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Die Welt in Ordnung bringen

Die neuen Ladies in der Kriminalliteratur.
Thomas Wörtche über Minette Walters, Martha Grimes, Elizabeth George & Co.

 

Warum werden bestimmte Bücher Bestseller? Warum werden gar ganze Sorten von Romanen zu Bestsellern? Wenn ich's wüßte, wäre ich vermutlich reich. Was auf jeden Fall nicht ausreicht als Erklärungsmuster, sind die üblichen Unterstellungen: Großer Werbeetat, hocheffizienter Vertrieb, ausgefuchstes Marketing. All das kann natürlich helfen (und tut es auch de facto), aber es sind schon buchstäblich Millioneninvestitionen trotz solch optimaler Infrastrukturen kläglich abgestürzt. Wenn ein Bucherfolg ausschließlich aufgrund solcher Rahmenbedingungen passiert, dann war er höchstwahrscheinlich eine Eintagsfliege.

Keine Eintagsfliegen hingegen sind die Verkaufs- und Publikumserfolge einer ganzen Reihe von Schriftstellerinnen, die den Liebhabern "seriöser" Literatur die Haare zu Berge stehen lassen: Martha Grimes, Elizabeth George und jetzt Minette Walters gehören zu dieser Kategorie. Alle drei liefern sogenannte "klassische Krimis im zeitgemäßen Gewand". Heißt es. Und die Autorinnen stricken selbst fleißig mit an dieser Behauptung. Das muß natürlich gar nichts bedeuten. Versuchen wir mal, diese Melange aus Bekundungen, Tatsachen, Einschätzungen und Erwartungen ein wenig zu sortieren.

Keine der drei Autorinnen ist stilistisch innovativ. Der "klassische Krimi", worunter man sich wohl das Muster Agatha Christie & Co. als Paradigmenstifter vorstellen soll, ist längst historisch. Die aktuelle Entwicklung des Genres "Kriminalliteratur" spielt sich planetenfern von diesem Muster ab. Nun ist stilistische Innovationsfreude nicht per se identisch mit Qualität. Und umgekehrt. Es gibt die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, was es nicht gibt, ist eine normative Ästhetik des Kriminalromans. Problematischer wird es bezüglich der Sujets, wenn man bereit ist, zuzugeben, daß das Sujet seinen autonomen Teil am Bedeutungsaufbau eines literarischen Werks hat. Wenn sich bei unseren Beispielautorinnen also die Sujets seit Old Lady Agathas Zeiten nur insoweit geändert haben, als sich die Zeitläufte geändert haben - und zwar aus einer ganz bestimmten, definierbaren Perspektive -, dann sagt das auch etwas über die Zählebigkeit von Konsumentenbedürfnissen. Bei Christie wird am Ende eines jeden Romans aufgeklärt, wer Sir John in der Bibliothek ermordet hat; das Motiv mag Gier, Haß, Eifersucht gewesen sein. Auch bei Grimes & Co. steht am Ende fest, wer aus Gier, Haß, Eifersucht gemordet hat. Ziel ist, die Welt wieder "in Ordnung" zu sehen. Selbst wenn dafür, wie bei Minette Walters, einmal ein Mord ungesühnt bleibt. Einen kategorialen Unterschied macht das nicht, weil jedenfalls das Bedürfnis nach einer geordneten Welt, die durch ein Verbrechen verstört worden ist, befriedigt ist. Dies allerdings ist nichts anderes als die kriminalliterarische Parallelaktion zu den Romanen der Marlitt oder der Courts-Mahler, wo die Welt in Ordnung ist, wenn die Hauptfiguren am Ende "sich kriegen". Nicht zufällig spielen Elizabeth George und Minette Walters sehr deutlich mit der Struktur des Liebesromans. Insofern knüpfen sie an eine Tradition an, die hauptsächlich von Schriftstellerinnen begründet und am Leben gehalten wurde. Und deren aktuelle non-crime-Vertreterinnen Barbara Cartland und Rosamund Pilcher sind. Allesamt bedienen sie inhaltlich definierte "Heils"-Erwartungen an Literatur, von denen sich die "seriöse" Literatur rasant wegentwickelt hat, deren Legitimität aber damit noch lange nicht vom Tisch ist. Es sei denn, es gäbe ein Zentralkomitee zur Festsetzung von emotional, soziopsychologisch, womöglich geschlechtsspezifisch legitimen Bedürfnissen.

Eine ganz andere Frage ist, welche unterschiedlichen Unterströme (ideologischer und weltanschaulicher Art) in diesem Typus von Roman mitfließen. Zum Beispiel bei Minette Walters, die explizit aufbaut aus ihren Erfahrungen im Geschäft des Schnulzenromans. Ihre weltanschaulichen Positionen sind nicht so sehr ökonomisches Kalkül; sie spiegeln vielmehr einen Common Sense lebenspraktischer Anständigkeit, einen Mainstream der Werte. Wer das platt als "Heile-Welt-Kitsch" abtut, übersieht erstens, daß es mindestens ebenso viel "Unheils-Kitsch" gibt, nicht nur in der Genre-Literatur; und zweitens, daß hochnäsiger Elitarismus noch nie eine Antwort auf Common-Sense-Bedürfnisse geben konnte, sondern lediglich Geschepper von Blechgewittern simulieren kann. Der Wunsch - bei LeserInnen wie Autorinnen - nach Wiederherstellung einer "guten" Ordnung bleibt selbstverständlich hilflos gegenüber den ungeheuren Komplexitäten zeitgenössischer Gesellschaften. Aber es wäre zynisch und gefährlich, ihn zu ignorieren: Der Erfolg solcher Romane artikuliert einen Konsens über "aufrechte Gesinnung", der offenbar immer noch nicht zerbrochen ist.

Damit sollen keineswegs Fragwürdigkeiten bestritten werden: Den "klassischen Krimi" haben männliche Autoren wie Colin Dexter oder Reginald Hill schon vor Jahrzehnten 'modernisiert'; mit Erfolg, aber ohne das gigantische Medienecho, das die neuen Ladies erfahren. Minette Walters wird unter dem Stichwort vermarktet, sie habe den britischen Krimi in ihrem Mutterland vor dem Zugriff der Amerikanerinnen (Martha Grimes und Elizabeth George, die lediglich britischen Settings benutzen) gerettet und aus einem alten Muster endlich komplexe moderne Romane gemacht. Das ist natürlich Unfug. Wir reden hier von formula fiction pur. Und gerade in Großbritannien gibt es spätestens seit Ted Lewis (in den 60er Jahren) eine Reihe von Autoren und Autorinnen, die die Komplexionsaufladung der Kriminalliteratur tatsächlich zu ernstzunehmenden literarischen Kunstwerken vorangetrieben haben: Julian Rathbone, Derek Raymond, Helen Zahavi und etliche mehr. Bei ihnen spielt die literarische Innovation, d.h. die ästhetische Organisation der Texte, eine ungleich größerer Rolle als bei Walters & Co. (und zu diesem Co. darf man durchaus P.D. James, Ruth Rendell, Ellis Peters usw. zählen). Die höhere "literarische" Komplexität basiert auf der Einsicht, daß Verbrechen eben nicht etwas Aufzuklärendes, also Abzusonderndes ist, sondern konstitutiver und integrativer Teil der Gesellschaft.

Die Manipulation der Werbestrategien für die neuen Ladies liegt in dem, was sie verschweigt: Die Entwicklung des Genres und seine tatsächlichen künstlerischen Möglichkeiten. Das ist legitim, in der Logik von Markt und Werbung. Peinlich ist nur eine Literaturkritik, die das ignorant nachbetet.

Dennoch: Minette Walters, die bei allen Gemeinsamkeiten nicht über einen Kamm mit Martha Grimes und Elizabeth George zu scheren ist, weil sie die originellere, witzigere und reflektiertere Schriftstellerin ist, bleibt ein Phänomen. Keiner ihrer Romane hält einer kritischen zweiten Lektüre stand, aber alle haben Qualitäten, die ich mir nur so erklären kann: Starke Identifikationsfiguren für Leserinnen, sympathische ideologische Grundentscheidungen, verwicklelte Handlungen, die die Komplexität von Wirklichkeit geschickt simulieren, das Talent, Spannung aufkommen zu lassen und den Spannungssog so zu nutzen, daß Fragen nach Stimmigkeit und Plausibilität gar nicht erst aufkommen; den witzigen, überraschend gesetzten "bösen" Blick auf Alltagssituationen und Verzicht auf "schwierige" literarische Inszenierung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß solche Verfahren nur kühles Kalkül sind. Da ist noch etwas im Spiel, und das ist, fürchte ich, das größte Ärgernis für den "seriösen" Literaturbetrieb (der heimlich und mit Neid auf die Verkaufszahlen schielt): Minette Walters glaubt an ihre Konstruktionen und Botschaften, ganz authentisch. So etwas ist mit Millionen von Dollars und Mark nicht auf Abruf herzustellen.

© Thomas Wörtche, 1995
(Freitag)

 

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