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Ein doppelter Sprengsatz mit Zeitzündereffekt

Thomas Wörtche über Jorge Ibargüengoitia

 

Das revolutionäre Mexiko mit den Heiligen Emiliano Zapata und Pancho Villa gehört zur Ikonographie der Pop-Kultur. Speziell der Italo-Western (und dann auch der Hollywood-Western) idolatrisierte die mexikanische Revolution zum pathetischen Lehrstück vom tapferen Campesino und dem bösen, vom US-Imperialisten gestützten Grundbesitzer. Ein Echo auf diese Stilisierung findet man selbst heute noch in Carlos Fuentes' Der vergrabene Spiegel: "Zapata wird so lange weiterleben, wie die Menschen glauben, daß sie ein Recht auf ihr Land haben, das Recht, sich selbst zu regieren, wie es ihren tiefinneren Überzeugungen und kulturellen Werten entspricht". Diese Parameter, wie ein Stück lateinamerikanischer Geschichte zu diskutieren sei, hat der 1983 bei einem Flugzeugunglück umgekommene mexikanische Autor Jorge Ibargüengoitia in dem schmalen Roman Augustblitze (von 1964) der kritischen und zersetzenden Kraft des Komischen ausgeliefert. Zwar sind Villa und Zapata zum Zeitpunkt der Handlung (1929) schon lange tot, aber ihr Geist lebt. Nämlich in den Heldentaten von General José Guadalupe Arroyo und einer Vielzahl weiterer altverdienter Revolutionskämpfer, die in den 20er Jahren bescheidene Karrieren gemacht haben und jetzt selbst an die Macht wollen. Was für ein durchgeknallter Haufen gefährlicher Spinner: Aufgeblasen, inkompetent, strohdumm, feige, erbärmlich, wichtigtuerisch, skrupellos, bombastisch, verlogen, gemein, rücksichtslos, bigott, heuchlerisch und barbarisch. Das freilich erwähnt Ibargüengoitia mit keinem Wort. Er läßt Arroyo erzählen, läßt ihn sich in seinen Memoiren rechtfertigen, läßt ihn bramarbasieren und, im Blut watend, den großen Patrioten geben. Der Nationalimus, den die Alte Welt sehr allergisch gegen eigene Nationalismen bei revolutionären Bewegungen emphatisch zu feiern pflegt, wird bei Ibargüengoitia zum Vorwand für Bereicherung, Korruption und Barbarei. Dies und Machismo und Rassismus, die Arroyo in den Formeln von Galanterie und Herrschsucht dauernd repetierend repräsentiert, fügen sich in Augustblitze zu Komponenten der Mythenbildung, von der die großen lateinamerikanischen Epen nicht gerade unberührt geblieben sind. Ibargüengoitias bewußt schlanke, antiepische Form zielt genau auf diesen Punkt: Er entkleidet eine gewisse Art lateinamerikanischer Selbstverständigung ihres rhetorischen Ballasts, in dem er ihre Rhetorik auf knappstem Raum konzentriert und somit deren groteske Züge durch Kumulation deutlich sichtbar macht. Daß dabei plötzlich die geheiligten Meßlatten von Geschichtsbetrachtung fragwürdig werden, gehört zur Dialektik von Historiographie und Literatur, vor allem, wenn im wie im Falle Lateinamerika, eine bestimmte Art von Öffentlichkeit der mythologisierenden Literatur mehr Sympathien entgegen bringt als kühleren Analysen. Das wiederum mit literarischen Mitteln kommunizierbar, mehr noch, zu schierer Leselust gemacht zu haben, ist die wirklich sehr ironische Pointe von Ibargüengoitias kleinem Text, der, so gesehen, ein doppelter Sprengsatz mit Zeitzündereffekt ist.

© Thomas Wörtche, 1992
(Frankfurter Rundschau)

 

Jorge Ibargüengoitia: Augustblitze. (Relámpagos de agosto). Roman. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1992 (Bibliothek Suhrkamp Bd. 1104), 119 Seiten, DM 19,80 (vergriffen).

 

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