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Die Methode Dupin

Edgar Allan Poe, dessen 200. Geburtstag dieser Tage gefeiert wird, gilt mit seinen Geschichten um C. Auguste Dupin als der Ur-Ahn der Kriminalliteratur. Bereits Poes erste Dupin-Geschichte "Die Morde in der Rue Morgue" (1841) enhält alle Elemente, die für die klassische Detektivgeschichte bis heute gültig sind, auch wenn die Deduktion des Meister-Detektivs zum leicht überspannten Ergebnis führt, der Täter der Rue Morgue müsse eine Bestie, der Mörder ein Affe sein. Beginnt die Detektivgeschichte schon mit ihrer Parodie?

Von Thomas Wörtche

 

Eine Weltkarriere in drei Geschichten, die Weltkarriere der Figur C. Auguste Dupin. Er ist ein im Maßstab seiner Zeit typischer Dandy: melancholisch, vom ennui angeödet, chic mit grünen Brillengläsern, ein Sonderling, der sich müßig mit abseitigen "Forschungen" beschäftigt und aus reinem "Vergnügen" Kriminalfälle aufklärt. Nicht nur deswegen war sein Erfinder Edgar Allan Poe der Liebling des ästhetischen Gurus Charles Baudelaire, der ihn zu einer großen Nummer im literarischen Olymp gemacht hat.

In der ersten, der berühmtesten Dupin-Geschichte, "Die Morde in der Rue Morgue" (1841) stecken alle Elemente, die seine deduktive "Methode" berühmt gemacht haben und die für die klassische Detektivgeschichte bis heute gültig sind. Eine Schauerballade von einem Doppelmord, mit dem die leicht blöde Polizei nichts anfangen kann. Dupin schon.

Nach Besichtigung der örtlichen Gegebenheiten, nach Lektüre der Zeugenbefragungen und nach längerem Nachdenken nimmt Dupin die Fakten so auseinander, dass sie am Ende nur auf eine Art wieder zusammenpassen können. Einem Opfer wurden büschelweise Haare ausgerissen und die Kehle so durchgeschnitten, dass der Kopf gleich abfiel; das andere wurde so in einen Kamin gerammt, dass man es kaum herausziehen konnte. Als Flucht- und Eindringensroute war nur ein bestimmtes Fenster möglich, das höchstens ein Artist hätte erreichen können; viel Geld lag am Tatort, es wurde nicht entwendet, und Zeugen haben eine Stimme gehört, die unverständliche Lautfolgen von sich gab.

Dies alles zusammengenommen, daran lässt Dupin keinen Zweifel, ist zwar ein wenig "outriert", aber dennoch logisch: Der Täter muss eine Bestie, der Mörder ein Affe gewesen sein.

Man könnte sagen, dass so der Beginn der Detektivgeschichte schon deren Parodie war, und macht sich damit vermutlich bei Freunden des Mit-Rate-Krimis unbeliebt. Weil doch Poes tales of ratiofication eine Unzahl kurzweiliger Lehnstuhl-Detektive nach sich gezogen haben, allesamt Ikonen der populären Kultur: Conan Doyles Sherlock Holmes, Agatha Christies Hercule Poirot, Rex Stouts Nero Wolfe bis hin zu Gisbert Haefs' Balthasar Matzbach.

Fest ins Repertoire von Figur und Form der Detektivgeschichte hat Poe den Amateurstatus des Helden geschrieben, der stets den Profis der Polizei überlegen ist, und das ganze "Setting", das sich um Realismus nicht schert, sondern das Spielfeld nach Gutdünken aufbaut. Poe selbst war sich darüber klar: "In den Morden in der Rue Morgue zum Beispiel - zeugt es da von besonderem Ingenium, einen Knoten zu lösen, den Sie selber (der Autor) zu dem ausdrücklichen Zweck, ihn zu lösen, geknüpft haben?" fragt er einen Freund.

Der Beliebtheit der Methode Dupin tat das keinen Abbruch. Paradoxerweise ist die erste Story die einzige, in der sie einigermaßen funktioniert. In der Fortsetzungsgeschichte "Das Geheimnis um Marie Rogêt" (1842/3) verheddert sich Poe in endlosen Erörterungen bei dem Versuch, Dupin einen Mord nur aufgrund von Zeitungslektüre lösen zu lassen. Weil dieser Fall aber ein aktueller Fall war, der sich zeitgleich in New York abspielte und Poe ihn lediglich nach Paris verlegte, scheitern Dupin und Poe an den Widrigkeiten des Realen - ein erzählökonomisches Debakel, zudem schuldig der Todsünde gähnender Langeweile.

Die dritte Story, "Der entwendete Brief" (1844), bot zwar den Herren Lacan und Derrida reichlich Gelegenheit für kluge Gedanken - nur recht eigentlich läuft sie dem Prinzip des deduktiven Denkens genau entgegen. Der entwendete Brief kann nur gefunden werden, weil Dupin sich in den Kopf seines Gegenspielers hineinversetzt. Eine Hymne auf die Imagination!

Und so stellt man erstaunt fest, dass Poes Genie es fertiggebracht hat, ein strapazierfähiges und langlebiges Subgenre erfunden, ohne es je in mehr als einen einzigen beispielgebenden Text gegossen zu haben.

Das nennt man Wirkungsmacht.

 

© Thomas Wörtche, 2009
(Welt am Sonntag, 18.01.2009)

 

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