legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Ist Spionage sexy?

Thomas Wörtche über Robert Farrar, Keith Baker und Brian Moor

 

Keine schönen Zeiten für Spione. Was die echten treiben - man weiß es nicht. Staatsgeheimnisse liest man in der Tagespresse nach, die neueste Kriegstechnik wird schon lange vor ihrer praktischen Erprobung in "Jane's Weekly" diskutiert, und Wirtschaftsspionage ist weder sexy noch sonstwie glamourös.

Ihre Kollegen allerlei Geschlechts aus Spionageromanen respektive Polit-Thrillern wissen auch nicht so recht. Obwohl mit dem Kalten Krieg das Spiel von Spion gegen Spion, Gegenspion, Doppel-, Trippel - und Quadrupelagent, Maulwurf und Gegenmaulwurf, Loyalität und Verrat keineswegs zu Ende ist, müssen erst einmal die Spielbretter neu organisiert werden. Wir erinnern uns: Die besten Kalte-Kriegs-Romane waren die, die uns die Grundzüge nicht mehr erklären mußten, sondern Standardsituationen äquilibristisch durcheinanderwirbeln konnten. John le Carré nutzte für seine Smiley-Romane die Grundzüge des Ost/West-Spiels, die tausend schlechte und mittlere Spionageschmöker in den Köpfen der Leser vorbereitet hatten. Ab da konnte der "Circus" seine eigene Sprache entwickeln, ab da durfte an einer eigenen Erzählgrammatik gebaut werden. Seit 1989 ist der Kalte Krieg aus, aber die Kulissen stehen noch.

Der coolste Killer

Mit diesem Umstand spielt Robert Farrars schnelle, kleine Slapstick-Comedy "Der coolste Killer. Eine Fabel." Irgendwann in den herzlosen Achtzigern, im sozialfrostigen Zentrum von Frau Thatchers Finanzmetropole London bekommt ein tüchtiger Yuppie zum Geburtstag eine Theaterkarte. Eine Action-Theatre-Truppe verspricht, aus dem Leben ein Stück zu machen, und umgekehrt. Das Ding heißt "Theater im Leben", die Teilnahme in der Standardausführung kostet £ 50, und Wallace Ritchie, unser aufstrebender Handelsbanker, steigt fröhlich ein. Gegeben wird, so glaubt er, als sich ersten Leichen um ihn herum türmen, der Erfolgsdauerbrenner Ost vs. West, KGB vs. MI 5. Probleme, sich voll in das Stück einzubringen hat der junge Mann nicht. Bald halten ihn alle für den coolsten Top-Agenten, für den Profi ohne Nerven. Man ahnt die Komplikation: Durch einen winzigen Fehler ist Wallace in eine echte Geheimdienstintrige gestolpert. Die aber funktioniert nach den Spielregeln der Paranoia, wie wir sie aus Spionageromanen gelernt haben: Während sich die unteren Ränge mit Fleiß gegenseitig massakrieren, kungeln die gegnerischen Bosse am Telefon miteinander. Die wahnsinnige, sadistische Folterärztin (nicht nur rein optisch eine enge Verwandte von Rosa Klebb aus dem einschlägigen James-Bond-Film) ist eine auf beiden Seiten hochgeschätzte Fachkraft. Die 'seriöse' Spionageliteratur hatte seit 1945 allmählich aus der Realität die literarische These destilliert, daß die Wahrheit "hinter den Kulissen" noch viel, viel schlimmer sei. Bei Farrar wird diese Wahrheit einer Theaterinszenierung zum Verwechseln ähnlich. Zumindest für einen jungen Menschen, der sich, statt um staatsbürgerliche Tugenden wie gesundes Mißtrauen und skeptische Paranoia, hauptsächlich um's Geldverdienen kümmert. Farrars Schlußpointe, die mit Geld zu tun hat, ist denn auch vernichtend: Allerdings nicht für die Heroen des Spionageromans, die allesamt prächtig parodiert werden, sondern für eine Generation, die nichts von ihnen lernen wollte. "Der coolste Killer" ist nicht nur ein komisches Buch, sondern auch ein sehr gemeines.

Ungesühnt Gerade in England hatten Polit-Thriller immer auch die Aufgabe, die innenpolitische Dimension von Geheimdienstarbeit kritisch zu reflektieren. Kein Wunder bei der offiziellen Regierungspolitik, die erst nach 1989 bereit war, auch nur die Existenz von MI 5, MI 6 und SIS zuzugeben. Julian Rathbone, Keith Hagenbach oder Reg Gadney haben seit den 80er Jahren in ihren Thrillern immer wieder in diese Kerbe geschlagen. Besonders virulent war das Problem, wenn das Thema "Nordirland" aufkam, denn die endlose Spirale von Gewalt und Gegengewalt aus Staatsräson war nicht einmal denkbar ohne geheimdienstliche Methoden. Die IRA war und ist für innenpolitische Zwecke im gesamten UK zu schön, um wahr zu sein. Diese kritische Tradition setzt Keith Baker mit seinem Romanerstling "Ungesühnt" fort. Er wagt einen Zeitsprung - zwanzig Jahre nach dem "Waffenstillstand" von 1996. Zeitsprünge in die Zukunft sind meistens problematisch, aber Baker enthält sich glücklicherweise der Einführung von futuristischen Firlefanz. Das tut dem Roman gut, man muß ihn nicht als Science Fiction lesen, sondern kann ihn als Extrapolation von Entwicklungen verstehen. Nordirland ist einigermaßen zur Ruhe gekommen, die Wirtschaft blüht. Noch ist der Friede fragil. Als der junge Soldat Jack McCallan sich daran macht, das Leben seines Vaters zu rekonstruieren, sind Ruhe und Wachstum gefährdet. Der alte McCallan, unter rätselhaften Umständen zu Tode gekommen, war noch 1996 als Mitglied der RUC (Royal Ulster Constabulary) mit der illegalen Liquidierung von IRA-Leuten befaßt. Mit voller Rückendeckung der diversen Geheimdienste, zu einem höheren Ziel und Zweck. Als der Sohn anfängt, in der Vergangenheit zu stochern, ist das neue (und alte) politische Establishment aufgescheucht und reagiert auf seine Weise. Beeindruckend an Bakers Roman, der für einen Erstling erstaunlich clever und professionell gemacht ist und höchstens an einem too much an Sexszenen leidet, ist die Selbstverständlichkeit, mit der er den alten Kampf zwischen Staatsräson und privatem Schicksal inszeniert: Die Resignation - daß ein Individuum gegen die Schlechtigkeit der Welt nicht ankommt - weicht einem vorsichtigem Optimismus - man kann mit den Schweinebacken "da oben" auch handeln. Vorausgesetzt, man läßt es nicht an der gebotenen - eben ! - Paranoia fehlen. Seit Eric Ambler und seiner Art des Umgangs mit Macht hat sich die britische Literatur eine zumindest ästhetisch funktionierende "Gegeninterpretation" von politischer Wirklichkeit geschaffen, die hartnäckig auf das utopischen Moment von Literatur pocht.

Hetzjagd Ähnlich subversiv setzt der irische Schriftsteller Brian Moore "poetische Gerechtigkeit" ein. Moore gehört zu den hierzulande eher unbekannten Großen der Gegenwartsliteratur. Immer wieder reibt er sich an der katholischen Kirche als realpolitischer Institution, historisch und aktuell. "Hetzjagd" greift ein nicht nur in Frankreich in den letzten Jahren heiß diskutiertes Thema auf: die sympathisierende Hilfestellung des Vatikans für Nazi-Verbrecher und die Verwicklung höchster französischer Kreise in die deutschen Verbrechen während der Okkupation. Die Kontexte von Barbie bis Drancy sind bekannt. Moore läßt einen der antisemitischen Schlächter von damals durch Südfrankreich gejagt werden. Von wem, ist zunächst unklar. Klar wird, daß ihm jetzt nur noch Teile der katholischen Kirche helfen. Fundamentalisten unter sich, sozusagen. Andere Teile derselben Institution setzen eine "Geschichtskommission" ein, um diesen peinlichen Aspekt durch Offenlegung machtpolitisch zu entschärfen. Auch die Hohe Politik aus Paris mischt heftig mit. Brossard, das alte gehetzte Scheusal, wird, auch das ist klar, am Ende liquidiert. Unklar bleibt lange, von wem. Aber - so Moores eisige Pointe eines in eisiger, präziser Prosa verfaßten Romans - es ist im Grunde egal, wer die Brossards dieser Welt abräumt, wenn die Rechtsprechung nicht will oder aus politischen Gründen nicht kann. Moore erzählt das als Parabel, womit auch klar ist, daß er nicht nur einen Schlüsselroman über das finstere Dreieck Nazis-Kirche-Vichy und Paris heute geschrieben hat. Gerade nach 1989 zeigen sich derlei unappetitliche Mesalliancen in weltweiter Dimension. Paranoia ?

Gute Polit-Thriller interpretieren unsere Wirklichkeit mit literarischen Mitteln und kommen meistens zu anderen Ergebnissen, als die offiziösen Verlautbarungen nahelegen. Paranoia kann - eben !- sehr sinnvoll sein.

© Thomas Wörtche, 1997
(Lektüren)
(Lektüren war ein Projekt, das nie erschien
und aus dem letztlich Literaturen entstand.

 

Robert Farrar: Der coolste Killer. Eine Fabel. (Watch That Man, 1997) Roman. Dt. von Jürgen Bürger. Köln: Kiepenheuer & Witsch Paperback, 1997. 143 Seiten, DM 16, 80
Keith Baker: Ungesühnt. (Inheritance, 1996) Roman. Dt. von Christian Quatmann. München: Lichtenberg, 1997. 397 Seiten, DM 39,90
Brian Moore: Hetzjagd. (The Statement, 1995). Roman. Dt. von Bernhard Robben. Zürich: Diogenes, 1997. 297 Seiten, DM 38.-

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen