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Der Radikale

Thomas Wörtche über John Le Carrés Roman Der ewige Gärtner

 

Der ewige Gärtner "Mein Roman", schreibt John le Carré im Nachwort seines neuesten Buchs, ist "verglichen mit der Wirklichkeit, ungefähr so harmlos wie eine Urlaubspostkarte." Allerdings sind dann auch neunundneunzig Prozent aller Polithriller der letzten Jahre harmlos verglichen mit "Der ewige Gärtner" Das liegt daran, dass John le Carré, Jahrgang 1931, zunehmend einer erfreulichen Altersradikalität erliegt. Das Klischee, er sei der "Autor des Kalten Krieges" hat sich nun seit fast zehn Jahren erledigt. Allerspätestens mit dem "Schneider von Panama" und "Single & Single" hat er deutlich bewiesen, dass er in erster Linie ein zeitkritischer Schriftsteller mit erheblichen künstlerischen Möglichkeiten ist. Qualitäten, die natürlich auch seine George-Smiley-Bücher hatten, die aber immer schnell mit dem Hinweis auf das Genre "Spionageroman" untergepflügt werden konnten. Diese Wahrnehmungshürde ist jetzt weg - le Carré kann voll vom Leder ziehen.

Diesmal geht es um einen Pharmakonzern, der ein brauchbares, aber noch nicht ausgereiftes Medikament gegen Tbc an ahnungslosen Menschen testet und die tödlichen Resultate dieser Tests verschleiert. Mit allen Mitteln. Soweit, so schlimm.

Wirklich schlimm aber ist, dass die Regierung Ihrer Majestät in opportunistischer Kooperation mit dem Pharma-Multi und dem Arap-Moi-Regime in Kenia diese Schweinerei deckt und unterstützt. Sogar gegen ihre eigenen Leute, gegen ihre eigene Polizei und gegen jede Humanität sowieso. Denn grosse Politik, wie im Leben, so stets bei le Carré, wirkt immer auf Menschen ein. Die Hauptfigur des Roman ist schon tot: Tessa Quayle, die Gattin eines mittleren britischen Diplomaten in Nairobi war eine engagierte, tapfere Frau, die den o.a. Machenschaften auf die Spur gekommen war. Sie wird erst brutal ermordet und dann als Schlampe und Flittchen diskrediert. Das funktioniert prächtig im heuchlerischen, postviktorianischen Klima und angesichts der äussert schlüpfrigen Moral der britischen "Oberklasse". Tessas Ehemann Justin Quayle, der ewige Gärtner, der sich lieber mit Pflanzen als mit Menschen beschäftigt, ist zunächst Teil des Systems. Aber darüberhinaus etwas ganz Seltenes: Ein anständiger Mensch. Und deswegen macht er sich auf, die Hintergründe von Tessas Tod aufzuklären. Anständige Menschen haben wenig Chancen - so le Carrés bittere Erkenntnis, die jedem literarischen Heldenmythos zuwider läuft. Nach einer Reise fast um die ganze Welt via Bielefeld landet Justin schliesslich genau dort, wo Tessa ermordet worden war. Es ist auch seine letzte Station.

Bis es soweit ist, haben wir eine extrem spannende und ätzende Lektion über Realpolitik und die Bedeutung des Profits in der globalisierten Gesellschaft bekommen. Arbeitsplätze in Wales und elendes Verrecken im Süden des Sudans haben ursächlich miteinander zu tun. Das könnten wir zwar auch aus der Lektüre des Wirtschaftsteils wissen, aber gegen die fahle Abstraktion setzt le Carré echte, mit der ganzen Kunst eines grossen Schriftstellers porträtierte Menschen. Selbst klebrige Nichtse wie der stellvertretende Hochkommissar in Nairobi, Sandy Woodrow, werden lebendige, plausible Wesen, die wir alle kennen. Le Carré karikiert, spöttelt, ironisiert und baut seine wunderbaren Dialoge mit dem berühmten Nachbrenner-Effekt. Kaum ein anderer Schriftsteller beherrscht so gut die Kunst, komplett, glaubwürdig und detailliert eine Situation zu schildern und zweihundert Seiten später maliziös die wirklich wichtigen Informationen nachzuliefern. Wenn Justin Quayle unter Aufbietung der stiff upper lip und grösster Jovialität im Hause der Woodrows seinen Alleingang vorbereitet, sich sehr konspirativ mit den beiden anständigen Polizisten Rob und Lesley verbündet, bekommen wir davon genauso wenig mit wie seine Umgebung. Die Tricks und Täuschungen der Fiktion taugen auch fürs richtige Leben. Oder umgekehrt.

Ruth Klüger hat vor ein paar Jahren im "Spiegel" den "Schneider von Panama" mit rührender Ahnungslosigkeit als Unterhaltungsroman abgewatscht. Vermutlich hatte sie unbewusst den neuralgischen Punkt erwischt: Der erzkonservative Moralist le Carré und die angebliche Moderne. Le Carré greift den bequemen Konsens, nach dem die "Wirklichkeit" längst fraktalisiert, zerstäubt, nicht mehr "erzählbar" sei und sich jedem künstlerischen Zugriff , der analytisch daherkommt, entziehe, immer wieder an. Er bietet statt dessen alle erzählerischen Methoden auf, um Wirklichkeit literarisch sichtbar zu machen. Und eben nicht, um sie zu dekonstruieren. Dekonstruiert wird höchstens die Illusion, die Scheusslichkeit des Systems "globalisierter Kapitalismus" sei irgendwie virtuell wegzumogeln. Die Essenz und die Geschichte des "Ewigen Gärtners" sind zusammengefaßt: Die Feigheit der Politik gegen Profitinteressen und die Funktionalisierbarkeit von Menschen und Emotionen. Justin liebt Tessa, Tessa wird von anderen Menschen begehrt, und Verrat gehört zum seelischen Haushalt von homo sapiens. Es kömmt aber darauf an, was der damit macht. Le Carré kommt mit konservativen Methoden zu "linken" Erkenntnissen minus Sentimentalität und Sozialromantik.

 

© Thomas Wörtche, 2001
(Die Woche, 12.04.2001)

 

John Le Carré: Der ewige Gärtner. (The Constant Gardener). Roman. Aus dem Englischen von Werner Schmitz unter Mitarbeit von Karsten Singelmann. München: List Taschenbuch Verlag, 2002 (1. Aufl. -München: List, 2001), 557 S., 9.95 Euro (D)

 

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