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Mechanische Bienen

Nick Harkaway, ein Sohn John le Carrés, hat einen 600 seitigen, fabulierfreudigen Roman vorgelegt, in dem ein diabolischer Schurke die Welt und darüber hinaus gleich das ganze Universum zu vernichten droht - mit der radikalen Wahtheit. Ein gelehriges Lesevergnügen mit multiplen Kontexten und Subtexten.

Von Thomas Wörtche

 

Der Goldene Schwarm

Es gibt abgegriffene Rezensenten-Formeln, die zu bemühen man sich eigentlich schämt: "Fabulierfreude" ist ein solches Wort. Und dann hat man einen 600 Seiten Roman vor sich liegen und findet: Ja, dieses Buch ist sogar extrem "fabulierfreudig".

»Der Goldene Schwarm« erzählt von nichts Geringerem als von der Rettung der Welt, ach wo, von der Rettung des ganzen Universums. Denn das steht auf dem Spiel, wenn es dem diabolischen Shem Shem Tsien gelingt, mittels eines Schwarms mechanischer, goldener Bienen das Universum mit der radikalen Wahrheit an und für sich zu konfrontieren. Das hält kein Mensch, geschweige denn das Universum aus, und so muss eine Koalition der Guten sich des anscheinend durch Zeit und Raum flitzenden bösen Prinzips erwehren. Natürlich ist Shem Shem Tsien ein Menschheitsverbesserer, auch wenn er dafür Leichen anhäufen muss, und sein Zweikampf mit der britischen Geheimagentin Edie Banister zieht sich durch das gesamte 20. Jahrhundert hin.

Dazwischen begegnen uns so ziemliche alle zentralen Themen und Phänomene der Zeit: John Ruskins Kunsttheorie des "Echten", sowohl auf Seiten der Bösen als auch der Guten, Walter Benjamins berühmter "Reproduktions"-Aufsatz, wir glauben, Richard Sennetts Lob des Handwerks zu lesen, begegnen den staatstheoretischen Bienen des Aufklärers Mandeville und denen des Symbolisten Maeterlinck. Dazu Impressionen aus einer Welt, die von Auguste Villiers-de-L'Isle-Adams für die Surrealisten so wichtigen Roman »Die Eva der Zukunft« geprägt ist. Manche Passagen lesen sich wie "Steampunk", also wie die seltsame Mixtur aus Viktorianismus und technisch anachronistischen Gadgets, die inzwischen ein ganz eigenes subkulturelles Genre bildet. Nicht zu vergessen die martial arts, die Kampfkunst, mit denen sich die beiden Antagonisten bekriegen. Das sind allerdings bei Weitem noch nicht alle Subtexte, Kontexte und verarbeitete Text- und Kunstmilieus, man darf sich bei der Lektüre von Harkaways Buch über seine eigene Bildung freuen, wenn man wieder einen raffinierten Bezug entdeckt.

Nick Harkaway, Jahrgang 1972, der Autor dieses hochintelligenten Bilderbogens, ist ein Sohn von John Le Carré und spielt nicht nur mit der antagonistischen Struktur ("Weltverbesserer" vs Pragmatiker) des klassischen Spionageromans aus Zeiten des Kalten Kriegs, sondern reflektiert, so dürfen wir vermuten, die Konflikte, die le Carré in seinen Romanen öfters mit seinem Hochstapler-Vater ausgetragen hatte, in einer spiegelnden Situation: Denn der eigentliche, stille Held des Romans ist Joe Spork, letzter Spross einer ehrbaren Uhrmacher-Familie, dessen Vater Matthew "Tommy Gun" Spork sein Handwerk für ein aufregenderes Leben als Gangster eingesetzt hatte. Und ausgerechnet jetzt, gegen die Bedrohung der Welt hilft unserem Helden ausgerechnet nur noch eines: anständige britische Kriminalität.

Das ist clever, witzig und ganz und gar brillant gemacht. »Der Goldene Schwarm« platzt fast vor gutlauniger Fabulierlust.

 

Nick Harkaway: Der Goldene Schwarm. (Angelmaker, 2012). Roman. Aus dem Englischen von André Mumot. Deutsche Erstausgabe. Klappenbroschur, 606 S., 19.99 Euro (D), eBook 15.99 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Deutschlandradio Kultur,
16.05.2014
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Nick Harkaways Buch finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/roman-brillante-rettung-des-universums.950.de.html?dram:article_id=285533 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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