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Die Moral des Police Departments

Thomas Wörtche über Bob Leuci

 

1971, als sich an der Westküste der USA, in Los Angeles allmählich die Menetekel der 90er Jahre abzeichneten, als nach den Watts-Riots die ersten Konturen von Gangs wie den Crisps sichtbar wurden und das ebenso militante wie rassistische Los Angeles Police Department anfing, sich für den Krieg gegen Schwarze und Latinos hochzurüsten, der Mitte der 90er Jahre voll im Gange ist - 1971, da explodierte an der Ostküste in New York City, im New York Police Department eine Bombe, deren ganze Bedeutung man erst heute richtig analog zu den Ereignissen in L.A. einschätzen kann.

Im NYPD gab es damals eine Eliteeinheit namens Special Investigating Unit, die SIU. Hochqualifizierte Beamte sollten, möglichst ohne bürokratische Behinderungen, gegen sich neu formierende Strukturen des Drogenhandels vorgehen. Die SIU konnte schnell schöne Erfolge vorweisen, ihr Prestige wuchs, jeder einzelne ihrer Mitarbeiter war bald ein kleiner "Prince of the City": anscheinend allmächtig, wohlhabend und unglaublich erfolgreich Eine Art "Dienstaufsicht" gab es kaum. Die Methoden der SIU waren unorthodox, streng genommen schlicht illegal. Drogen sind bekanntlich einerseits ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor, andererseits das, was man ein "emotionales Thema" nennt. Korruption in der Polizei schließlich ist ein normaler Zustand.

Alles zusammen ergibt eine brisante Mischung, vor allem, wenn sich noch politische Interessen hinzugesellen. 1971 wurde in New York City gerade das sogenannte Knapp-Komitee gebildet, ein Ausschuß zur Bekämpfung der Korruption innerhalb des New York Police Department. Solche Ausschüsse waren nichts besonderes, sondern kommen regelmäßig alle paar Jahre über die Polizei des Big Apple. In diesem Fall jedoch hatten ein paar ehrgeizige Staatsanwälte die Chance erkannt, mit dem Thema politische Karriere zu machen. Aus den Mitarbeitern der Special Investigation Unit pickte man sich einen Detective heraus, dem man höchstens ein paar kleinere Unregelmäßigkeiten nachweisen und den man mit schönen Worten zu Aussagen über die Zustände in seiner Behörde manipulieren konnte. Als er schon viel zu eng mit den Staatsanwälten kooperiert und sich selbst schwer belastet hatte, war es für den Detective zu spät auszusteigen. Er mußte, um seine Existenz und die seiner Familie zu schützen, immer mehr Kollegen und Freunde belasten. Sein Name war Robert Leuci.

Leuci ließ sie alle hochgehen - ein paar käufliche Staatsanwälte, Anwälte und Richter gleich mit, aber eben hauptsächlich seine Freunde, seine langjährigen Kollegen in einem Beruf, bei dem volles Vertrauen innerhalb einer Einheit überlebenswichtig ist. Eine schizophrene Situation war entstanden: Einerseits wurden korrupte Stadtdiener unter dem Beifall der Öffentlichkeit ihrer gerechten Strafe zugeführt, andererseits war der Eindruck nicht zu vermeiden, es habe wieder mal nur die kleineren Fische erwischt: Detectives, Sergeants, den einen oder anderen Lieutenant oder Captain. Höhere Ränge waren kaum betroffen, dafür war aber die Moral des Police Department absolut auf Null. Denn natürlich wußten alle Polizisten, daß ein paar arme Würstchen für Petitessen im Gefängnis verschwanden, sich umbrachten oder aus dem Dienst gejagt wurden, sich strukturell aber gar nichts ändern würde.

Sidney Lumet machte aus den tragischen Verwicklungen um Bob Leuci den berühmten Film "The Prince of the City", die TV-Serie "Serpico" wurde sehr frei nach Leuci konzipiert. Andere profitierten, Leuci selbst schied 1981 aus dem Polizeidienst aus, in dem er als "Verräter" sowieso keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen hatte. Er beschloß, seine Probleme mit seiner Rolle in dieser Affäre öffentlich zu machen. Auf die intelligenteste Art: Er wurde Schriftsteller. Seine beiden Schlüsselromane zum Thema: "Doyles Disciples" (auf deutsch: "Doyles Jünger") und "Captain Butterfly" (mit dem selben deutschen Titel) sind, wie seine anderen Romane auch, virtuose und dichte Reflexionen über die Schieflage von öffentlicher und individueller Moral, über das Verhältnis von Polizei und Gesellschaft, über den Unsinn, "Verbrechen" als ein einfach zu eliminierendes Phänomen zu verstehen, das etwas von "der Gesellschaft" verschiedenes sei. Leucis Erfahrungen der Straße bestimmen seine Themen, seine fraktalisierte Darstellungsweise und seine polyphone Sprache.

"Brooklyn Roofs", "Auf Brooklyns Dächern", das erste Hörspiel, das Bob Leuci geschrieben hat, zeigt seine Konfliktlage. Es ist eine kunstvolle Miniatur aus der fortlaufenden Geschichte des banalen alltäglichen Elends auf den Straßen.

© Thomas Wörtche, 1996
(WDR)

 

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