjunkturelles Kapital geschlagen. Ihr einziger "diesbezüglicher" Roman erschien pseudonym.

Helmut Heißenbüttel hat in einer Rezension von "Lösegeld für einen Hund" eine kluge Beobachtung gemacht. Die Highsmith schreibe über "eine Welt ohne Maßstab, eine Welt, in der nur zufällig die Katastrophe immer noch ein wenig ins latente Gleichgewicht hinausgezögert wird, in der jederzeit alles passieren kann". Aber Heißenbüttel war der Ansicht, daß ihre Bücher lediglich Parabeln auf diese Welt seien. Das hat ihm mißfallen. Parabeln sind schließlich nur Parabeln und nicht weiter beunruhigend. Beunruhigender ist in der Tat die "Scharfsichtigkeit", die sie in ihrer 'Poetologie', "Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt" so energisch einfordert: Die Scharfsichtigkeit zu sehen, was in den Köpfen der Menschen vorgeht. Ein solcher Realismus, künstlerisch komprimiert, konzentriert und radikal zu Papier gebracht, selbst in den schwächeren Büchern, wirkt auch ohne Hilfskonstruktionen. Patricia Highsmith ist im Alter von 74 Jahren gestorben, in Europa.

© Thomas Wörtche, 1995
(Freitag)

 

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