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Gefährdete Idylle

Schlangen und andere beunruhigende Wesen bevölkern Stephen Dobyns neuen Roman und versetzen das Provinzstädtchen Brewster in Rhode Island in Angst und Schrecken. Der Teufel selbst, so scheint es, ist los im »Fest der Schlangen«, einer verwundenen, vielschichtigen Geschichte mit riesigem Figurenensemble.

Von Thomas Wörtche

 

Das Fest der Schlangen

In Neuengland ist der Teufel los. Zumindest in Brewster, Rhode Island, könnte die Bevölkerung das so sehen. Wo eben noch ein Baby im Bettchen lag, räkelt sich eine riesige Schlange. Kojoten von einer seltsamen Sorte, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, verbreiten Angst und Schrecken. Menschen werden auf vielfältige Art und Weise ermordet, gar skalpiert. Abgetrennte Köpfe schauen durch die Fenster in die Häuser mancher Leute. Katzen werden aufgehängt, und möglicherweise vergewaltigt Satan persönlich junge Frauen, die sich zu seltsamen Riten und Festen im Wald haben locken lassen. Richtig unheimlich wird die Angelegenheit, als man Abdrücke auf dem Waldboden in der Nähe eines Tatortes findet, die entweder von den Hinterbeinen einer sehr großen Ziege stammen oder aber...

Stephen Dobyns Roman »Das Fest der Schlangen« tanzt lange Zeit auf der Linie zwischen Natürlichem und Übernatürlichem, zwischen Thriller und Horror-Roman. Dabei kombiniert und variiert er zwei "Standard"-Konstellationen der amerikanischen Literatur: Brewster, Rhode Island ist Small-Town-America, die gefährdete Idylle - von Hawthorne über Faulkner bis Bradbury immer wieder thematisiert und als Neurosenherd beschrieben und interpretiert. Es ist aber auch das Neu-England von Stephen King, in das das Übernatürliche einbricht und dabei die Strukturen des Realen sichtbar macht. Dobyns Geschichte spielt lange virtuos mit diesen beiden Optionen, entscheidet sich am Ende dann doch für eine Lesart, die vermutlich die bösartigere ist, nicht ohne sie ganz am Ende noch einmal ironisch zu brechen.

Zum kleinen Juwel wird der Roman durch seine literarische Dimension: Nicht nur, dass Dobyns ein riesiges Figurenensemble so souverän bewegt wie selten ein Autor, er geht auch mit der Erzählperspektive entschieden virtuos um: Sein auktorialer Erzähler schwebt wie eine Kamera hoch am Kran über der Handlung, kommentiert, rhythmisiert, parodiert und persifliert und macht sich so lange lustig über die Handlung und die Figuren, bis wir merken, dass er sich eigentlich über uns Leser lustig macht. Weil er mit unseren Affekten spekuliert, weil er auf unseren Voyeurismus setzt, auf unser Angstlust auf das ganz und gar Grausige und metaphysisch Böse. Schön wär's, wenn der Teufel unterwegs wäre, aber die Realität ist notfalls viel ekliger.

»Das Fest der Schlangen« ist bei all dem auch ein sehr unterhaltsamer Thriller, der eine der edelsten Tugenden von Kriminalliteratur pflegt: Er löst neuralgische Problemlagen von Gesellschaften in Handlung und Action auf, klinkt sich damit in aktuelle Diskussionen ein, ohne selbst Diskurs zu werden. So wie in diesem Buch, in dem es nicht nur um den spirituellen "Wert" von Menschen, also um die "Seele" geht, für die der Teufel eher zuständig wäre als für den buchstäblich materiellen Wert eines Individuums.

Mehr können und wollen wir nicht verraten. Nur so viel noch: »Das Fest der Schlangen« ist daneben auch noch witzig, hat brillante Dialoge, schräge Figuren und ein paar sehr hübsche Schockmomente.

 

Stephen Dobyns: Das Fest der Schlangen. (The Burn Palace, 2013). Thriller. Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt. Deutsche Erstausgabe. München: Bertelsmann, 2013, Klappenbroschur, 542 S., 14.99 Euro (D), eBook 11.99 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2013
(Deutschlandradio Kultur,
19.06.2013
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Stephen Dobynss Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/2149062/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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