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Der Fluch des Krimis

Thomas Wörtche über den Roman »Ost Highway« von Stefan Maelck

 

Ost Highway Allmählich darf man schon vom »Fluch des Krimis« sprechen. Das arme Genre ist in den letzten Jahren immer mehr in den Ruch gekommen, ein jeder könne es beherrschen. Und weil irgendwo die schlechtverstandene These durch die Gegend marodiert, man könne mit dem populären Genre so ziemlich alle Themen, Thesen und Malaisen »transportieren« und damit obendrein noch Geld verdienen, werden halt »Krimis« geschrieben, bis die Schwarte kracht. Und wenn zu guter Letzt eine auch nur halbwegs sachkundige Qualitätskontrolle entfällt und alles gedruckt wird, was des Wegs kommt, dann, ja dann ... Dann zieht zum Beispiel ein Kommissar in Halle seine »Pistole« und steckt vier Zeilen später »den Trommelrevolver« wieder weg. Eine solche kreischende Ignoranz dem Schießgerät gegenüber ist aber nicht etwa der pazifistischen Indolenz des Verfassers gegenüber schlimmen Sachen gutzuschreiben. Sie ist im vorliegenden, eher prototypischen Fall, Methode.

Wir reden hier von dem Roman »Ost Highway«, der mit dem Untertitel »Ein Hank-Meyer-Roman« ein deutliches Genresignal gibt. Denn Hank Meyer, Radio-DJ und Privatdetektiv, ist vor allem in letzterer Funktion der Held eines Werkleins, das sich unter anderem durch tumbe Realitätsuntüchtigkeit auszeichnet. Da ermittelt besagter Detektiv zusammen mit dem oben erwähnten Kommissar, der ihm halboffiziell pausenlos Interna zukommen lässt, er nimmt an offiziellen Hausdurchsuchungen teil, bei Personen, die weil nicht gleich zu erreichen, zur Fahndung ausgeschrieben werden. Ein Staatsanwalt kann anscheinend kraft seiner Wassersuppe einen Polizisten aus dem Beamtenverhältnis entlassen, und als die Handlung von Halle an der Saale mal schnell nach New Orleans überspringt, jagt dort die CIA den lokalen Ku-Klux- Klan, händigt ohne Not deutschen Privatdetektiven dito internes Material aus, kommen das New Orleans Police Department und etliche County-Sheriffs, ein »Distriktanwalt« und der Staat Louisiana heillos durcheinander, weil der Autor von US-amerikanischen Zuständigkeiten womöglich gerade so viel Ahnung hat wie von deutschen: keine.

Warum aber, fragt man sich dann ziemlich verzweifelt, muss Stefan Maelck, so heisst dieser Realitätsflüchtling, unbedingt einen Kriminalroman schreiben? Denn wenn er sich pausenlos über die Zustände in »Dunkeldeutschland« kritisch mockiert und eine toternst gemeinte Stasi-Geschichte mit Opfern und Rächern, Verrat, Liebe, Mord und Wahnsinn erzählen möchte, dann würde er doch sicher auf eine »innere Wahrheit« pochen, die irgendwo in seinem Buch sichtbar werden möchte. Aber wie soll irgendeine »innere Wahrheit«, die sehr viel mit der Realpolitik der DDR und des Kalten Krieges zu tun hat, eine Chance gegen die Abwesenheit von Realitäts-Parametern der erzählten Wirklichkeit von hier und heute haben? Da kommt wieder der Fluch des Krimis zum Tragen.

Sicher hat Maelck schrecklich viele Krimis gelesen, in denen Privatdetektive pausen- und gnadenlos komische Sprüche von sich geben. Deswegen blödeln sich sein Held Meyer und dessen Sidekicks von Zitat zu Zitat, egal, ob aus dem Musik-, Kultur-, oder Feuilletonleben. Ich habe selten ein Buch gelesen, in dem ein Autor so gnadenlos mit seinen Lektüren und seinem Allgemeinwissen renommiert, wie »Ost Highway«. Das Ergebnis ist allerdings nicht etwa »Intertextualität«, weil diese ganzen Bildungssplitter nicht irgendwie verarbeitet sind, sondern bloß ein reichlich (post-?)pubertäres Bombardement von streberhaft aufgesagten Geistreicheleien. Aber der Kriminalroman, der sich per definitionem mit den grimmigen Realitäten Verbrechen und Gewalt auseinandersetzt, verlangt nun einmal nach einem realistischen Unterboden, egal, was er dann ästhetisch damit macht. Wer sich diesen Unterboden nur aus siebter Hand angelesen oder auf dem Bildschirm angesehen hat, verfährt wie ein Moralphilosoph, dessen ethische Begrifflichkeit in sich stimmig ist, der aber von deren pragmatischer Dimension nie gehört hat.

Maelck, 1963 in Wismar geboren, hatte sicher die wackere Absicht, die traurige Geschicht von der ermordeten Radio-Moderatorin mit Stasi-Vergangenheit mittels hohem Fun-Faktor zu erzählen, was ja an sich nichts Schlimmes ist. Weil aber die Geschichte so, wie er sie erzählt, nicht stattfinden kann - das ist der Fluch des Krimis für faule Autoren -, weil der Autor sich nicht um ihre Bedingungen kümmert, bleibt der Fun ganz alleine übrig. Und dazu brauchen wir kein Halle, keine Stasi, keinen Krimi, da tuts auch ein RTL-Format.

 

Stefan Maelck: Ost Highway. Roman. Berlin: Rowohlt Berlin, 2003, 219 Seiten, 16,90 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2004
(Freitag, 14.05.2004)

 

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