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Durch Karachi pflügen

Die pakistanische Mega-City Karachi bildet mit ihren mehr als 20 Millionen Einwohnern mit unterschiedlichsten soziokulturellen und religiösen Wurzeln ein extrem unübersichtliches Terrain und ist idealer Nährboden für Intrigen, Machtkämpfe und Gewalt. Eine grandiose Kulisse für Kriminalliteratur, wie der Thriller »Der Gefangene« von Omar Shahid Hamid zeigt.

Von Thomas Wörtche

 

Der Gefangene

Ein politischer Kriminalroman aus Pakistan ist zumindest erstaunlich, denn eine entsprechende Tradition für diese Art von Erzählung gibt es dort kaum. Was, näher betrachtet, dann wiederum erstaunlich ist. Omar Shahid Hamids »Der Gefangene« nutzt sehr clever alle Gegebenheiten aus, die Karachi als Schauplatz des Geschehens zu bieten hat oder, anders formuliert, die einen Kriminalroman nachgerade erzwingen.

Karachi ist eine Megacity mit 24 Millionen (plus) Einwohnern, mit einer Menge unterschiedlichster Sprachen wie Urdu, Panjabi, Paschto, Sindhi und mehr, sowie vielen Ethnien und Religionen. Politisch ist Pakistan eingeklemmt zwischen Afghanistan und Indien. In Karachi tummeln sich gewaltbereite Organisationen: die Taliban, die Militärs, die stramm autoritäre Kaderpartei MQM, die organisiertes Verbrechen als staatstragend betreibt. Zwei pakistanische Geheimdienste bekämpfen sich gegenseitig, diverse Polizeistrukturen rivalisieren bis aufs Messer und kochen ihre eigenen Süppchen. Die Korruption ist endemisch, für schlecht bezahlte Staatsdiener allerdings auch überlebenswichtig. CIA, FBI und andere Geheimdienste operieren ohne Rücksicht auf Verluste auf diesem verminten Gelände. Terroranschläge sind an der Tagesordnung, selbst die abgeschirmten und bewachten Ghettos der Superreichen sind keine gewaltfreien Zonen.

In dieses extrem unübersichtliche Terrain, das den idealen Nährboden für Intrigen, Machtkämpfe und nackte Gewalt bildet, platziert Hamid seine Kriminalhandlung, die dazu geeignet ist, Konturen des Chaos deutlicher werden zu lassen: Hamid geht von einem authentischen Fall aus dem Jahr 2002 aus: Ein amerikanischer Journalist (im wirklichen Leben Daniel Pearl vom "Wall Street Journal") ist entführt worden. Er soll zu einem bestimmten Datum hingerichtet werden, was die Beziehungen zu dem ungeliebten, offiziellen Verbündeten Pakistans, der USA, nachhaltig stören soll. Zumindest im Sinne einer bestimmten Fraktion des Staates. Deswegen möchte eine andere politische Strömung den Journalisten finden. Dafür aktiviert man den Ex-Elite-Cop Constantine D'Souza (ein Christ mit Wurzeln in Goa), der zunächst einmal Akbar Khan, den kompetentesten und härtesten Ermittler des Landes, aus dem Gefängnis holen muss, wo der, ein strenggläubiger Moslem, gelandet ist, weil seine kompromisslose Art bestimmten Machthabern gegen den Strich ging.

Mit Sarkasmus und einem genauen Blick für die komischen Aspekte des Chaos und der desaströsen Umstände erzählt Hamid, wie die beiden quer durch die verschiedenen Schichten Karachis pflügen - mit fiesen Tricks, mit rustikalen Methoden und mit feiner Diplomatie. Dabei sind sie nicht die strahlenden Helden, nicht die einzig Guten in der Welt der Bösen, sondern sie weisen genau die moralischen Grauwerte auf, die gute Polit-Thriller immer auszeichnen. Karachi und seine Verhältnisse sind nicht Hintergrund oder Kulisse, sondern konstitutive Elemente für die spannende Handlung, die uns eine Ahnung vermittelt, was eine "vielfältige Gesellschaft" wirklich bedeuten kann.

 

Omar Shahid Hamid: Der Gefangene. (The Prisoner, 2013). Roman. Aus dem Englischen von Rebecca Hirsch. Deutsche Erstausgabe. Heidelberg: Draupadi Verlag, 2016, Broschur, 315 S., 19.80 Euro (D), eBook 16.99 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2016
(Deutschlandradio Kultur,
06.12.2016
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Omar Shahid Hamids Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/omar-shahid-hamid-der-gefangene-auf-leben-und-tod-in-karachi.950.de.html?dram:article_id=373181 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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