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Verwüstete Stadt- und Seelenlandschaften

Mit Claire DeWitt hat die junge amerikanische Autorin Sara Gran eine der seltsamsten Privatdetektiv-Figuren überhaupt erschaffen. DeWitt ist eine tätowierte, trinkfeste und durchaus gewaltbereite Mythomanin, die ihre Fälle auf unterschiedlichen Realitätsebenen angeht und Träumen und Halluzinationen ebenso vertraut wie dem nüchternen Verstand. In ihrem Debüt »Die Stadt der Toten« macht sich "die beste Ermittlerin der Welt" auf die Suche nach einem Staatsanwalt, der in den verheerenden Verwüstungen des Hurrikans Katrina und dem folgenden Krisen-Missmanagement in New Orleans spurlos verschwunden ist.

Von Thomas Wörtche

 

Die Stadt der Toten

2005 zerstörte Hurrikan Katrina große Teile von New Orleans. Auf die "Naturkatastrophe" folgte ein noch größeres Desaster: Das Krisenmissmanagement aus Inkompetenz, Rassismus, Gewalt, politischem Kalkül und Profitstreben. Ein Debakel, das eine der schönsten und kulturhistorisch wichtigsten Städte zu Grunde richtete und dessen Folgen heute noch nicht behoben sind.

2007 spielt »Die Stadt der Toten« von Sara Gran. Ein Trip durch verwüstete Stadt- und Seelenlandschaften mit Claire DeWitt, eine der rätselhaftesten und seltsamsten Privatdetektiv-Figuren überhaupt. Eine entfernte Verwandte der toughen Privatdetektivinnen à la V.I. Warshawksi, eine tätowierte, trinkfeste Mittdreißigerin mit unklarer sexueller Präferenz und dem Hang zur Gewalt ("Ich hatte auf vier Menschen geschossen und zwei getötet, keinen davon aus Notwehr".). Ihr persönlicher Mythos ist Jacques Silette, der fiktive Autor eines Traktats mit dem Titel »Détection«, das schräge Antworten auf alle Fragen gibt, die man sich lieber nicht stellt. Claire DeWitt hat für jede Lebenslage ein Silette-Zitat, sie wirft sich das I Ging, sie vertraut auf Visionen, Träume und Halluzinationen und Eingebungen. All das und handfeste Detektivarbeit hilft ihr, das Schicksal eines schwulen Staatsanwaltes zu klären, der in den Wirren von Katrina verschwunden ist.

Gran zerwürfelt und zerhackt die Sortierungen, mit denen man sich üblicherweise einer durchgeknallten Welt annehmen kann. Gut und Böse sind nicht in Grautöne verwischt, sondern bleiben als Pole stehen, notfalls in einer Person. Der verschwundene Staatsanwalt war ein Heiliger, ein Menschenretter - und gleichzeitig ein übler Mensch. Das geht bei Gran zusammen, ohne dass seine guten Seiten ein bisschen gut, seine schlechten nur ein bisschen schlecht gewesen wären. Der "Haupttäter" des Buches ist ein Mörder. Seine Tat war ganz und gar "richtig". Keine Grauwerte. Die jungen schwarzen Männer, die den Roman bevölkern, sind gewalttätig, mörderisch, skrupellos. Sie sind auch ganz evident Produkte einer bösartigen Politik und einer noch bösartigeren politischen Ökonomie.

Die Kühnheit und Souveränität des Konzepts wird erzählerisch eingelöst. Gran wechselt nicht nur blitzschnell die Zeitebenen und Realitätsmodi, sie weiß extrem unterhaltsam und pointensicher die komplexe Story zu inszenieren. Der Roman ist das, was man gerne "dicht" nennt - nichts ist überflüssig, alles ist eng miteinander verwoben.

Dazu kommt ein empathischer, klischeefreier Blick auf die geschundene Stadt. Präzise seziert Gran den schon immer für New Orleans typischen destruktiven Wahnsinn: Die korrupte Polizei und Staatsanwaltschaft, die reine Willkür, mit der man nicht einmal Morde aufklären möchte, vor allem nicht, wenn das Opfer schwarz ist. Die radikal-kritische, angriffslustige Grundhaltung des Buches gegenüber des psychopolitischen Zustands einer Nation und damit einer Gesellschaftsordnung lässt eine klare Position der Autorin erkennen, die auch ästhetisch gedeckt ist.

 

Sara Gran: Die Stadt der Toten. (Claire DeWitt and the City of the Dead, 2011). Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné. Deutsche Erstausgabe. München: Droemer Knaur, 2012, Klappenbroschur, 361 S., 14.99 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2012
(Deutschlandradio Kultur,
27.06.2012
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Sara Grans Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1795169/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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