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Weltalltag im Dorf

1978 im Original erschienen, jetzt erst bei uns: »Bogmail« des irischen Autors Patrick McGinley erzählt distanziert und gleichzeitig warmherzig von einem irischen Dorf und seinen Bewohnern, die sich auch nicht von Mord und Erpressung aus ihrer heiteren Gelassenheit bringen lassen.

Von Thomas Wörtche

 

Bogmail

Von 1978 bis heute dauerte es, bis wir uns endlich an einem Juwel der irischen Kriminalliteratur erfreuen dürfen: »Bogmail« von Patrick McGinley (Steidl). Inzwischen ein preisgekrönter irischer Klassiker, mit dem die Iren anfänglich ihre Probleme hatten. Denn McGinley ist nichts heilig. Der clevere deutsche Untertitel »Roman mit Mörder« bewahrt vor falschen Erwartungen, es mit einem der üblichen Krimis zu tun zu haben.

Der Mörder ist der Wirt eines Pubs in einem irischen Dörfchen, der heiter und wohlgemut beschließt, das, was er für soziale Hygiene hält, durchzusetzen. Also haut er seinem Barkeeper, dem er wollüstige Ambitionen auf seine Tochter unterstellt, den 5ten Band seiner Encyclopædia Britannica (Jahrgang 1911) über den Schädel und versenkt den Strolch nächtens im Moor. Aber es muss wohl einen Zeugen gegeben haben, denn "Bogmail" taucht auf - ein aparter Neologismus aus "blackmail (=Erpressung)" und "Moor, Schlamm". Das Dörfchen ist vom Verschwinden des Barkeepers wenig beeindruckt. Der ermittelnde Dorfpolizist (wenn er wirklich mal ermittelt) ist nicht die hellste aller Leuchten und als auch noch ein abgetrennter Fuß ins Spiel kommt, läuft er höchstens zu rhetorisch-kriminaltheoretischer Hochform.

So geht das Leben im Dorf und im Pub seinen Gang. Es wird gesoffen (der Dorfarzt mahnt, mehr als eine Flasche Jameson pro Tag sei möglicherweise nicht so gut), gestritten, gepöbelt, gefeilscht, schwer über das Gute und das Böse philosophiert, das Sexualleben der Dorfbewohner durchgehechelt, sich aufgeregt über den Lauf der Welt, und über wirklich wichtige Dinge räsoniert: Über die Nützlichkeit von Regenwürmern, natürlich über Gedichte und Religion - wir sind schließlich in Irland- , über die Wirkung von Rotalgen auf die männliche Potenz oder über das Trommeln der Schnepfenmännchen und moderne Kirchenarchitektur. Das alles ist von morbid-komischem Hintersinn, fein ziseliert erzählt (und von Hans-Christian Oeser genauso übersetzt), der Erzählton ist sarkastisch, immer ein bisschen ironisch, distanziert sowieso. Aber wortgewaltig, so wie die meisten der Hauptfiguren, allen voran der Geistliche, der sein modernistisches, ziemlich abscheuliches Kirchenneubauprojekt gegen den Widerstand der Leute durchpowert, der Lokaljournalist, der mit Vergnügen das betreibt, was man heute "Fakenews" nennt, ein englischer Bergbauingenieur, mehrere nur auf den ersten Blick schüchterne, züchtige Frauen. Kurz, ein kleines Universum der unterschiedlichsten, originellen Typen, die sich allerdings durchaus einander nicht immer grün sind, was noch zu weiteren betrüblichen Handlungen führt. McGinley porträtiert sie alle meisterhaft, eisig liebevoll, wenn das Paradox erlaubt ist. Wer dabei an James Joyces »Dubliners« denken muss, liegt sicher nicht falsch.

Bei McGinley wird all das hochgiftig, denn schließlich geht es immer und ganz dezidiert um Mord. Weltalltag in einem kleinen Dorf, auf der Kippe von Tradition zur Moderne, und deswegen auch skrupellos gewalttätig. Ein mörderisch-charmantes Buch.

 

Patrick McGinley: Bogmail. (Bogmail, 1978). Roman mit einem Mörder. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Deutsche Erstausgabe. Göttingen: Steidl, 2016, Leinen, 336 S., 24.00 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2016
(Deutschlandradio Kultur,
28.12.2016
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Patrick McGinleys Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/krimi-entdeckung-aus-irland-james-joyces-dubliners-lassen.1270.de.html?dram:article_id=374978 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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