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Zwischen medialem Getöse und politischem Ränkespiel

Thomas Wörtche über Jerry Oster und seinen Roman »True Love«

 

True Love In fast einem Dutzend Romanen über New York City hat Jerry Oster seine Kunst perfektioniert, Megalopolis aufzusplittern: In ständig oszillierende Sound-Bits, die aus Radiolautsprechern quellen, in tausend synchron und asynchron laufende Unterhaltungen, Straßenlärm und Musiken, in Bildstücke aus Filmen, Photos, Werbeplakaten und konkreter Topographie, strukturiert durch homerische Repetitionsrhetorik, zusammengehalten durch surreale Geschichten von Rittern in schimmernder Rüstung, Staatsanwältinnen mit Lepra und Oberbürgermeistern, die eigenhändig Obdachlose anzünden. Osters surreale Visionen der Stadt, in der er lange als Reporter gearbeitet hatte, bevor er sich ins idyllische North Carolina zurückzog, überdrehen die Wirklichkeit immer wieder um den einen schmalen, kalkulierten Grad, der nötig ist, um aus der ohnehin aus den Fugen geratenen Wirklichkeit literarisch plausible Welten zu machen. Mangels eines besseren Begriffs kann man Osters Romane Kriminalromane nennen, weil seine Figuren meistens Polizisten sind, die mit dem einzigen beständigen Faktor ihrer Umgebung umgehen müssen: Mit der Gewalt.

Aber recht eigentlich geht es Oster immer um Dinge, "die nicht so sind, wie sie scheinen" - so hat er es einmal in einem Interview formuliert. Insofern hat es innere Logik, wenn sich Oster in seinem neuen Roman »Experience Blues« (der aus unerfindlichen Gründen auf deutsch irreführend nach einer Figur »True Love« heißt) an ein Thema wagt, das man zurecht als "ausgelutscht" bezeichnen darf. Oster baut mit fiktionalen Mitteln den Fall O.J. Simpson nach. Sein O.J. heißt Robert Powell, ein schwarzer Basketballstar, der in Verdacht gerät, seine Freundin, ein Fotomodell, und deren schwulen Bekannten ermordet zu haben. Es sieht schlecht aus für Powell, bis plötzlich ein Entlastungszeuge auftaucht, dessen Alibi für den Sportstar allerdings ein großes Manko hat: Es ist deutlich erstunken und erlogen. Die beiden Cops Janet Truelove und Mabel Segura müssen versuchen, herauszufinden, wie die Dinge wirklich sind.

Osters Grundthese ist einfach: Wenn im medialen Getöse und im politischen Ränkespiel des echten O.J.-Simpson-Prozesses etwas für immer und ewig verschüttet worden ist, dann die Wahrheit über das, was im Simpson-Haus tatsächlich passiert ist. Was in der Wohnung von Robert Powells Freundin wirklich passiert ist, das bekommen Osters blendend geschilderte und über ihre gnadenlose Sprüche lebendig charaktisierten Detectives nach langem Hin und Her schließlich heraus. Oder zumindest das, was passiert sein könnte. Die Hintergründe jedoch bleiben im Dunkeln. Oster beantwortet das Vexierspiel um die Wahrheit im Fall Simpson mit einem literarischen Vexierspiel um seine Wahrheit. So montiert er zum Beispiel in die weibliche Figur des Romans, die man schließlich wegen Mordes festnimmt, ein sehr selbstironisches, in sich gebrochenes Porträt des Schriftstellers Jerry Oster, der trotz bester Kritiken und hymnischer Lobpreisungen nie ein Publikumsrenner geworden ist und den vorliegenden Roman nicht in den USA sondern in Deutschland veröffentlichen konnte.

Oder er läßt den obskuren Entlastungzeugen namens Joe Dante, der aussieht wie John Travolta (nicht in »Pulp Fiction«), andauernd mit seiner Geliebten Gina durch die Stadt kreuzen, bis uns dämmert, daß es Gina gar nicht gibt, bzw. nicht so, wie unser Zeuge es uns verkaufen will. Oder Janet Truelove. Die ist eigentlich eine schwarze Jazzsängerin und gerade mal lesbisch, aber doch Polizistin (oder umgekehrt) und ihre Kollegin Mabel Segura ist eine hartgesottene Chica mit Revolverschnauze, die andauernd anglo-artig "MEI-ball", statt latino-artig "MAH-bell" genannt wird, aber so gar nicht ethnisch korrekt ist. Wenn schon so viel Scherz und Spiel mit Identitäten getrieben wird, wie soll man da eine einzige Wahrheit identifizieren?

Osters Methode in diesem Buch ist fast tückisch vertrackt, weil er, anders als wir es von ihm gewohnt sind, seine Collagen und Patchworks zugunsten einer beinahe schlichten Wer-Ist-Der-Mörder-Struktur zurücknimmt und die Leser an den unausgesprochenen Implikationen seiner Handlung und Figuren irre werden läßt.

Aber waren wir nicht auch im Fall O.J. der Meinung, die Wahrheit sei schlicht strukturiert, man müsse sie nur aufdecken ? Mit diesem frommen Wunsch räumt Oster auf. Gewiß sind nur der Witz und die Brillanz der schnellen Dialoge, die Atmosphäre von Blues und Jazz und die Erkenntnis, daß die Dinge in der Literatur schon gar nicht so sind, wie sie scheinen.

© Thomas Wörtche, 1996
(Wochenpost)

 

Jerry Oster: True Love (Experience Blues, 1995). Roman. Dt. von Jürgen Bürger. Reinbek: rororo thriller 3235, 1996. 233 Seiten, 6.50 Euro (D)

 

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