legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Lyrik des Mordens, Grammatik des Todes

 

Man kann sich ihnen nicht entziehen - sind Krimis die neue Pest?

Von Thomas Wörtche

 

Krimis sind die Pest. Gefühlt begegnen sie einem überall. "Krimi" im TV, im Kino, im Radio. Stapelweise Krimis in den Buchhandlungen und anlässlich des Fake-Schweden-Krimis »Der Sturm« auch noch in den Feuilletons.

Ist Deutschland Krimi-ridden? Ausgerechnet Deutschland, in dem das Genre jahrzehntelang heimlich unter der Bettdecke gelesen und höchstens mit der sekundärliterarischen Kohlenzange angefasst worden ist? Obwohl man in den letzten zehn Jahren immer dachte, irgendwann müsse diese Krimi-Blase platzen, geht ihre markt- und medienbeherrschende Dominanz immer weiter. Ob nun jedes dritte oder doch schon jedes zweite verkaufte belletristische Buch ein Krimi ist, ist egal. Man würde ja gerne steile Thesen wagen, nach denen die Deutschen endlich Mord & Verbrechen als ihr Lieblingsthema outen oder ihre Lektüren offen nicht mehr an hochliterarischen Kanonices ausrichten. Oder gar erkannt haben, dass Mord & Verbrechen derart zentrale Themen unserer Zeit sind, an deren künstlerischer Be- und Verarbeitung man, soll Kunst einen Sitz im Leben haben, nicht so ohne Weiteres vorbeikommt.

Aber ach, Krimi passiert global, an spezifischer Deutsch-ness ist da nicht viel zu holen; nicht jede Lektüreentscheidung ist reflektiert, Mord & Verbrechen sind nicht nur zentrale Themen, sondern oft nichts als schnöde ökonomische Kalküle auf den Medienmärkten, the brand of the decade, eine Marke: Crime sells, crime pays - darüber allerdings kann man durchaus nachdenken...

Wäre "Krimi" also eine Art Supermega-Narrativ, das "Universal-Genre" für alle Medien, für alle Niveaus und für alle Themen, ästhetisch, erkenntnistheoretisch und auch noch entertaining? Ästhetotainment? Können wir mit einigen Chancen auf breitere Öffentlichkeit über Mehrfachtäter, die Amis im Irak, den Überwachungsstaat, die Eurokrise, den Kampf um die Ressourcen, über Kinderschänder, Neurosen, den Krieg der Geschlechter oder das Bedürfnis nach Heimat nur noch reden, wenn diese "Themen" in Mordsgeschichten verpackt sind?

Oder wenn wir über die ästhetischen Implikationen für die Kunst unserer Tage nachdenken: alles nur noch eine Ästhetik des Tötens, Poetik des Schlachtens, Prosa, Lyrik und Dramatik des Mordens, Grammatik des Todes und Syntax der Blutströme?

Wie beklemmend reduktionistisch also, wenn es so ein Super-Narrativ tatsächlich gäbe. An der Stelle zumindest Entwarnung. "Krimi" ist bloß eine Art Schirm, unter dem unterschiedliche Narrative gedeihen, die notfalls gar keine substantiellen Gemeinsamkeiten haben.

Extrem abstrahiert, gibt es vielleicht drei Haupt-Narrative.
Narrativ eins: Ein Mord (Offizialdelikt und Schicksal) stört eine Ordnung, die Ordnungsmacht oder einer ihrer Beauftragten klärt auf, und die Ordnung ist zumindest kurzfristig wieder hergestellt. Alle sind zufrieden und beruhigt, der Mord hatte einen Sinn, vor allem, wenn man miträtseln darf, wer's denn nun war.

Narrativ zwei: Verbrechen werden vom Bösen begangen. "Das Böse" ist meistens Serialkiller, tötet aus Daffke, ist clever, diabolisch und hightech-mäßig prima aufgestellt. Dieses "Böse" hat mit irgendwelchen Realitäten nur sehr vermittelt zu tun, bedient unsere Angstlust. Märchen unserer Zeit, Aggressionsabfuhr, Circus Maximus mit Kunstblut, Stellvertreterterror im Wohnzimmer. Oder so.

Narrativ drei: Mord und Verbrechen gehören zum Grundbestand menschlichen Verhaltens, ihre ästhetische Reflexion war lange auf bestimmte ritualisierte Formen festgeschrieben - Tragödie, Ballade, klassischer Kriminalroman mit Sinnangebot (siehe Narrativ eins), hat sich aber im Laufe des 20. Jahrhunderts peu à peu von "Form" emanzipiert (übrigens war und ist "Krimi" keine literarische Form, sondern höchstens ein Set von Erzählkonventionen) und trägt dem Umstand Rechnung, dass Mord und Verbrechen ubiquitär, konstitutiv und keinesfalls randständig sind für Gesellschaften.

Letzteres ist das ästhetisch-literarisch-erkenntnistheoretisch interessante Narrativ, weil es die Durchdringung aller zwischenmenschlichen Sortierungen von "privat" bis "öffentlich", von "familiär" bis "global" mit sehr unschönen Aspekten immer wieder betont. Zumal es dabei an die kommunikativen Potentiale "populärer Kultur" anschließt, um nicht in die "elitäre" Falle zu geraten.

Die Dialektik "populärer Kultur" ist im Falle Kriminalliteratur besonders paradox und ironisch: Während das dritte Narrativ dafür sorgt, dass sich Kriminalliteratur besonders in Lateinamerika (von Borges bis Padura, Fonseca oder Taibo), Afrika (von Helon Habila bis Deon Meyer, Malla Nunn oder Andrew Brown), Australien (Peter Temple) und zunehmend auch Asien eher organisch in die jeweiligen Literaturen der Regionen eingefügt und Teil der öffentlichen Debatten ist, sind bei uns die Narrative eins und zwei die weitaus erfolgreicheren, gemessen an Verkaufszahlen und Marktkompatibilität.

Letztendlich zieht sich ein E/U-Schisma durch die Leserschaft (auch wenn die andererseits die Vielfalt von Kriminalliteratur zu schätzen weiß, die Schnittmengen sind unklar). Wer einen Roman von Don Winslow liest, wird mit einem mediokren Regio-Krimi kaum etwas anfangen können. Das allerdings ist dann kein Alleinstellungsmerkmal für Krimi, an der Stelle ist er ein stinknormaler Mitspieler im literarischen Feld.

Vermutlich ist der ganze Krimi-Hype ein geschäftlich lukratives, ästhetisch prekäres Missverständnis: Krimis gelten als unterhaltsame, niemanden überfordernde, allgemein verständliche Dinger, die Voyeurismus (Blut und Modder), Wunschdenken (alles wird gut), Paranoia (die Welt ist schlecht und die da oben erst recht), Ambition (das kann ich auch, cf. »Der Sturm«), also edle Regungen und niedere Instinkte bedienen. Als "Marke" sind sie all das. Wenn sie "Ideen" produzieren und transportieren, sind sie alle das nicht, sondern faszinierende Literatur. Manchmal sind sie beides. Deswegen hat die Auseinandersetzung mit ihnen oft schizophrene Züge. Wir mögen das.

 

© Thomas Wörtche, 2012
(taz, 29. September 2012)

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen