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Geistig-moralisch gewendet

Thomas Wörtche über Mickey Spillane und den Hamburger Rotbuch Verlag

 

Ich, der Richter Geht so kulturelles Rollback? Ist das die "geistig-moralische" Wende, die Kohl vor vierzehn Jahren angedroht hatte?

Der WDR, ("Rotfunk") läßt sich aus Landesgeldern Konsalik-Verfilmungen finanzieren, Reagans Leibautor Tom Clancy bekommt bei HoCa beste Programmplätze, Hannelore kocht, Helmut Kohl kuschelt bei Bio, Kulturbehörden drehen zuerst riskanten, innovativen Projekten den Geldhahn ab. Und jetzt die Rotbuch-Krimi-Reihe! Die hat einst brillante Autoren wie Jerome Charyn, William Marshall oder Paco Taibo (um nur einige zu nennen) in schöner und origineller Aufmachung präsentiert. Jetzt präsentiert sie einen sexistischen right-wing hackwriter: "Mickey Spillane erstmals unzensiert", eine überarbeitete und "nach dem unzensierten Original" ergänzte Ausgabe des "in den letzten Jahren nicht mehr lieferbaren" Romans "I, The Jury". Weitere Bände sollen folgen.

Lassen wir mal beiseite, daß "Ich, der Richter" (so der eh falsche deutsche Titel) immer mal wieder auf unserem Buchmarkt auftaucht, zuletzt 1985, 1987 und 1990. Immer mit dem Versprechen "ungekürzt", immer mit der verzweifelten Verve, aus Spillane, dessen Weltauflage mit 200 Millionen Exemplaren gerühmt wird, einen unterdrückten, unbekannten Autor zu machen. Rotbuch hat jetzt nach der US-Originalausgabe von 1947 ein paar früher abgeschwächte Stellen rekonstruiert, ein paar weggelassene Sätze eingefügt. Ein neues Buch kommt nicht raus dabei, ein blödes wird noch blöder. Das "Skandalon" (Privatdetektiv Mike Hammer rächt ermordeten Freund, erschießt am Ende eine böse Blondine und sagt auf deren Frage "Wie konntest du n-nur?": "Es war leicht") - war 1947ff. weltberühmt, todschick und in allen o.a. deutschen Ausgaben vorhanden. Irgendwann gab es auch mal ein Indizierungsverfahren. Trotzdem fällt mir kein Grund ein, warum man einen ästhetisch dürren, zudem politisch anrüchigen (in dieser Reihenfolge !) Autor als verfolgte Unschuld oder überhaupt neu präsentieren muß. Es geht ja davon nicht die schlichte Tatsache weg, daß Spillane die triumphierende Stimme des McCarthyismus war, und sämtliche Dumpfbackigkeiten der Zeit in stocklangweilige, gleichartige Bücher gepackt hat: Gut gegen Böse, das Böse kommt weg, peng, basta, bingo. Derart schlichte Prosa wird auch durch Vollständigkeit nicht besser. Spillanes Selbsteinschätzung, er sei das Kaugummi der amerikanischen Literatur, ist und bleibt das bei weitem Intelligenteste, was er je von sich gegeben hat. Für die Geschichte der (Kriminal-)Literatur ist Spillane ohnehin belanglos, nicht mehr als ein Schrumpf-Hammett für Vielzuspätgekommene und arg harmlose Gemüter.

Im Rotbuch-Waschzettel steht: "Die Mike-Hammer-Heldensagas sind eine postmoderne Wiederbegegnung mit der schwarzen Seite der Fifties". Die Wiederbegegnung ist postmodern. Aha. Weist das den Weg für andere kommende Postmodernitäten? Etwa die historisch-kritische Ausgabe von Konsaliks Œvre in 125 Bänden, nach der man die deutsche Literaturgeschichte nach '45 umschreiben muß? Etwa die Reihe "Nette totalitäre Geister endlich unzensiert"? Auf der linken Seite des Spektrums hatten wir ja schon Kochen mit Markus Wolff (bei Rotbuch). Vierzehn Jahre "Wende"-Politik haben wohl anästhesierende Wirkung. 1986 hieß es im Gründungspapier der Rotbuch-Krimis wörtlich, man wolle Autoren wie Spillane nicht verlegen, weil sie weder "politische noch literarische Originalität" haben. Zehn Jahre später qualifiziert der Mangel an beidem dazu, zum Klassiker right ausgerufen zu werden.

Feiert hier vielleicht doch nur die neuentdeckte Liebe zum Markgesetz Urständ (für die Spillane die Poetik gleich mitliefert: "Was nicht gelesen wird, ist keine Literatur")? Was aber, wenn es "geistig-moralische" Bände spricht?

© Thomas Wörtche, 1996
(Frankfurter Rundschau)

 

Mickey Spillane: Ich, der Richter. (I, the Jury). Aus dem Amerikanischen von Daisy Remus. Überarbeitet und nach dem unzensierten Original ergänzt von Gabriele Dietze. Hamburg: Rotbuch Verlag, 1996 (Rotbuch Krimi Bd. 1048), 204 S., 8.60 Euro (D)

 

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