legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Nach dem Erfolg kommt die Spaghettisierung

Von Thomas Wörtche

 

Nach ungefähr zwanzig Jahren einläßlicher Beschäftigung mit Kriminalliteratur, nach tausenden von rezensierten Büchern, hunderten von Aufsätzen, Interviews, Artikeln, Radiosendungen und Kommentaren so ziemlich überall zwischen Wissenschaft und Boulevard im In- und Ausland, nach ebenso langen Jahren von Lektoratstätigkeit, Herausgeberschaft und Moderationen, Event-Organisationen und anderem verlagstechnischen Handwerk - mit all dem auf dem Buckel sollte ich eigentlich wissen, wie »der Markt« tickt. Alles schon gesehen, alles schon erlebt, alles überlebt - alle kommen und gehen gesehen. Die Trends, die Moden, die »Shooting Stars«, die Kings&Queens-of-Crime, die werbegeldgestützen Hypes, die Innovatoren, die Nachbauer, die Auf-den-Zug-Springer, die Handwerker, die Das-Rad-Neuerfinder, die Cleveren, die Zu-Cleveren, die Abgestürzten und die Totgesagten, die immer noch prächtig leben. Desgleichen die Sekundärbearbeiter - die Klugen, die Eitlen, die vor Wichtigkeit bebenden, die Forschen und die Zögerlichen, die Verstummten, die Eingekauften und die Sturen, die Schaumschläger, die Distinktionsgewinnler und die Wilden Männer, die Bedenkenträger, die Einäugigen und die Scheuklappichten, die Ignoranten, die Amateure, die Taktierer und die Engagierten. Manches davon war ich selbst, manches werde ich nie sein. Aber eines ist auch nach fast einem Vierteljahrhundert klar: Je mehr man weiss, desto weniger weiss man. Der Rest ist Illusion.

Eine Illusion ist aber auch, dass alles, was über Kriminalliteratur zu sagen wäre, aufgeht in dem, was über »den Markt« für Kriminalliteratur zu sagen wäre. Obwohl in aller Dialektik auch wahr ist: Kriminalliteratur ist nur bescheiden oder gar nicht subventionierte Literatur und insofern ohne Markt nicht denkbar - wenn damit einfach die Akzeptanz bei einer ausreichenden Zahl von Leserinnen und Lesern gemeint ist.

»Der Markt« an sich ist jedoch weder neutral noch interesselos noch quasi naturgesetzlich. Obwohl es so scheint. Als im Gefolge von Grisham und Turow die grosse Welle der sogenannten legal thriller über uns hereinbrach, verlangte der Markt eben nach Thrillern aus dem Gerichtsmilieu. Die wurden im Schock produziert und in die Buchhandlungen gedrückt (nicht, dass die sich dagegen gewehrt hätten), nach nunmehr fünfzehn Jahren ist Grisham geblieben, ein bisschen Turow und sonst so gut wie gar nichts. Nächste Welle: serial killer - mit den Protagonisten James Ellroy, John Sandford et al. Geblieben sind - markttechnisch - kaum noch die. Beim Rücksog der Welle mit in den Untergang gerissen wurden Autoren, bei denen zwar die serial killer-Thematik vorhanden war, dort aber lediglich Anlaß und nicht Marketing-und Werbeschwerpunkt. Abkassiert haben die Überbieter - zwei oder drei oder vier statt einem serial killer plus Nekrophilie plus Kinderschänden plus Vergewaltigen. Und auch die werden in fünf Jahren verschwunden sein. Von den niedlichen deutschen »Profiler«-Nachbauten wollen wir gar nicht reden.

Nächstes Beispiel: Rechtsmediziner-Thriller. Patricia Cornwell hat vorgelegt, Kathy Reichs nachgezogen - kalkuliert und bewusst. Und seitdem fröhliches Leichenschneiden allüberall, aber ohne wirklichen, kommerziell satten Erfolg. Der Zwang zum Superlativ hingegen hat auch dieses Thema bis zur Lächerlichkeit getrieben und erledigt.

Der Markt dreht schneller und schneller. Das hat banal mit der Warenwirtschaft des Buchhandels zu tun, die so wiederum in die Produktion hineinregiert. Denn wenn eine Welle nur bei ihren Spitzenprodukten wirklich Geld abwirft (und die Klone höchstens noch für kärgliche schwarze Zahlen stehen, bei einem Aufwand, über den man lieber nicht öffentlich reden will - denn wir sehen in der Öffentlichkeit nur die halbwegs gelungenen Versuche; das Geld, das in viele, viele Flops und Desaster geflossen ist, sehen wir nicht), dann liegt es nahe, einzelne Komponenten zu kombinieren: serial killer plus Leichenschneider. Oder die Kombinatorik auf den gesamten Buchmarkt auszudehnen. Also Kochen und Krimi und dann die gesamte Palette des Lifestyles rauf und runter: Wein, Käse, Gemüse, Wandern, Design, Gärtnern und so weiter und so fort.

Das, so werden Sie an dieser Stelle richtig einwenden, ist nun wirklich nichts Neues. Bücher und Bestseller hängen vom Zeitgeist ab, wie alle Kunst. Weniger grobschlächtig: Eine jede Kunst hat ihre Kontexte, zu denen sie sich so oder so verhält, das aber zwangsläufig. Richtig!

Deswegen nun aber folgendes Beispiel: Ungefähr Anfang der 90er Jahre war Kriminalliteratur allmählich so weit, als ernsthafte Konkurrentin der non-crime-Literatur, sprich: Hoch-Literatur betrachtet zu werden. Von Kriminalliteratur (wie auch von anderer »Genre«-Literatur) gingen Impulse aus, die die alte U/E-Dichotomie, die keinesfalls so rein deutsch ist, wie man uns lange erzählen wollte, auszuhebeln imstande war. Zumindest potentiell. Das war für Leute, die an die Hierarchie von Formen und Themen glauben, keine schöne Vorstellung. Es tangierte sowohl Interessen als auch Pfründe.

Doch dieser Prozeß wurde jäh gestoppt. Autoren wie Henning Mankell oder Donna Leon traten auf, die einerseits das Bedürfnis des Publikums nach ganz schlichten Krimis befriedigten und das Genre in seinen ästhetischen und erkenntnistheoretischen Potentialen um Jahrzehnte zurückbombten. Und andererseits durch ihre noblen Verlagsorte - Zsolnay resp. Hanser und Diogenes - das bildungsbürgerliche Unbedenklichszertifikat mit sich trugen. Die völlig legitime Lust an der Lektüre unerheblicher Textlein war plötzlich jeden Rests von schlechtem Gewissen entkleidet - das ja immer auch ein wenig subversiv war.

Folge Nr. eins: Die Sachwalter des »Guten, Schönen und Hohen«, die sich vom avancierten Genre in ihrer Deutungshoheit bedroht sahen, konnten dieses Edel-Talmi bedenkenlos loben. Diese Sorte Krimi ließ sich leicht marginalisieren, im Gegensatz zu komplexen Romanen eines Jerome Charyn oder Andreu Martín, obwohl die - horribile dictu - pures, reines, scharfkantiges Genre waren. Jeder wusste plötzlich wieder, was ein Krimi war, die Feuilletons überschlugen sich vor Affirmation, der Buchhandel freute sich an einer neuen Leserklientel und kritischen Stimmen wurde vorgeworfen, elitären Snobismus zu betreiben.

Folge Nr. zwei: Natürlich produzierten auch diese domestizierten Seller ihre Klone, ihre Nachbauten und ihre Wellen. Domestiziert bedeutet: alles, was am Kriminalroman ästhetisch oder thematisch verstörend war, roh, gewalttätig, bizarr, notfalls geschmacklos und abstossend, provokant und schmutzig, also mit einer gewissen Absicht literarisch, war einer neuen Behaglichkeit gewichen. Einer Behaglichkeit, die seit Hammett obsolet geworden ist, de facto. Diese »neuen Behaglichen« konnten sogar zu einer gewissen Normativität gedeihen. Was nicht so war wie Donna Leon - das war und ist in mancher Wahrnehmung »kein Krimi«. Und was »kein Krimi« ist, hat auf »dem Markt für Krimis« schlechte Karten, aber einen anderen Markt für Kriminalliteratur gibt es kaum noch. Eine Regression mit solcher Schlagkraft und Dynamik habe ich allerdings noch nicht erlebt, bei allen abgerittenen Zyklen von Moden und Trends, von Wellen und Hypes.

Denn bisher hatten die verschiedenen Dynamiken des Marktes noch immerhin, also mit einigermaßen wirtschaftlich vernünftigen Zahlen, vernünftiger kritischer Begleitung, vernünftiger Präsentation das Überleben der Gegenbewegungen, der neuen Formationen, der Innovatoren zugelassen. Das ist heutzutage zumindest viel, viel schwerer geworden. Die Liste brillanter internationaler AutorInnen, die nicht mehr oder nicht mehr angemessen professionell verlegt werden können - es sei denn, man hat Geld zum Verbrennen übrig - ist beängstigend.

Ich will natürlich auch nicht sagen, dass diese Regression dauerhaft ist. Oder nicht aufzubrechen. Vielleicht muss man heute einfach sorgfältiger zwischen kurzen und langen Zyklen unterscheiden.

Schauen wir uns deswegen noch eine letzte Welle an: Die Ethno-Welle, oder global-crime-Welle. Als ich im Jahr 2000 mit metro ans Licht der Öffentlichkeit getreten bin, wurde ich belächelt - Krimis, programmatisch aus aller Welt? Wie putzig! Auf dem Gebiet der Akquisition war ich mutterseelenalleine unterwegs. Jetzt, fünf Jahre später, ist das nicht mehr der Fall. Das macht mir die Arbeit nicht leichter, freut mich aber sine ira und studio doch. Aber darum soll es hier nicht gehen. Denn global-crime ist seinerseits zum Trend geworden. Es hatte sich gezeigt, dass gerade in Lateinamerika, in Afrika oder Asien durchaus Kriminalliteratur geschrieben wird - allerdings (noch?) aus ganz anderen Gründen als aus markt-induzierten. Weil es dort, bei Leonardo Padura auf Kuba, bei Yasmina Khadra in Algerien, bei Pepetela in Angola, oder bei dem exilierten Chinesen Qiu Xiaolong, darum geht, sich in gesellschaftliche Diskurse einzuschalten. Mit den Formen der Kriminalliteratur, und zwar beileibe nicht nur thematisch, sondern mit ihren spezifischen ästhetischen Möglichkeiten. Und mit internationalem Erfolg. Weil es aber naturgemäß so viele autochthone Autoren nicht gibt - also solche, die egal welcher Nationalität oder Hautfarbe wirklich ihre Länder kennen und nicht gerade mal vier Wochen auf Urlaub dort waren -, folgten auch hier die »Dollys«: Romanklone über nette türkischen Polizisten, bei denen Menschen, die die Türkei tatsächlich kennen, schreckensblass werden; Romanklone über ein Thailand, das gutwillige Thais höflich als Disney Land bezeichnen würden usw. Global crime also, das mit Ästhetik und Realitätsbezug von Kriminalliteratur allenfalls ein »exotisches« Setting gemeinsam hat.

Aber vielleicht heisst die derzeitige Phase einfach: für zuviel Erfolg muss man bezahlen. Und der Preis ist: Beliebig geworden zu sein. Beliebig evasiv. Dann wäre allmählich das fällig, was bei »literarischen Reihen« immer passiert: Auf Etablierung folgt Destruktion, Spaghettisierung, möglicherweise völlige Auflösung und allmählich ein Neuaufbau mit veränderten Parametern. Die einzige Gefahr, die dann »vom Markt« ausgeht, besteht darin, dass er keine Nischen mehr hat für Kriminalliteratur, denn in denen wuchern mittlerweile parallele Evasiv-Produktlinien (Fantasy etc.).

Aber Prognosen traue ich grundsätzlich nicht. Auch von denen habe ich schon zu viele erlebt und überlebt.

 

© Thomas Wörtche, 2005
Buchkultur, Heft 99, Juni/Juli 2005

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen