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Jazz & Crime

Von Thomas Wörtche

 

Jazz & Crime

Jazz & Kriminalliteratur gehören zusammen. Das steht nun mal fest.
Jazz & Kriminalliteratur, das sind die letzten Romantizismen, Nostalgie in black and tan.
Irgendwie gehören sie zusammen, das ist sicher. Aber warum genau, das weiß man nicht. Naja, metaphorisch schon: Die Literatur der Subversion des Offiziellen, die Musik der bedingungslosen Freiheit. Da kann man schon sinnstiften, galore. Der Krimi als die blue note der Literatur. Aber wie sollte die syntaktische flatted fifth aussehen? Der Anakoluth? Reichlich bloß analog das Ganze.

Und natürlich die Historie: Jazz, die Musik aus den Puffs und Kaschemmen, die ihren Weg in die Konzerthallen der Welt gefunden hat. Kriminalliteratur, vom pulp auf die literary pages. Und beide am Ende des Wegs gereinigt, clean, gebadet und geschrubbt. Für die feingeistigen Minderheiten. Und ausgekernt, ausgehöhlt, smooth und flutschig fürs ganz breite Publikum. Könnte man aber für den Tango auch behaupten und den Blues und den Fado und die salsa dura. Aufbruch, Veredelung, Spaltung in künstlerische sinnvoll und kommerziell wünschenswert, Starrkrampf im Hochglanz-Design. Aber doch noch nicht tot.

Auch soziologisch kommen wir nur ein kleines Stück weiter: Natürlich hat la mafia im Kultursponsoring heftige Spuren hinterlassen. Capone & seine Jungs haben ihre Lieblingsmusik finanziert und gefeatured. Aber vermutlich nicht aus der Liebe zum Jazz, sondern weil diese Art von Jazz zu diesem Zeitpunkt einfach in war. So wie uns Meyer-Lansky, Bugsy Siegel und ihre Leute ihren Soundtrack finanziert, popularisiert und distribuiert haben: Die Las Vegas-Shows des ratpacks waren immerhin noch angejazzt. Aber mit dem Jazz der Zeit, den frühen Coltranes, Colemans, Dolphys dieser Jahre hat nun diese Art von Musik auch nichts zu tun. Nicht wirklich.

Biographisch könnte man es auch probieren: Billie Holiday kriminalisiert und kriminell verstrickt bis zum Anschlag, Wardell Gray et al ermordet, mysteriös ums Leben gekommen Chet Baker und Albert Ayler - aber das ist real life, das liefert höchstens Stoff für Krimis, wie wir bei Bill Moody sehen. Allerdings treffen diese Schicksale auch andere Berufsgruppen, statistisch gesehen sowieso.

Und dann ist da noch das Atmosphärische. Robert Altman hat es mit Kansas City kapiert: Gedämpfte Trompeten, growlende Posaunen, geile Klarinetten und röhrende Tenorsaxophone. Dazu Gangster, Speakeasys, Qualm, abgestandene Drinks, viel zu schöne Frauen und einsame, harte Kerle. Aber nicht Play it again, Sam - das ist unter Jazzgesichtspunkten eher James Last als Count Basie. Blues in the night eben - aber der hörte sich schon bei Jimmie Lunceford schon verdammt nach Smoking an - und Miss Otis Regrets ist fröhlicher Zynismus pur, eher Dorothy Parker als down south.

Zu den dunklen oder neongrellen Strassenschluchten der Metropolen singt das Altsaxophon von Johnny Hodges immer noch am Passendsten, wenn der Blick an den Hochhaustürmen nach oben fährt.

Miles Davis flüsternde und hallende Trompete ist der Sound des nassen Asphalts in Ascenseur pour l'échafaud.
Don Ellis' abstrakte Klangcluster klingen exakt wie die Botschaft von French Connection, dass die Wirklichkeit kein schöner Ort sei.
Das berühmte Trio Ellington-Mingus-Roach hat mit Money Jungle sozusagen einen Thriller ohne Worte musikalisch auf den Punkt gebracht, und Ellington brutalisiert seinen sonst eleganten Swing in Anatomy of a Murder ganz folgerichtig. Das ist sinnlich evident, aber kaum zu belegen. Nostalgisch sowieso und damit auch ein wenig zitat-ironisch. Altman wusste es, Coppola wußte es bei Cotton Club.

Gußeisern belegen die Thesen vom Jazz als Verbrechensmusik sowieso nur die schweren Denker. Theodor W. Adorno anklagend und verurteilend, Joachim E. Berendt rührend-empört zurückweisend. Und natürlich tat Peter Thomas mit seinem Pseudojazz für die Edgar-Wallace-Schlocker alles, um genau dieses Feeling aufkommen zu lassen: Jazz ist arg verrucht. So wie die Art Verbrechen arg verrucht ist, die uns in diesen Schinken aufgetischt wird. Also nur albern. Ein Paradies für Distinkstionsgewinnler.

Und heute: Was könnten spröde Expeditionen ins Reich der Klänge mit Kriminalliteratur zu tun haben? Evan Parker, Steve Lacy, Anthony Braxton mit Büchern von Derek Raymond, William Marshall oder Jack O'Connell? Zumindest nichts, was irgendjemand wahrnimmt, der nicht ganz und gar abstrakt denkt. Da gibt es keine Evidenzen mehr. Zurück zu Nostalgie und Romantizismus.
Und trotzdem gehören sie zusammen: Der Jazz und die Kriminalliteratur. Das steht nun mal fest.

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Februar 2007,
erschienen in:
Christina Bacher, ed.:
Kalender für Kriminalliteratur 2008.
Jazz in Crime
)

 

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