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Im Gleichschritt aus den Niederungen

Seit den Zeiten der Sonntagszeitungs-Comics gehören Kriminalliteratur und Comics zusammen. Gemeinsam haben sie den Weg aus den Niederungen der Literatur bis zur den Höhen des aktuell boomenden Marktes beschritten. Thomas Wörtche stellt Ihnen ein paar aktuelle kriminalliterarische graphic novels vor.

Von Thomas Wörtche

 

Ángel de la Calle: Modotti

Crime Fiction ist schon immer eine multimediale Veranstaltung gewesen, seit den Tagen von "Fantômas" in Prosa und Kintopp. Und seit den Sonntagszeitungs-Comics wie "Dick Tracy", seit "Batman" und "Superman", seit Will Eisners "Spirit" gehören Kriminalliteratur und Comics zusammen. Haben sie doch beide den Weg von der Subkultur, vom "niederen Genre" bis zur heutigen Boom-Literatur zusammen zurückgelegt.

Zum Beispiel "Modotti". Ein "Biopic" als graphic novel, in der der spanische Comic-Künstler, Festivalmacher, Illustrator und Essayist Ángel de la Calle das Leben der Fotografin und Revolutionärin Tina Modotti als Krimi strukturiert und die Biografie des halben 20. Jahrhunderts gleich mit. Am Anfang steht der Mord an Modottis Geliebten Julio Antonio Mella, dem Gründer der kommunistischen Partei Kubas, der im mexikanischen Exil 1927 vor ihren Augen erschossen wird. Im Lauf der 250 Seiten des Albums gerät sie in den Verdacht, an diesem Mord nicht unbeteiligt gewesen zu sein. Zumal sie selbst 1942 unter ebenfalls mysteriösen Umständen in Mexiko City stirbt. Zwischen den beiden Toden entwirft de la Calle das Porträt einer "Frau des 20. Jahrhunderts". Schauspielerin, Avantgarde-Künstlerin, mit allen celebrities von Diego Rivera bis James Joyce bekannt, sexuell autonom, Kosmopolitin, sozial engagiert, Parteisoldatin der KPdSU, später als Künstlerin verstummt, und aus Parteiraison vielleicht in den Mord an Mella verwickelt.

De la Calle hat keine Thesen. Er überlässt es den Bildern, plausible Zweifel zu säen, weil das 20. Jahrhundert keine Eindeutigkeiten zulässt. Am augenfälligsten ist dies vielleicht auf einem ganzseitigen Bild, das die Lubjanka in Moskau zeigt, die Folterhöhle des KGB. Darunter die Porträts der Scheusale Jagoda, Jeschow und Beria, darunter die schlanke Gestalt von Tina Modotti; über den aufgelösten Bildrand quillt dickes Blut, das man - obwohl es sich um ein s/w-Album handelt - dunkelrot wahrnimmt. Die Seite sagt: "Mord!" und Tina Modotti hängt irgendwie mit drin. Wie, das bleibt das Geheimnis der Geschichte und Ángel de la Calles, der nicht umsonst Modottis Leben konterkariert mit der Geschichte des weltgrößten Festivals für Kriminalliteratur, der Semana Negra in Gijón, deren Co-Gründer und Co-Veranstalter er zudem ist.

Überhaupt zeigt der Comic sich bei de la Calle in Bestform. Durch die Übernahme fremder Bildersprachen lässt sich viel abkürzen und dennoch genau beschreiben: Berlin in der Weimarer Republik, im Comic gezeichnet in Georg-Grosz-Bildern, Spanien im Bürgerkrieg, Guernica-Zitate reichen aus. Weltgeschichte als kriminalliterarische Erzählung, komplex, verrätselt und dadurch paradoxerweise sofort verständlich, strukturiert und als ästhetisches Ereignis wahrnehmbar.

Renaud/Dufaux: Jessica Blandy

Stichwort ästhetisch: Um den Kontrast zwischen Ästhetik und Gewalt geht es u.a. in den "Jessica Blandy"-Comics, gezeichnet von Renaud, nach Szenarien von Jean Dufaux (beides belgische Künstler, die deutlich der franko-belgischen Comic-Schule - "Spirou"; "Tintin" - zuzurechnen sind). Jessica Blandy ist Kriminalautorin und schlittert in diverse Mordfälle, diesseits und jenseits der mexikanischen Grenze, in einem in strahlend optimistischen Farben gehaltenen Amerika, das selbst dort elegant ist, wo sein dunkles Herz liegt. Obwohl die Originalalben aus den 1990er Jahren stammen, wirken sie taufrisch. Jessica Blandy ist als starke Frauenfigur zwischen Peter O'Donnells Pop-Heldin Modesty Blaise und Stieg Larssons knallharter Lisbeth Salander positioniert. Sie ist sexy, autonom, keine Superheorine, sondern anfällig, verletzlich, gar geschunden, aber keine kreischende damsell in distress. Sie ist dies alles durch die geschickte Farbdramaturgie, durch den präzisen Rhythmus, in dem die Bilder erzählen. Serialkiller, La Mafia, autokratische Südstaaten-Tycoons und mexikanische Menschenhändler werden ständig von mondänen Panoramen, eleganten Interieurs, avancierter Architektur und den Freuden des gehobenen Lifestyles, ein Markenzeichen der 1990s, kontrastiert.

Lax/Donald Westlake: Hot Rock

Ganz anders nutzt Christian Lacroix aus Lyon alias Lax (um nicht mit dem Hersteller von Dosensuppen verwechselt zu werde), die Möglichkeiten der Farbe. Als Szenario dient ihm ein Klassiker von dem bei uns eher unter seinem Pseudonym Richard Stark (dessen Parker-Romane sind Dauergäste auf der KrimiZEIT-Bestenliste) bekannten Donald E. Westlake: "Hot Rock" von 1971. Lax nähert sich der Geschichte vom Meisterdieb und Versager Dortmunder respektvoll in nostalgisch-zarten Aquarell-Tönen, mit denen er das New York der frühen 1970s prägnant verblassen lässt. Eine Komödie, mit wehmütigen Untertönen, als Bankraub und ausgefuchste Einbrüche den Gangster noch als Handwerker von Ehre verlangten, als Gauner gegen Gauner noch eine sinnvolle Konstellation war. Die Komik des Comics liegt in der stoischen Haltung, mit der Lax die Geschichte immer katastrophaler verlaufender Ereignisse erzählt. Es fängt mit einem Smaragdraub an, der schiefläuft. Um zu retten, was noch zu retten ist, wird die Sache immer gigantischer, bis am Ende Züge und Flugzeuge involviert sind. Das kann man pointiert erzählen, man kann es auch unkommentiert zeichnen, wie Lax, der schon immer ein Spezialist für Noir-Stoffe war und ist, das meisterhaft tut. Für intelligente Leser, die auf Mehrwert jenseits des reinen Plots aus sind, das schiere Vergnügen.

Jacques Tardi/Jean-Patrick Manchette: Im Visier

Kein bisschen Gangsterromantik gibt es bei Jean-Patrick Manchette (1942-1995), dem Meister des roman noir, den er als "Roman der sehr harten gesellschaftlichen Einmischung" definierte. So tickt auch "La position du tireur couché" - ein minimalistisches Meisterwerk über die Demontierung eines Auftragskillers durch realpolitische Umstände. Der Killer Terrier ist am Ende deklassiert, ein psychisches und physisches Wrack. Jacques Tardi, einer der bedeutendsten Comic-Künstler überhaupt, hat den Roman (deutscher Titel: "Im Visier") fast eins zu eins adaptiert und in eine eisige graphic novel verwandelt, ohne die Struktur und die Lakonie von Manchettes Erzählstil zu ändern. Der Stoff vom Jäger, der zum Gejagten wird, ist natürlich topisch, die moralische Nullzone von Geheimdiensten, Staatsraison und Organisiertem Verbrechen inzwischen noch plausibler als zu Manchettes Zeiten. Tardi lädt den Stoff atmosphärisch auf: Auf seinen Bildern glitzert der regennasse Asphalt, man hört die Reifen der Diane zischen, man fühlt Paris in der tiefen Nacht und am frühen Morgen. Kaum ein anderer Zeichner hat die Verbindung zwischen Kriminalliteratur und Stadt so konsequent ikonografiert wie Tardi. Seine Comics (neben den Manchette- auch seine Léo-Malet-Adaptionen) sind zu Miniaturen und Veduten gewordene Alltagsarchäologie, penible Erinnerungen und Rekonstruktionen der Milieus, in denen Verbrechen entsteht und sich abspielt. Streng zirkulär komponiert lassen sowohl Manchette als auch Tardi keinen Zweifel, dass Verbrechen kein abgeschlossenes Skandalon ist, sondern ein Kontinuum. Am Anfang stehen dieselben Worte wie am Ende. Das ist im Roman so, im Comic wird die Entwicklung in einem Bild auf den Punkt gebracht. Nur erklärt wird auf diesem Niveau gar nichts mehr.

E.T.A.Hoffmann/Alexandra Kardinar/Volker Schlecht: Das Fräulein von Scuderi

Etwas erklärend aufzuklären, wie es das Genre "Krimi" verlangt, das verweigert (wie Art Spiegelmans "Im Schatten keiner Türme") eine energische De-Konstruktion kriminalliterarischen Erzählens im Comic: E.T.A. Hoffmanns "Das Fräulein von Scuderi", als graphic novel eingerichtet von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht, die zusammen die Berliner Kreativgemeinschaft "Drushba Pankow" bilden. Der Text von Hoffmann ist beigegeben, im Paratext wird er als "Ur-Krimi der Weltliteratur" bezeichnet. Das ist Unfug und schafft lediglich die Fallhöhe für Kardinar/Schlechts Konzept, nicht filmisch zu erzählen. Die Bilder, die sich ihre Anleihen ziemlich überall und besonders von Monty Python holen, strotzen vor explizit anti-narrativen Elementen wie kulturhistorischen Erläuterungen und anderen Sachtexten. Die Grafiken zum Stoff aus dem Barock enthalten Anachronismen (Fax-Nummern, Spielzeugpanzer usw.), surreale Collagen, sie spielen mit Rebus, Icons und arrangieren Bildsequenzen, die ohne Kenntnis des Hoffmannschen Textes unverständlich wären. Die Story vom Juwelier Cardillac, dessen Kunst ihm absolut erscheint und der im Töten pour l'art keine Moral kennt, ist ein kriminalliterarischer Stoff. Bei Hoffmann dient er im romantischen Sinn der Diskussion um die Autonomie der Kunst. In der Comic-Verarbeitung wird er von jeder kriminalliterarischen Anmutung befreit und in die über die Bildwelten aufgerufenen Kontexte gestellt.

Der Trend, die Grenzen zwischen Kriminal- und anderer Literatur zu verwischen, hat also auch Einzug in den Comic gehalten. Das sorgt für ästhetisches Vergnügen ohne Schubladenzwang, Krimi-Comics wie die "Scuderi" kann man getrost zur Hochkultur rechnen. Die aber gibt das subkulturelle Moment, das Comic und Kriminalliteratur konstitutiverweise ihre spezifische Qualität verleiht, ohne Not preis. Da hilft nur kritische Kasuistik.

 

© Thomas Wörtche, 2011
(Die Zeit, KRIMI-Spezial,
03.11.2011
)

 

Ángel de la Calle: Modotti. Eine Frau des 20. Jahrhunderts. (Modotti. Una mujer de siglo XX, 2007) Deutsch von Timo Berger. Berlin: Rotbuch Verlag 2011. 271 Seiten. 16,95 Euro.

Renaud/Dufaux: Jessica Blandy Bd 1 - 3. (Jessica Blandy, 1987ff) Dt von Resel Rebiersch. München: Schreiber & Leser, 2010/2011 , Bd. 1 u. 2 je 158 Seiten, Euro 24,80, Bd. 3 200 Seiten, Euro 29,80.

Lax/Donald Westlake: Hot Rock. (Pierre qui roule, 2008). Deutsch von Resel Rebiersch. München: S&L noir 2011. 89 Seiten. 17,90 Euro.

Jacques Tardi/Jean-Patrick Manchette: Im Visier. (La position du tireur couché, 2010). Deutsch von Stephan Pörtner. Zürich: Edition Moderne, 2011, 106 Seiten, Euro 24.00.

E.T.A.Hoffmann/Alexandra Kardinar/Volker Schlecht: Das Fräulein von Scuderi. Grpahic Novel. Frankfurt am Main: Edition Büchergilde 2011, 157 Seiten, Euro 24,90.

 

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