legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Bedürfnisbefriedigung mit hoher Spektakelquote

Der neue Politthriller als literarische Schrumpfform.
Thomas Wörtche über Daniel Silva und Christopher Reich

 

Der Maler Am 22. Oktober 1998 ist Eric Ambler gestorben; Ross Thomas war ihm schon im Dezember 1995 vorausgegangen. Von der allerersten Garnitur von Politthriller-Autoren ist nur noch John le Carré übrig. Und der mußte sich anläßlich seinen letzten Romans »Der Schneider von Panama« im SPIEGEL als Unterhaltungsschriftsteller abwatschen lassen. Frederick Forsyth, ein amüsanter Fabulierer, aber kein ernstzunehmender Schriftsteller, rückte inzwischen als Autorität in politischen Fragen nach und darf vielbeachtete Reden zum Zustand Europas schwingen. Gleichzeitig steigt der Stern etlicher Autoren wie der Amerikaner Daniel Silva und Christopher Reich, die von den PR-Abteilungen ihrer Verlage als die legitimen Nachfolger der "großen Drei" gefeiert werden. Kein Zweifel, mit der einst feinen Gattung des Politthrillers ist etwas passiert.

Nichts Gutes, fürchte ich. Nehmen wir als Exempel Daniel Silva. Dessen Karriere begann mit einem hübschen Skandal um seinen Erstling »Double Cross«, eine deutliche Cover-Version von Ken Folletts Roman »Die Nadel« (1978). Silva hatte einfach den deutschen Spion, der 1944 den Zielort der allierten Invasion herausfinden soll, zeitgeistig opportun in eine Spionin verwandelt. Follett, sagt die Buschtrommel, war mit gewissen Zuwendungen der pekuniären Art zu beruhigen. Sein britische Verlag immerhin drang auf wenigstens allergröbste historische Nachrecherche. Diese Peinlichkeiten hinderte jedoch z. B. die "FR" nicht, Silva als - eben! - legitimen Nachfolger von le Carré auszurufen. Mit so einem Bonus läßt sich natürlich sein zweiter Streich, »Der Maler« trefflich bewerben. Hier geht es um eine Bruderschaft des Bösen (eine Internationale der Erzschurken), die immer wieder dafür sorgt, daß HighTech-Rüstzeug produziert und gekauft werden muß. Um den US-Präsidenten zu einem "Erstschlag" gegen Palästinenser und dann gar zum Ankauf eines Super-SDI zu verleiten, wird ein Passagierflugzeug vor New York abgeschossen. Die Grobarbeit erledigt ein Ex-KGB-Killer, nämlich "Der Maler", ein Feingeist, der am Ende (als cliffhanger für die Fortsetzung?) überleben darf.

Ambler, Thomas oder le Carré hätten nicht mal erwogen, eine solche Räuberpistole anzubieten. Ihr Terrain ist die feinziselierte Analyse von Macht, Korruption, Verrat und niederer Gesinnungsart - unter Menschen. Silvas Geschichte jedoch gehört in die Gattung der Superschurken-Comics. Zwar ging es auch bei den "Klassikern" um handfeste Realpolitik und Interessen, aber nie um das "Schicksal" der ganzen, mindestens aber der "westlichen Welt". Ihre "Poetik der politischen Pragmatik" ist im "neuen" Thriller einer lärmenden Kette von Action gewichen. "Politik" ist hier ganz einfach - und damit zutiefst unpolitisch. Man weiß ja angeblich, wie es auf den Korridoren der Macht zugeht. Deswegen erzählt man auch problemlos aus den Köpfen von Präsidenten, Industriellen, Drogenbaronen und Geheimdienstchefs. Völlig perdu sind Skepsis, Mißtrauen und Paranoia - von Ambler & Co. noch als demokratische Tugenden literarisch inszeniert, weil Literatur wider die offiziellen Verlautbarungen die einzige Möglichkeit war, Politik auf die Schliche zu kommen. Im "neuen" Thriller herrscht die autoritär verfügte Gewißheit darüber, wie die Welt tickt. Dieses Ticken muß man bloß pyrotechnisch verstärken.

Nummernkonto So funktioniert auch »Nummernkonto« von Christopher Reich. Zunächst ein recht informierter Roman über die schönen Möglichkeiten für das Geldwaschen, die Schweizer Privatbanken bieten, aber der Obergeldwäscher ist - was sonst? - ein Superschurke, der eine Atombombe auf Israel werfen will. Nur ein tapferer Ex-Marine rettet mal wieder in letzter Sekunde - na? - den Weltfrieden. Trivialliteratur vom Feinsten. Früher kam sowas in grelle Taschenbücher, wo es hingehört und legitim ist. Trash-Autoren wie Jon Land, Robert Ludlum oder Tom Clancy verdienen ihr Geld seit Jahrzehnten mit dieser Masche. Nur für le Carré hielt die bis dato niemand.

Politthriller sind z.Zt. durch inhaltliche Exaltation zu einer literarischen Schrumpfform geworden. Sie sind "sprachlos": Silva und Reich schreiben sterile Klischeeprosa. Strukturiert sind ihre Texte nicht ästhetisch, sondern durch potentielle Filmschnitte zwecks Optionsverkäufen. Als Filme mögen die Dinger funktionieren, als Literatur kaum. Keine Spur von Amblers analytisch-elegantem Stil, nichts von Thomas' entlarvendem, lakonischen Witz, kein raffiniertes Einarbeiten von Subtexten wie bei le Carré: Also auch keine Chance auf Erkenntnisgewinn, sondern bloße Bedürfnisbefriedigung mit hoher Spektakelquote. Vergessen scheint die Selbstverständlichkeit, daß die Bedeutung von Literatur durch Sprache entsteht.

Politthriller waren einmal Texte der literarischen Aufkärung. Die aktuellen Lite-Varianten sind, von aller Substanz entschlackt, lean products im Backsteinformat für den Markt, ihren einzigen Daseinsgrund. Kurz: Sie sind zur Gegenaufklärung übergelaufen.

© Thomas Wörtche, 1996
(Die Woche)

 

Daniel Silva: Der Maler (The Mark Of The Assassin, 1998). München: Piper 1998. Dt. von Wulf Bergner. 487 Seiten, 22.00 Euro (D)
Christopher Reich: Das Nummernkonto. (Numbered Account, 1998) München: Droemer 1998. Dt. von Sigrid Langhaeuser. 560 Seiten, DM 39,90

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen