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Terror-Szenarien

Jenseits aller Italo- und Mafia-Klischees haben die Autoren Giancarlo de Cataldo und Mimmo Rafele einen verstörenden Politthriller geschrieben, in dem rechtsgerichtete Polizei-Einheiten Terror und Angst verbreiten, um das Land von allen Elementen zu säubern, die ihnen störend erscheinen. Der Ordnungsfraktion entgegen stellt sich eine verfassungspatriotische Fraktion in der italienischen Polizei, die mit nicht minder schmutzigen Tricks zu Werke geht. De Caldo und Rafele ist eine düstere Dystopie gelungen, die man durchaus für real halten könnte.

Von Thomas Wörtche

 

Zeit der Wut

Gewisse gesellschaftliche Kräfte wollen einen rigide autoritären Staat und richten deswegen Chaos an, um umso wirkungsvoller aufzuräumen. Diese Kräfte bedienen sich realer Terror-Szenarien, die sie in ihrem Sinne übertreiben, damit drastische Reaktionen für die Bevölkerung darstellbar werden. Und Teile dieser Kräfte sind Teile der Polizei eines Landes. So funktioniert, grob gesagt, die beunruhigende Handlung des Romans »Zeit der Wut« von Giancarlo de Cataldo und Mimmo Rafele. Die beiden Autoren - de Cataldo ist Richter und Romancier, Rafele Drehbuchautor, u.a. von »Allein gegen die Mafia« - legen ein konzentriertes Szenario des Schreckens vor, das man als paranoid bezeichnen könnte, wenn es nicht so plausibel erzählt wäre: Die ordnungspolitische "Rechte" Italiens heuert einen kroatischen Ex-Kommandanten an, um Italien von allen störenden "Elementen" wie Junkies, Linken, illegalen Flüchtlingen aus Afrika, Schwulen und anderen unbequemen Gruppen zu säubern. Von "Säuberungen", auch wenn sie nur partiell "ethnisch" sind, versteht der "Kommandant" eine Menge. Außerdem soll die Angst vor dem "islamistischen Terror" weiter geschürt werden, um Italien fester an die USA (das Original ist 2009 erschienen) zu binden und um innenpolitische Restriktionen durchzusetzen.

Auf der anderen Seite steht eine Art verfassungspatriotischer Polizei-Geheimdienst, der nicht hinnehmen will, dass korrupten Teile des Polizeiapparates - hier: "Anti-Terror"-Einheiten - nicht loyal sind, sondern für die "Ordnungsfraktion" foltern und morden, auch zu Nutz und Frommen und im Auftrag des industriell-mafiosen Komplexes, der immer dreister agiert.

Allerdings arbeiten die loyalen Kräfte ebenfalls mit fragwürdigen Mitteln. Aus dieser Konstellation entwickelt der Roman seine Dynamik.

Die Autoren lösen die verzwickte Konstruktion in action auf und lassen spannende Figuren agieren: Lupo, der geheimnisvolle, knüppelharte loyale Staatsdiener; Marco, der aufstrebende Polizist, der stolz ist, Teil einer Elite-Einheit zu sein, obwohl er sehr wohl weiß, dass alles falsch und schlimm ist. Es gibt ein reiches Söhnchen, ein Salon-Revoluzzer, der feststellen muss, dass er in einem Alptraum gelandet ist. "Fundamentalisten" werden manipuliert und final funktionalisiert. Dann ist da noch Alissa, die einst von dem "Kommandanten" in Kroatien gerettet worden war und ihm treu ergeben ist und andere eindrückliche Figuren mehr. De Cataldo und Rafele stürzen sie in Konflikte. Um ihre Seelen, um ihre Loyalitäten wird gerungen, auch wenn sie in der nächsten Sekunde für ein höheres Ziel liquidiert oder sonst wie geopfert werden. Erzählt wird das alles blitzschnell und szenisch, was sicher auch auf eine Verfilmung hin angelegt ist. Zwei, drei Seiten pro Kapitel reichen, eine harte Schnitt-Technik bringt Tempo und treibt dem Roman jede Gemütlichkeit, jedes behagliche Beharren aus.

Ein schöner Nebeneffekt - »Zeit der Wut« ist ein Musterbeispiel für eine ganze Reihe neuerer italienischer Kriminalromane jenseits aller Pizza-Pasta-Mafia-Klischees.

 

Giancarlo de Cataldo und Mimmo Rafele: Zeit der Wut. (La forma della paura, 2009). Thriller. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Deutsche Erstausgabe. Wien: Folio Verlag, 2012, gebunden mit Schutzumschlag, 244 S., 22.90 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2012
(Deutschlandradio Kultur,
24.04.2012
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über »Zeit der Wut« von Giancarlo de Cataldo und Mimmo Rafeles Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1738039/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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