legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Viel los in Kentucky!

Elmore Leonard bewegt sich auch in seinem neuen Buch »Raylan« in den Bereichen, wo der Fokus der hohen Literatur meist nicht hinreicht. Diesmal ist sein Schauplatz eine heruntergekommene Bergbauregion in Kentucky, in der die Menschen zum ökonomischen Überleben kreative Formen der Einkommenssicherung beherrschen müssen.

Von Thomas Wörtche

 

Raylan

Raylan, das ist US-Marshal Raylan Given, den Fernsehschauer vielleicht aus »Justified« kennen, einer Serie, die ihren Ursprung in einer Kurzgeschichte von Elmore Leonard hat, in der der smarte Marshal zuerst auftaucht. Jetzt gibt es Raylan Given, der im sehr unglamourösen und von der Krise schwer gebeutelten Bergbaugebiet von Kentucky seines Amtes waltet, als Romanfigur. Obwohl - wie alles bei Großmeister Leonard - ist auch die Bezeichnung "Roman" mit der gebotenen Skepsis zu betrachten.

»Raylan« besteht aus drei "Episoden", die durch den Marshal und ein paar Nebenfiguren und über Zeit und Raum miteinander lose verbunden sind. Kein Masterplot, kein abgeschlossener Erzählbogen am Ende, nichts, was einem konventionellen Gattungsbegriff entsprechen würde. Das hat bei Leonard durchaus Methode und Sinn. Das Epische wäre machtlos gegenüber dem Zufälligen, Bizarren, Gleichzeitigen und Chaotischen, um das es in allen drei Erzählsträngen neben anderen Dingen auch geht: Um riesige Freiland-Marihuana-Plantagen, um eine Methode, lebendigen Leuten Organe zu stehlen und sie notfalls an die Opfer zurückzuverkaufen, um die Machenschaften eines Bergbaukonzernes, auch unter Einsatz blanker Gewalt riesige Latifundien zusammenzukaufen, um eine Girlie-Gang von Bankräuberinnen, um den privaten Rachefeldzug eines Gangsters gegen den schießfreudigen Raylan Givens, um organisiertes Glücksspiel und um eine blutjunge, geniale Zockerin, mit der Givens fröhlich in der Kiste landet. Und es geht, wie fast immer, auch um Frauen, die in keine Klischeekiste passen.

Dabei wird, wie oft bei Leonard, beiläufig getötet und über Ungeheuerlichem, wie zum Beispiel die Nierenentnahme bei lebendigem Leib, genau so beiläufig geplaudert wie über Wetten und andere normale Dinge des Alltags. Ob Verbrecher, Ordnungshüter, Konzernmanager(in), Leibwächter oder Bergmann - man kennt sich, man sieht sich, man plaudert, man tötet sich. Daraus entstehen die berühmten Leonard'schen Dialoge, die ihn (wie seinen Kollegen George V. Higgins) zum großen Inspirator von Quentin Tarrantinos dialoglastigen Action-Filmen gemacht haben.

Aber das ist nur ein Aspekt. Wie nur wenige andere Autoren findet Elmore Leonard in der gewalttätigen, waffenstrotzenden, "hinterwäldlerischen" amerikanischen Provinz-Gesellschaft außerhalb der großen intellektuellen Metropolen New York und Los Angeles, seine Stoffe. Er fügt sie dann unspektakulär, stets komisch, lakonisch, entspannt und unhysterisch zu Gegenwartspartikel zusammen, die sich den großen Sinnfragen und Moraldiskussionen zugunsten einer neugierigen, hellwachen und brillanten Bestandsaufnahme des Hier und Jetzt verweigern. Sein gewaltiges Gesamtwerk zusammengedacht steht den Mega-Projekten von Balzac oder Zola keinesfalls nach. Es ist nur pointierter und pointilistischer.

Dass Elmore Leonard 1925 geboren ist, also auf die 90 Jahre zugeht, merkt man dem Buch in keiner Zeile an.

 

Elmore Leonard: Raylan. (Raylan, 2012). Roman. Aus dem Amerikanischen von Kirsten Riesselmann. Berlin: Suhrkamp, 2013 (Suhrkamp nova), gebunden mit Schutzumschlag, 307 S., 19.95 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2013
(Deutschlandradio Kultur,
12.03.2013
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Elmore Leonards Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/2037117/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen